SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Gestern ist der Hiroshima-Gedenktag gewesen. Er erinnert an den Abwurf der ersten Atombombe, die vor 71 Jahren um 8.15 h über dieser japanischen Stadt ausgeklinkt worden ist. Sie hat eine Minute später unbeschreibliches Leid verursacht. Drei Tage danach hat Nagasaki dieselbe Katastrophe ereilt.

Als Jugendlicher habe ich einen Film über Nagasaki gesehen. Der Titel ist mir noch heute in Erinnerung: „Die Glocken von Nagasaki.“ Ich habe Menschen gesehen, die an den Folgen des Atombombenabwurfs leiden. Sie haben Angehörige verloren, ihre Häuser sind verbrannt und sie selbst leiden unter den Folgen bis heute. Die Strahlungen haben ihr Immunsystem durcheinandergebracht oder ganz zerstört. Erblindete, Hörgeschädigte, Haut- und Krebserkrankte erzählen in dem Film von ihrem Lebenskampf. Sie müssen sich völlig neu orientieren. Die seelischen Belastungen all dieser Menschen sind enorm. Zwischendurch läuten in diesem Film immer wieder Glocken. Und man sieht zerstörte Kirchen.

Später habe ich gehört, dass auch der Pilot, der die Atombomben ausgeklinkt hat, seines Lebens nicht mehr froh geworden ist. Das kann ich gut nachfühlen. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, ich könnte nicht mehr ruhig schlafen. Ich hätte dauernd diese grauenvollen Bilder der Zerstörung vor mir.

Dann nach dem Zweiten Weltkrieg hat es viele Menschen auf der Welt gegeben, die gesagt haben: „Nie wieder Krieg – und schon gar nicht mit einer solchen Bombe!“ Aber sie konnten sich nicht durchsetzen. Weltweit sind weitere Bomben gebaut worden. Ich denke an die Napalmbomben im Vietnamkrieg mit ihrer grässlichen Zerstörungskraft. Bilder von entstellten verkrüppelten Menschen sind mir vor Augen. Ich denke an andere Giftgasbomben und an Raketen. Ich denke an die Atombomben, die auch heute noch bei uns gelagert sind und frage mich: Warum sind wir so erfinderisch, wenn es ans Zerstören geht? Warum können wir nicht unsere Fantasie in positive Kraft verwandeln?

Ich spüre seit dem Film über Nagasaki, dass auch ich herausgefordert bin, mich für jene Kraft einzusetzen, die nicht zerstört, sondern aufbaut. Deshalb hab ich als Lehrer und Pfarrer mit meinen Schülern immer wieder einen Dokumentarfilm diskutiert, der vom ersten Abwurf der Bombe, damals auf Hiroshima, berichtet. Auch da haben wir Betroffene gehört. Obwohl wir ihr Japanisch nicht verstanden, sondern nur die Untertitel gelesen haben: Der Schmerz hat ihre Gesichter gezeichnet. Als junge Menschen hat sie das Unglück getroffen, aber  nach 40/50 Jahren ist immer noch spürbar, wie katastrophal die Bombe ihr Leben verändert hat.

Teil 2

Vielleicht empfinden Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, meine Sonntagsgedanken heute über die Atombombenabwürfe am 6. und 9. August 1945 als wenig sonntäglich. Das kann ich verstehen. Aber ich möchte diese beiden Gedenktage – gestern Hiroshima, am Dienstag Nagasaki – nicht übergehen. Für mich ist es wichtig, mein Gewissen wach zu halten. Viele Menschen sind auch heute noch überzeugt, dass mancher Konflikt in unserer Welt nur durch Gewalt und zerstörerische Waffen zu lösen ist. Deshalb stimmen sie der Produktion von Waffen zu, auch ihrem Verkauf und Export. Schließlich verdienen wir nicht schlecht daran.

Aber ich frage mich: Ist das der richtige Weg, um zu verdienen? Die leidenden Gesichter von kriegsgezeichneten Menschen, vor allem von Kindern - damals wie heute - lassen mir keine Ruhe.

Der Hiroshima-Film, den ich meinen Schülern gezeigt habe, endet mit dem Läuten der Friedensglocke von Hiroshima. Dazu spricht der Kommentator Worte des Propheten Jesaia:

 „Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg; sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen…Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg. Ihr vom Haus Jakobs, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn“ (Jesaia 2,2-5).

Schwerter zu Pflugscharen! Ist das die veraltete Illusion eines fast 3000 Jahre alten Propheten? Ich finde es mutig, dass Jesaia diesen Text schrieb, als sein Volk Israel hochgerüstet hat. Dadurch hat er die provoziert, die ihre Sicherheit durch Waffengewalt erhoffen. Er provoziert auch mich heute, nicht müde zu werden und ans Um- schmieden von Waffen zu denken. Schwerter zu Pflugscharen! Immerhin ist dies vor dem Fall der Berliner Mauer das Erkennungszeichen derer gewesen, die das politische System der DDR damals ändern wollten. Sie haben mehr fertig gebracht als alle Waffengewalt, die letztlich nur zerstört.

Ich wünsche mir, dass dieses Bild „Schwerter zu Pflugscharen“ auch heute zu einer positiven Kraft für uns wird, im privaten wie im politischen Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22528
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