SWR1 Begegnungen

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„Die Sprache in den Kirchen treibt mich in den Wahnsinn!“

Ich treffe mich mit Erik Flügge, der in seinem Beruf Politiker fit macht für öffentliche Auftritte und Reden. Er ist Autor des Buches „Jargon der Betroffenheit,  Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“. Das Buch macht Furore, und deshalb habe ich ihn in Köln besucht. Wie wird in den Kirchen gesprochen? Denkt Erik Flügge daran, verzweifelt er fast.

Es würde schon reichen, wenn jemand, der in einer Kirche predigt, nicht
in einen seltsamen, fremden Ton verfällt.
Wenn die Leute sich in ihrem Sprechen treu bleiben würden. Ich glaube, was alle, die in die Kirche, gehen, die an einem Gottesdienst teilnehmen, miterleben ist, das jemand, der dort eine Predigt hält, in einen ganz ganz
seltsamen Ton verfällt, mit seltsamen Wortbetonungen, mit komischen Satzmelodien, mit Wörtern, die diese Person im Alltag nicht benutzen würde – die sind alle gar nicht aus der Bibel entlehnt, sondern ein seichter Bla-Bla-Sprech, der häufig wenig Inhalt hat: Jesus lädt dich ein, er lädt dich ein zum gemeinsamen Mahl, ein Mahl, wie er‘s mit seinen Jüngern gefeiert hat – also so Kettensätze, in denen wenig Botschaft drin steckt.

Zack! Das sitzt! Erik Flügge hat einige Semester katholische Theologie studiert, er kennt sich aus bei Kirchens. Er ist ein Mann der Sprache, und er bringt es auf den Punkt:

Ehrlich gesagt, treibt es mich in den Wahnsinn, immer wieder, wenn ich was von der Kirche sehe, dann ist es unpointiert, unpräzise, langweilig oder belanglos.

Ob ich mich an eine gelungene Predigt erinnern könne, fragt er mich in unserem Gespräch. Gute Frage. Nach einigem Zögern kommen mir einige wenige in den Sinn. Er selbst hat 100 Predigten untersucht.

Diese waren mal besser, die waren mal schlechter, die waren mal katastrophal, manchmal auch ganz gut, aber die waren alle belanglos. Sie waren alle ohne Nachhall, ohne dass sie mich gefesselt haben und ich länger drüber nachdenken musste. Und ich glaube, dass ist das Drama an unseren Predigten dass es so seicht daher schrammt. Es macht keinen Unterschied, ob ich’s gehört habe oder nicht gehört habe. Es geht nicht über Stunden mit mir mit, es fesselt mich nicht, es irritiert mich nicht.

Der 30-jährige Politikberater sitzt vor mir und liest seiner Kirche die Leviten. Die Kirche stört ihn nur, aber sie sollte ihn doch lieber irritieren, sagt er mir. Doch das klappt leider nicht.

Das ist so schade, weil die Botschaft ist unglaublich irritierend, über die wir da sprechen. Da verreckt jemand am Kreuz, da gibt es Einsamkeit, da gibt es Leiden, da gibt es Wunder, absolut verstörende Dinge wie die Auferstehung von jemandem von den Toten, und was wir dann draus machen, dass wir es in eine seichte Phrase „Gott ist die Liebe“ zusammenfassen, aus der niemand wirklich was ziehen kann. Das wirklich spannende ist, dass Gott nicht nur Liebe, sondern auch Leiden, Krieg und Gewalt und alle anderen Dinge in der Bibel repräsentiert.  Und wenn ich es nicht aushalte als Theologe, diese Spannungen auch zu formulieren und diese spannend zu formulieren, dann mach ich zu wenig richtig in meinem Job.

Erik Flügge hilft in seinem Job Politikern die Reden halten müssen, auf die Sprünge. Er will, dass Menschen, die öffentlich reden, verstanden werden, eine Wirkung erzielen, die bleibt. Auch und gerade bei Gottesdiensten und bei Predigten. Erik Flügge kritisiert nicht nur. Wie ein gutes „Sprechen über Gott“ gelingen kann, dazu mehr nach dem nächsten Titel.

„Der Glaubenszweifel gehört erzählt!“

Erik Flügge ist Politikberater, studierter Theologe und lebt in Köln. Der 30-jährige hat mit seinem Buch „Der Jargon der Betroffenheit, Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ für Furore gesorgt. Die Art und Weise, wie vor allen in den Gottesdiensten gesprochen wird, macht selbst einen Sprach-Profi sprachlos. Wie heute von Gott reden?, frage ich ihn. 

Es ist verdammt schwer, von Gott zu sprechen, weil Gott ist unendlich groß, Gott ist schwer zu fassen, ist schwer zu beschreiben. Deswegen ist alles theologisch gutes Sprechen von Gott immer aus der Sicht eines Menschen auf sein Erleben mit Gott. Den ganzen Gott zu beschreiben werden wir nicht hinkriegen. Worüber wir sprechen können: Wie meine Verhältnisbestimmung zu Gott. Und dann kann ich ganz bei mir bleiben und kann auch ganz von mir selbstsprechen. Da brauche ich keine komischen Bilder, Vergleiche, irgendwas. Und das ist etwas, wie ich Menschen tatsächlich erreiche.

Nur noch 10 % der Katholiken gehen sonntags zum Gottesdienst. Erik Flügge ist Theologe genug, um zu wissen, dass der Ablauf des Gottesdienstes nicht immer wieder neu erfunden werden kann.

Mir ist eines ganz wichtig: Mir geht es nicht darum, den Eucharistie-Teil des Gottesdienstes aufzulösen. Ich finde es völlig in Ordnung, dass es einen Teil in der Liturgie gibt, der standardisiert ist, der sich wiederholt, der in Riten und Symbolen stattfindet. Dort geht es um die Inszenierung des Geheimnisses des Glaubens. Darum ist das völlig in Ordnung, wenn das ein bisschen fremd klingt, seltsam ist, irgendwie anders.

Und dann kommt die Predigt.

Die Predigt ist was andres. Die Predigt ist der Moment, in der ein Theologe / eine Theologin sich direkt an die Leute wendet und plötzlich dort in denen einen Diskurs anstoßen will. Und wenn das seltsam, symbolbelastet bleibt, dann brauche ich diese Predigt nicht, das leitet der restliche Teil schon. Mir geht es nicht darum, das Vater unser umzuformulieren, das will ich überhaupt nicht. Mir geht es darum, dass die predigt gut und interessant gesprochen wird.

Ich frage ihn nach einem Vorbild in Sachen „Sprache“,  und er überlegt nicht lange.

Ehrlich gesagt ist der Papst auch spannend. Er hat gerade vor kurzem erklärt, dass er eine lange Biographie des Glaubenszweifels hinter sich hat. Und hat einfach davon erzählt. Und die ganze Welt gerät in Aufschrei, (…) weil es eben keinen Priester gibt und keine Theologien, der oder die ne Glaubensbiographie ohne Zweifel hinter sich hat. Und das gehört in die Kirche und es gehört erzählt.

Schwierigkeiten im Glauben zu haben, und darüber nicht zu schweigen – diesen Rat nehme ich mit für meine eigene Arbeit als Theologe. Nähe und Abstand zur Kirche, das ist möglich, und man kann trotzdem katholisch bleiben. Und Erik Flügge schreibt den Profis ins Stammbuch:

Ich glaube, der kirchliche Dienst besteht nicht nur aus der Verwaltung einer Kirchengemeinde, nicht nur aus Gremienarbeit, sondern er  besteht mit als das Wichtigste aus Verkündigung. 

Literatur:

Erik Flügge, Der Jargon der Betroffenheit, Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt, München, Köselverlag 2016.,

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22481
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