SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Seit einem Besuch im Straßburger Münster gehen mir zwei Skulpturen nicht mehr aus dem Sinn. Zwei in Stein gemeißelte Frauenfiguren. Es heißt, die eine verkörpert die jüdische Synagoge und die andere die christliche Kirche. Im Mittelalter war das eine beliebte und weit verbreitete Darstellung. Die Kirche eine strahlende und siegreiche, gekrönte Frau, die Synagoge, das Judentum/Jüdische dagegen ist eine Frau mit verbundenen Augen. Sie sieht gebrochen, ja gedemütigt aus. Wie überlegen und überheblich die eine, wie verletzt und erniedrigt die andere.

Die verbundenen Augen bedeuten: die Juden haben nicht erkannt, wer ihr Messias ist. Buchstäblich mit Blindheit geschlagen verspielen sie aus eigener Schuld ihre Zukunft und erkennen ihren Retter nicht. Anders dagegen die Kirche. Sie strahlt. Sie fühlt sich auf der Seite der Sieger und glaubt allen Ernstes, Gott hätte sein Volk verworfen und stattdessen die Kirche als sein auserwähltes Volk angenommen. Nicht umsonst hat die Kirche lange Zeit gemeint, sogar für die Bekehrung der sogenannten ungläubigen Juden beten zu müssen.

Ich habe den Eindruck, diese Gedanken sind noch nicht aus der Welt. In einem Gespräch mit einem jüdischen Rabbiner erzählte dieser von Vorurteilen die ihm immer wieder begegnen würden. Demnach gibt es Christen, die immer noch denken, das Neue Testament hätte das Alte abgelöst. Sie sagen: Im jüdischen Glauben gibt es keine Gnade, keine Vergebung. Die Juden sind arm dran, weil sie so viele Gesetzte halten müssen. Besonders verbreitet ist die grobe Unterstellung, der Gott der Christen sei ein Gott der Liebe, der Gott der Juden aber voller Zorn und Unbarmherzigkeit. Dieses Schwarz –Weiß malen ist falsch und ich weiß, dass das oft zu Missverständnissen und auch zur  Ablehnung der Juden führt.

Ich wünsche mir/stelle mir vor, dass ein Künstler in Straßburg oder anderswo einmal zwei neue Figuren schafft und dann der Kirche die Augenbinde anlegt. Um deutlich zu machen, wie blind gerade die Christen für den Reichtum des jüdischen Glaubens waren.  Und dann aber auch daran zu erinnern, dass Christen weggeschaut oder sogar mitgemacht haben, als man im Dritten Reich/in der Nazi-Zeit in Deutschland jüdische Gebetshäuser angezündet und die Juden dann systematisch deportiert/verschleppt und vernichtet hat.

Bilder zeigen nicht nur etwas, sie beeinflussen auch das Denken und Handeln. Darum brauchen wir heute zu den mittelalterlichen und oft judenfeindlichen Darstellungen überzeugende Alternativen, neue Bilder, die das Gemeinsame beider Religionen in den Vordergrund stellen, die zum gegenseitigen Respekt einladen und helfen, dass tiefe Wunden der Schuld und des Versagens heilen können.

 

Ich spreche heute in den Sonntagsgedanken darüber, dass Christentum und Judentum vieles gemeinsam haben und keineswegs Konkurrenten sind. Ich lasse mich dabei von einem Wort des Apostels Paulus leiten, der ganz tief im Judentum verwurzelt/verankert ist. Er sagt: „Nicht du trägst die Wurzel, die Wurzel trägt dich“, so in seinem Brief an die Gemeinde in Rom. Er betont darin die große Würde des jüdischen Volkes, weil es von Gott erwählt wurde /// Paulus macht das, weil er sich dadurch Jesus nahe fühlt, der auch Jude war, wie er. Die Juden waren sein Volk, die jüdische Bibel war seine heilige Schrift und mit den jüdischen Gebeten und Gebräuchen war er von klein auf vertraut. So wie bei ihm selbst, bei Paulus, auch.

Es hat lange gedauert bis die (katholische) Kirche sich zu dieser Wurzel bekannt hat. Am 13. April 1986 hat zum ersten Mal ein katholisches Oberhaupt, nämlich Papst Johannes Paul II., die (Haupt)synagoge in Rom besucht. Es war ein weltweit beachteter und bewegender Moment. In seiner Ansprache (((an den Oberrabbiner und die israelitische Kultusgemeinde))) sagte er damals „Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas ‚Äußerliches‘, sondern gehört zum ‚Innern‘ unserer Religion. Zu ihr haben wir somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. Ihr seid unsere bevorzugten Brüder, unsere älteren Brüder.“

Johannes Paul II. hat eine Tür durchschritten, die schon das Zweite Vatikanische Konzil geöffnet hatte .Was der Papst über das Judentum gesagt hat, war ein Meilenstein in der so schmerzvollen Beziehung zu den Juden. Sie hat den Christen für die eigene Herkunft die Augen geöffnet, und gezeigt, wie viel sie den älteren Geschwistern verdanken.

Dass für sie ihre Heilige Schrift nicht nur eine Summe von Gesetzen ist, die einem das Leben vermiesen wollen ist mir bei einem Besuch in Jerusalem deutlich geworden. Bei einem abendlichen Gang zur sogenannten Klagemauer erlebte ich, wie Juden dort an dieser heiligen Stätte getanzt haben. Im Arm ihre großen Schriftrollen. Als tanzten sie mit ihrer Geliebten. Das ist ihr Schatz: mit diesen Worten können sie leben und auf ihren Gott können sie sich verlassen. Einer der großen Gelehrten von ihnen, Martin Buber, hat einmal gesagt. das wichtigste, was das Judentum unserer Welt geschenkt hat, ist die Anredbarkeit Gottes. Dass man zu Gott Du sagen kann, und dieser Gott nichts leidenschaftlicher mehr sucht, als das Gespräch/den Austausch/die Verständigung mit den Menschen. Ich werde diesen Abend in Jerusalem nicht mehr vergessen. Damals habe ich etwas gespürt vom Ernst und von der tiefen Freude, die die betenden Menschen aus ihrem Glauben empfangen

Es braucht noch viele Begegnungen und Gespräche zwischen Juden und Christen bis die Wunden der Geschichte geheilt sind. Und in einer Zeit, in der der Name Gottes für Gewalt und Terror missbraucht wird sind Menschen, die dabei Brücken bauen, notwendiger denn je.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22353
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