SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

 Heute morgen haben mich wieder die Glocken geweckt. Erst die Stundenschläge, dann eine kurze Pause, dann das volle Geläut. So werde ich gerne wach.
Ich stehe dann nicht gleich auf. Nein, meistens liege ich einfach da und überlege mir: Was für ein Tag ist heute?  Was muss ich erledigen? Und worauf freue ich mich?

Ein neuer Tag hat begonnen – und Gott, der ist hoffentlich auch dabei.
„All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu.“ So fängt ein bekanntes Kirchenlied an.
Wie zuversichtlich das klingt, richtig frohgemut.
Und dabei soll der Prophet Jeremia genau diesen Satz in einem Klagelied angestimmt haben. Das erzählt jedenfalls die Bibel.

Jeremia beklagt, wie schlecht es den Leuten geht. Und wie schlecht es ihm selber geht. Sein Land liegt am Boden. Fremde Herrscher haben jetzt das Sagen. Und Jeremia meint: Eigentlich sind wir ja selbst schuld an der Misere. Auch heute sind solche Klagelieder zu hören. Wie soll das nur alles weitergehen? So frage ich mich auch, gerade dieser Tage.

Vor einigen Tagen sind wir aus dem Urlaub gekommen. Das neue Schuljahr hat für viele schon vor zwei Wochen angefangen, für manche ist es morgen soweit. Neue Saison, neue Krisennachrichten, neue Aufgaben und neue Herausforderungen.

Und dann ist heute der 11. September. Dieses Datum wird für mich immer mit den Terroranschlägen von New York und Washington verbunden sein, heute vor 15 Jahren war das. Seitdem hält die Angst viele in Atem. Ja, es gibt Grund zum Klagen. Und doch – mittendrin bleibt Gottes Güte, so hoffe ich.

 „All Morgen ist ganz frisch und neu des Herrn Gnad und große Treu!“
Jeder Tag ist also eine neue Chance, die ich mit Gottes Güte in Angriff nehmen kann.
Auch das, worüber ich mir in der Nacht noch den Kopf zerbrochen habe, die Dinge, die mich nicht haben schlafen lassen – im Vertrauen auf Gottes Güte kann ich sie angehen.

Bestimmt wird dadurch nicht alles wunderbar klappen und gut werden. Aber Gottes Güte wird mir dabei helfen, dass ich es trotzdem gut sein lassen kann. Ich kann ruhig werden über dem, was nicht fertig wird, nicht perfekt. Und das Vertrauen auf Gott hilft mir auch, dass die Angst mich nicht überwältigt. So kann ich besonnen bleiben und mein Leben genießen. Trotz alledem.
Hoffentlich macht Gottes Güte mich sogar selbst ein bisschen gütiger.

Obwohl Gott ja genügend Anlass dazu hätte, traurig und enttäuscht über das zu sein, was in der Welt passiert, zieht er einen Schlussstrich. Er weiß anscheinend, dass es nur so anders und besser werden kann.  Auch unter das, was bei mir falsch gelaufen ist, zieht Gott hoffentlich einen Schlussstrich. Auch ich kann es dadurch anders und hoffentlich auch besser machen.

 Neues Schuljahr, neue Saison, neue Herausforderungen – und Gottes Güte ist auch jeden Tag neu. „All Morgen ist ganz frisch und neu, des Herrn Gnad und große Treu“ – so tönt es trotz aller Klagelieder zuversichtlich und frohgemut aus der Bibel zu mir herüber.

Ja, Gott hilft dabei, dass es neu, anders und besser werden kann. Gott hilft mir aber auch, mit dem, was neu und anders wird, umzugehen. Ich glaube, das ist nämlich gar nicht so einfach.
Neu, neu, neu – das kann ja auch richtig anstrengend sein.

Ich denke an die Leute, die jetzt nach den Ferien einen neuen Job antreten oder in eine neue Abteilung kommen. Und an die Kinder, die sich jetzt in einer neuen Schulklasse zurecht finden müssen. Bis man da erstmal Fuß gefasst hat…Ich denke an die vielen technischen Neuerungen, die neuen Computerprogrammen, die 1000 Sachen, die man mit einem Smartphone alles machen könnte – ich kann das allerdings nicht so gut und sehe da oft ziemlich alt aus. Und dann denke ich an die Menschen, die plötzlich mit einer Krankheit konfrontiert werden oder sogar einen lieben Menschen verloren haben. Für die ist das Leben ja auch ganz neu und anders. Aber eben nicht gut…

Und dann? Ich glaube, gerade unter dem Eindruck von ganz viel Neuem tut Beständigkeit not. Ein fester Tagesablauf. Kleine persönliche Alltagsrituale. Das gibt Halt. Wie das Glockenläuten, das einen an Gottes Güte erinnern kann. Wie gut, wenn viele gute Erinnerungen und Erfahrungen fest im Kopf und im Herzen abgespeichert sind. Reiseerinnerungen z.B. oder Bilder von Familienfesten. Ich kenne einen Mann, der noch mal  Gedichte und Lieder auswendig lernt, auch Lieder aus dem Gesangbuch – weil das doch mitgeht durchs Leben, sagt er. Und dann denke ich vor allem an die Familie und treue Freunde, diese altbewährten Kontakte, die auch in neuen Lebenssituationen nicht abbrechen. Ich glaube, dass in dieser Beständigkeit auch etwas von der Beständigkeit Gottes zu spüren ist.

 „All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu!“ Gott ist treu – sich selber, seinem Wort, dem, was er sich vorgenommen hat. Und hoffentlich auch mir.
Neu ist zwar an jedem Tag Gottes Güte, aber er selber bleibt der Alte. Gott steht zu dem, was er versprochen hat. Er steht hoffentlich auch zu mir und geht mit, wenn das Leben neu und anders wird.

Heute Vormittag läuten landauf, landab viele Glocken. Lassen Sie sich ermutigen, wenn Sie so eine Glocke hören: Gottes Güte, alle Morgen neu – und damit eben auch heute und in der neuen Woche. Einen guten Sonntag also und morgen wieder einen guten Start!  Bleiben Sie behütet!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22727
weiterlesen...