SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Die vier Wochen vor Weihnachten sind von einem Warten bestimmt, das eine uralte Geschichte hat. Christen warten darauf, dass Jesus Christus wiederkommt, und stehen damit in der viel älteren Tradition gläubiger Juden, die auf den Messias warten.

Ein solches Warten findet Ausdruck in einem Lied, das französische Mönche oft  beim Morgengebet singen. Es beschreibt die eigentümliche Stimmung bei Tagesbeginn und nimmt sie zum Anlass, um vom Wachsen und Reifen der Erwartung zu sprechen. Einige Zeilen habe ich übersetzt:

„Wie ein Nebel, der zerreißt, und einen Gipfel enthüllt, so lässt uns dieser Tag einen anderen Tag erraten, unaussprechlich.

Dieser Morgen mit seinem Glanz einer Verheißung nimmt uns mit auf unserem Weg, Tag für Tag, wie der Schimmer einer Morgenröte, die nicht vergeht.

Komm, Geist, damit wir lernen, in diesem hell werdenden Tag den Raum zu sehen, in dem unser Warten reift auf den Tag Gottes hin, der unsere Hoffnung ist.“ Soweit der Text dieses Liedes.

In dieser Zeit des zu Ende gehenden Jahres dauert es lang, bis der Tag hell geworden ist. Aber dann taucht plötzlich etwas auf: klare Umrisse von Bäumen, Häusern, ein Horizont. Dieses Aufleuchten von etwas, das vorher kaum oder gar nicht zu erkennen war, hat etwas Überraschendes, wie wenn da etwas Neues ist. Das Tagwerden birgt eine Verheißung: Es taucht aus der Dämmerung etwas auf, etwas, was wir wiedererkennen und was doch unbekannt erscheint. Wie wenn das, was wir gestern noch gesehen haben, heute nicht mehr dasselbe ist. Wie wenn der mühsam heller werdende Morgen verspricht, dass alles neu wird. Und insgeheim ist da ein Warten auf das Licht, in dem alles anders wird.

Diese Stimmung ist häufig einem Tagesbeginn eigen, und vielleicht besonders dem beginnenden Tag im Winter. Es ist, wie wenn die Welt darauf wartet, dass eine Verheißung sich enthüllt, die sie noch nicht kennt und die sie zugleich wie ein Wunder erhofft. Diese Stimmung macht den Morgen zum Bild für einen Morgen, der nicht mehr vergeht. In dessen Licht alles neu wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21088
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