SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Es ist wichtig, dass wir bei Verstand bleiben. Alle miteinander. Eine Schülerin hat mich darauf gebracht, wie wichtig das ist. Ja, genau so hat sie es gesagt: Sind wir denn noch bei Verstand? Und wo sind die Leute, die vernünftig bleiben und ruhig? Wir haben im Religionsunterricht an der Berufsschule darüber gesprochen, dass es so viel Hass und Wut, so viel Geschrei gibt: bei Demonstrationen, vor Flüchtlingsunterkünften und im Internet. Man kann doch bei so viel Wut und Hass und Geschrei die Probleme nicht lösen, die es natürlich gibt, hat die Schülerin gesagt.

Ich kann verstehen, dass ihr die lautstarke Streiterei Sorgen macht. Auf der einen Seite Leute, die sich einsetzen für die Flüchtlinge, manchmal bis zur Erschöpfung. Sie haben Angst, dass wir nicht in Frieden miteinander leben können, wenn wir den Fremden nicht helfen bei der Integration. Und andere haben Angst, dass unser Land sich verändern wird durch die vielen Fremden. Und aus dieser Angst wird Hass und Wut.

Ich glaube, sie hat Recht, meine Schülerin. Angst hilft nicht weiter. Und Wut erst recht nicht. Wir müssen bei Verstand bleiben. In einem Brief in der Bibel hat einer an die ersten Christen geschrieben: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Tim 1, 7) Furcht hat es immer schon gegeben, auch damals. Doch Verfasser des Briefes sagt: Gott schenkt uns etwas gegen die Angst: Besonnenheit, dass wir bei Verstand bleiben.

In meiner Schulklasse habe ich gefragt, was wir denn tun können, jeder einzelne. Damit wir besonnen reagieren. Da, wo wir leben. Mit den Menschen, mit denen wir es zu tun haben. Einer hat gesagt: Schwarz-weiß malen hilft nicht. Die Welt ist viel komplizierter. Man muss viel genauer hinschauen. Und man muss das aushalten, dass die Welt so kompliziert ist. Es gibt keine einfachen Lösungen. Eine Schülerin hat gefragt: Warum fliehen Menschen? Natürlich weil sie dem Elend entkommen wollen und dem Krieg. Sie hungern und wissen nicht, wie es weitergehen soll. „Was würden wir tun, wenn wir in diese Lage kämen?“, wollte sie wissen. „Wir würden doch auch versuchen, uns und unsere Familien in Sicherheit zu bringen. Wir würden doch auch dahin gehen, wo wir uns eine bessere Zukunft erhoffen“. Und einer hat gemeint: Unsere Art zu wirtschaften erzeugt eben auch erst Not in armen Ländern. Die Altkleider zum Beispiel, die wir billig in afrikanische Länder verscherbeln, nehmen den Menschen dort die Arbeit weg. Nein, Schwarz-weiß-Malen hilft wirklich nicht. Was dann?

II.

Ein Schüler hat gesagt: Wir leben mit bestimmten Menschen zusammen, haben mit bestimmten Menschen zu tun. Bei der Arbeit, in der Freizeit, in der Familie. Deren Meinung hören wir, denen sagen wir, was wir denken. Da brauche ich Besonnenheit, da muss ich doch bei Verstand bleiben, damit ich vernünftig und besonnen argumentieren kann. Und ich brauche den Mut, dafür den Mund aufzumachen und zu sagen, was ich denke.

Als Beispiel fällt mir die Journalistin Dunja Hayali ein. Vor ein paar Wochen hat sie die goldene Kamera erhalten. In ihrer Dankesrede hat sie etwas gesagt, was mich sehr berührt hat. Sie hat von dem Hass und der Wut erzählt, die sie erlebt, wenn Sie versucht, objektiv zu berichten. Und auch sie hat gesagt: „Glaubt eigentlich irgendjemand, dass das etwas bringt, dieser Hass? Beim Suchen nach Lösungen, beim Ringen nach Kompromissen? Ich setze immer noch auf den Dialog. In einem Land, in dem die Meinungsfreiheit so ein hohes Gut ist, darf und muss jeder seine Sorgen und seine Ängste äußern können, ohne gleich in die rechte Ecke gestellt zu werden. Aber wenn Sie sich rassistisch äußern, dann sind Sie verdammt noch mal ein Rassist.“ Und sie hat dazu aufgerufen, offen zu bleiben, fair zu bleiben und miteinander im Gespräch. Das hat mich sehr berührt. Andere und Andersdenkende zu respektieren und, Menschen in Not zu helfen. Ich finde: Hinter diese Haltung, können wir doch in unserem Land nicht zurück, das können wir doch nicht aufgeben!

Und, vernünftig und besonnen betrachtet, geht es uns eigentlich doch ganz gut. Das Leben ist doch gar nicht so aufgewühlt und durcheinander, wie manche behaupten. Wir gehen arbeiten und planen das Wochenende. Das Leben verläuft längst nicht so aufgeregt, wie manche uns weiß machen wollen. Sollen wir da wirklich unsere Menschlichkeit und unseren Anstand verlieren? Ich meine: Jetzt, wo es schwierig wird, sollten wir bei Verstand bleiben. Besonnen bleiben. Meine Schülerin hat Recht. Irgendwelchen unklaren Ängsten sollten wir nicht nachgeben. Sondern schauen auf das, was ganz normal und gut läuft. Ja, ich glaube, das brauchen wir. Bei Verstand bleiben: Besonnenheit und Zuversicht. Dazu helfe uns Gott, denn der „hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21577
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