SWR1 Begegnungen

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„Was in Rio geschieht, ist kein fair play!“

Ich treffe Heribert Kron in Mainz. Der gebürtige Mainzer ist Mitstreiter der Aktion „Rio bewegt. Uns.“ Heute, am letzten Tag der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro, lenkt mein Gesprächspartner den Blick auf die dunklen Seiten des Sportereignisses.  Auf der einen Seite die strahlenden Sieger, auf der anderen Seite die Einheimischen als Verlierer. Heribert Kron empfindet das als ungerecht.

Fair play ist ein olympisches Thema. Aber fair play mit den Menschen,
die in Rio wohnen, in den Armenvierteln, in den favelas, darum geht’s!
Fair play für Menschen, die Hilfe brauchen, ein ordentliches menschliches Miteinander brauchen. Da fehlt es über weite Strecken in der tollen
Stadt Rio.

Olympische Spiele – die bringen doch eine Stadt nach vorne, bringen Vorteile für die Menschen vor Ort. Heribert Kron, der mehrfach in Rio war, erzählt mir vom genauen Gegenteil.

Da sind Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben worden, innerhalb kurzer Zeit. Da kamen Bulldozer und haben ihre schon nicht tollen Häuser niedergemacht, aber es waren immerhin Häuser. Ein Dach überm Kopf, damit man ne Straße bauen kann zum olympischen Dorf.

Olympische Spiele nach Rio zu verlegen, findet Heribert Kron unmöglich. In einem Land, in dem es an allem fehlt, wurden für Milliarden unsinnige Sportstätten gebaut, die nach den Spielen so niemand mehr braucht. Er formuliert ein Beispiel:

Wir brauchen Schwimmbäder, in denen wir auch olympische Disziplinen schwimmen können; wir brauchen auch ein Dach über dem Schwimmbad – in Rio ist nicht nur schönes Wetter. Aber was wir nicht brauchen, das sind Tribünen für 20 000 und mehr Leute, und die noch aus nordischer Kiefer hergestellt. Den Luxus brauchen wir nicht.

„Rio bewegt. Uns.“ – So lautet die Aktion, die hinter die Kulissen der Olympischen Spiele schaut. Sportplätze zu bauen, ist wunderbar. Aber das reicht nicht.

Die Kinder kommen dann zu dem Sportplatz. Aber wenn sie keiner anleitet, dort Fußball zu spielen, dort Volleyball zu spielen, dann werden die Kinder auf dem Sportplatz rumstehen. Dann kommen Männer und verkaufen ihnen Drogen. Dann ist der Sportplatz genau das Gegenteil geworden.

Heute enden die Olympischen Spiele in Rio, in gut zwei Wochen beginnen die Paralympischen Spiele für körperlich behinderte Sportler aus aller Welt.  Die Sportstätten sind barrierefrei, aber die Stadt Rio ist es nicht.

Da gibt es Bordsteine, die sind unglaublich hoch, Und da hat man ganz steile Kanten an die Bordsteine gemacht. Da kommt kein Rollstuhl-Fahrer hoch. Das ist unmöglich. (ab 8.18:) ich wünsche mir eigentlich, dass die Paralympics ne Initialzündung bringen, dass Rio da was tun muss. Aber Rio hat so viele Baustellen. Das wird schwierig.

„Nächstenliebe ist konstitutiv für unseren Glauben!“

 Der 71-jährige Mainzer Heribert Kron ist Mitglied in der Aktion „Rio bewegt. Uns.“ Er wollte nicht nur schöne Olympische Spiele, sondern ein besseres Leben für die Menschen vor Ort. Er  kämpft für Gerechtigkeit – weltweit. Er tut dies seit Jahrzehnten unermüdlich. Dass er mitunter aneckt, nimmt er in Kauf. Und ist sich sicher:

Ein Glaube ohne die tätige Nächstenliebe ist kein Glaube. Tätige Nächstenliebe ist konstitutiv für unseren Glauben. Davon bin ich überzeugt. Mir reicht es nicht, am Sonntag im Gottesdienst mein Herz zu erwärmen. Es gehört dazu, da wo ich kann, Menschen zum Leben helfen.

Heribert Kron hat drei erwachsene Kinder, fünf Enkel komplettieren derzeit die Familie. Der Einsatz für Menschen in Not – das hat auch die Kinder geprägt. 

Eines schönen Tages kam meine liebe Tochter und wollte ein soziales Jahr nach dem Abi machen. Dann haben wir das Mädel besucht. Wir haben kein schönes Rio erlebt, kein touristisches Rio erlebt. Wir haben erlebt, wie die Kinder Eiterbeutel hatten. Die musste man ausdrücken, dass die Würmer rauskamen. Wir haben unsere Tochter nur noch bewundert: Mensch, Mädel, mit 19, was machst du denn da für ne Arbeit.

Die Aktion „Rio bewegt. Uns.“ möchte Menschen in unserem Land auszeichnen, die sich eingesetzt haben für die Menschen in Rio, aber auch anderswo. Wie bei den Olympischen Spielen gibt es eine Medaille, eine sogenannt „Medaille der Werte“.

Und dann haben wir gesagt: Die Medaille der Werte darf jetzt net ein tolles Bronze, Gold- oder Silberstück sein, sondern die soll so sein, wie unsere Aktion ist: nachhaltig und einfach. Ein Frauenkreis in den Favelas in Rio, die stellen diese Medaille der Werte her: Einfach, aus recyceltem Blech von Getränkedosen.

Der Zusammenhang ist längst klar, auch mir: So, wie wir leben, geht das auf Kosten vieler Menschen in der Welt.  Gerade der Armen.

Wenn ich Orangensaft trinke, ist das Rio. Wenn ich Fleisch esse von Rindern, die auf Weiden großgezogen wurden, wo früher Urwald war, den man abgebrannt hat, dann ist das Brasilien, dann ist das Rio. Weil diese Menschen, die in diesem Urwald gelebt haben, die hocken jetzt in den Favelas ohne Zukunft.

Heribert Kron möchte mit seinen Mitstreitern Menschen erreichen, die Augen öffnen für das ganze Bild Rio de Janeiro. Wir sind beide skeptisch, ob das klappt, Menschen zu sensibilisieren.

Die werden in ihrer Couch sitzen und Olympia gucken, werden Sportstätten sehen. Aber Rio? Werden sie net sehen. (…) Und deshalb die Aktion: „Rio bewegt.Uns.“ wichtig, um zu sagen: Leute, Rio ist viel mehr als jetzt, wenn Sport ist.

Gerechtigkeit ist eines der wichtigsten Worte im Leben von Heribert Kron, und er lenkt den Blick weg von Rio hin auf unser Land:

Nur wenn wir gerecht mit Menschen umgehen, können wir Frieden haben auch in unserem Land. Wenn wir gerecht mit den Fremden umgehen, die bei uns sind, und die keine Christen, die Muslime sind – auch die erwarten Gerechtigkeit. Wenn wir ihnen gewähren, was menschlich notwendig ist, (17’01), dann werden wird das Problem des „Miteinander Lebens“ in Deutschland bewältigen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22489
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