SWR1 Begegnungen

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Stephan von Bothmer

Uwe Beck trifft Stephan von Bothmer, Musiker in Berlin und Organist bei Fußball-Public-Viewing in Kirchen

„Das ist eine Art Oper“

Ich besuche Stephan von Bothmer. Er ist Musiker und Komponist, lebt in Berlin. Während der Europameisterschaft in Frankreich hat er zu den Final-spielen zu einem Public-Viewing eingeladen, aber nicht wie üblich in Stadien oder auf großen Plätzen.

Das Besondere bei uns ist, dass es in einer Kirche stattfindet, und zwar begleite ich dieses Fußballspiel an der Kirchenorgel live. Ich spiele quasi ne Filmmusik dazu. Und mach da draus so nen Kino-Film.

Public Viewing in einer Kirche. Wer soll sich das antun, frage ich mich, als ich Stephan von Bothmer in der Emmaus-Kirche in Berlin besuche. 450 Fans sind gekommen, um Fußball zu schauen und Orgelmusik zu hören. Stephan von Bothmer hat zu vielen Stummfilmen nachträglich Melodien komponiert und die Filme so mit Musik unterlegt. Beim Fußball-Publik-Viewing geht das so:
Weil ich eben Stummfilm-Musiker bin, drehen wir den Ton ab. Man hört den Kommentator nicht, sondern nur die Musik. Es wird dann auch fast ne Oper, weil alles, was erzählt wird, wird ja durch Bilder und Musik übertragen oder ausgedrückt, und das passiert in der Oper auch. Deshalb ist es ne Art Rock-Oper, finde ich.

Stephan von Bothmer sitzt bei diesem Achtelfinal-Spiel 2 ½ Stunden an der Orgel, ohne Noten, hat nur das Fernseh-Live-Bild vor sich. Bei großen Chancen einer Mannschaft wird die Musik dramatisch, das Publikum geht mit, schreit auf, jubelt über die Tor-Szene und die Musik. Immer wieder Zwischenapplaus, wenn es Stephan von Bothmer besonders gut gelingt, Musik und Bild zu vereinen.

Dadurch, dass wir den Ton abstellen, sieht man mehr. Dadurch, dass ich Musik mache, fokussiere ich bestimmte Themen, wo die Leute hingucken. Das ist die Aufgabe von Filmmusik grundsätzlich, und das klappt natürlich auch hier.

Public-Viewing in der evangelischen Emmaus-Kirche in Berlin. Bei der Übertragung eines Fußballspiels. Naheliegend ist das nicht.

Diese Idee ist zufällig in dieser Gemeinde geboren, weil ich hier eben viele Stummfilme gezeigt habe. Gleichzeitig macht es sehr viel Spaß, dass in der Kirche zu machen. Es gibt diese herrliche Brechung, dass man überhaupt Fußball guckt in ner  Kirche, mit Bier, mit Wein, mit allem, was zum Fußball dazu gehört.

Das Ambiente ist ungewöhnlich, kommt aber an. Schon bald werden Kommentar des Moderators und die Stimmung der Fans im Stadion nicht mehr vermisst. Stephan von Bothmer komponiert das Spiel ganz neu, zaubert mal Traurigkeit, mal Hochstimmung in die Emmaus-Kirche. Er muss ständig reagieren, muss sich für Film-Melodien oder Musicals entscheiden. Oder er komponiert einfach drauf los. Und grundsätzlich gilt:

Die Mannschaft, die besser spielt, die kriegt auch die bessere Musik. Das liegt einfach daran, dass wenn man besser spielt, spielt man mehr im Rhythmus, dann kann ich dazu einfach besser Musik machen.

„Public Viewing ist ohne Ton viel doller!“

Der 45-jährige Komponist und Musiker Stephan von Bothmer spielte die letzten vier Wochen während der Fußball-Europameisterschaft in einer Berliner Kirche. Zusammen mit Hunderten von Besuchern gab es ein Public Viewing – ohne Fernseh-Ton, dafür aber mit Orgelmusik.  Passend zur jeweiligen Spielsituation setzt er Film- und Musical-Melodien ein, und spürt, dass sich im Kirchenraum etwas verändert.

Es ist erstaunlich, wie sich die Orgel zu diesem Fußballspiel verhält. Da weiß ich kein besseres Wort. Passiert etwas mit diesem Spiel, wenn man dazu Orgel spielt? Diese Posaune, die man losfahren kann, das ist ja auch gigantisch. Die wollen ja auch die Gefühle, die beim Fußballspiel entstehen, transportieren.
Ich finde es gut, dass sich die Kirchen für solche Veranstaltungen öffnen .Die Zuschauer in der Emmauskirche in Berlin sind begeistert. Freuen sich auf die Verlängerung des Spiel, weil so das Konzert verlängert wird.

Die kommen sehr oft nach dem Spiel zu mir, also nach dem Konzert. Es ist ein merkwürdiges Phänomen, dass diese Aggressivität, die dem Fußball offenbar innewohnt, plötzlich weg ist, Da gibt es das Gefühl, dass diese Aggressivität nicht wirklich zum Fußball gehört, sondern ein Irrweg der Fans geworden ist.

Deshalb wird in der Emmauskirche beim Public-Viewing der Ton abgedreht. Und Stephan von Bothmer will auch nicht auf die üblichen Plätze gehen, um zusammen mit anderen Fußball zu gucken.

Ich behaupte mal, wenn das vergleichen würde mit Public-Viewing mit Ton, und schauen würde, wie das Publikum mitgegangen ist – dass es bei mir viel doller war. Das liegt auch daran, dass beim Public-Viewing – beim normalen – wo man den Ton hört, dann hört man auch das Stadion. Das macht diese Wahnsinnsstimmung, die man draußen immer hört. Dann denkt man immer: Man, ist da ne Stimmung. Aber das sind gar nicht die Leute, das kommt aus der Leinwand sozusagen.

Ab Morgen geht Stephan von Bothmer wieder seinem Hauptberuf als Stummfilm-Musiker nach. Er unterlegt Stummfilme mit Musicals oder eigenen Kompositionen. Er gibt auch zu Stummfilmen Konzerte in Kirchen. Er erinnert sich an ein Konzert im Berliner Dom mit einem biblischen Thema, das provozieren soll:

Ich behaupte eben, wenn man sagt: „Selig sind die Barmherzigen“ – das ist ja oben im Dom eingelassen -  wir haben dazu Ben Hur gezeigt) Wenn man nur eine Minute über Seligkeit und über Barmherzigkeit nachdenkt, dann sieht man nen anderen Film. Das ist ja 2 ½ Stunden enormes Pathos und Epos, und es gibt immerzu Krieg. Der verändert sich, wenn man es so macht, wie wir’s gemacht haben. Ich habe die Musik in diesen Raum komponiert – das war fast ein Gottesdienst.

Das Stichwort „Gottesdienst“ greife ich auf und bohre nach:

Ich persönlich bin sehr gläubig, mit starkem Glauben an Gott, aber nicht, dass ich viel in die Kirche gehe. (…) Dies ist für mich nicht das Wesentliche.

Stephan von Bothmer ist kein Kirchenmusiker, und doch frage ich ihn am Ende unseres Gesprächs nach seinem Lieblingskirchenlied.

Wie heißt das? Wenn einer mit dir geht? Da da da „Ich will, dass einer mit dir geht“. – Das liebe ich sehr. Und – ich kenn nur die Melodie, ich glaube, ein skandinavisches Lied: Da da da. „Bewahre uns Gott, behüte uns Gott“. Die beiden mag ich sehr gerne. Ja.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22352
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