SWR1 Begegnungen

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Teil 1 

.. und mit Matthias Engelke, einst evangelischer Militärpfarrer in Idar-Oberstein, dann überzeugter Pazifist und Atomwaffengegner, schließlich Gemeindepfarrer im niederrheinischen Nettetal-Lobberich. 

Doch der Reihe nach. 1997 trat Matthias Engelke die Stelle als Militärseelsorger im Hunsrück an. Dann kam der Kosovo-Krieg.

und anfangs war ich auch davon überzeugt, dass es gut ist, dass jetzt endlich was passiert. 

Doch dann las er ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofes über die völkerrechtlichen Grundlagen des Krieges.

Da war ich total überrascht, ich dachte, das darf gar nicht wahr sein, da gibt’s ja gar kein völkerrechtliches Mandat für diese Beteiligung deutscher Soldaten im Kosovo-Krieg, das ist völkerrechtswidrig.

Das Thema ließ ihn nicht mehr los, er suchte und fand den Kontakt zur „Initiative Richter und Ärzte gegen den Atomkrieg“ und zum Internationalen Versöhnungsbund. Aus dem Militärpfarrer wurde in Pazifist, auch wenn er selbst die Bezeichnung Pazifist nicht mag:

Für mich ist es wichtig, auf dem Weg Jesu zu bleiben, und das ist mir deutlich geworden, Gewaltfreiheit gehört einfach unverzichtbar dazu.

Als Militärpfarrer gehörte der Bundeswehrstandort Büchel mit seinem Tornado-Geschwader zum Einsatzgebiet von Engelke, da, wo nach wie vor Atomsprengköpfe lagern, auch wenn das offiziell nie bestätigt worden ist. Seitdem hat ihn Büchel nicht mehr losgelassen.

 Ich hab damals das Gutachten des Internationalen Gerichtshofes, dass die Androhung und Anwendung von Atomwaffen völkerrechtswidrig ist, sehr intensiv studiert und das mit Soldaten vor Ort thematisiert und dann Freunde gefunden, mit denen wir vor Ort daran gearbeitet haben, die Bevölkerung dafür zu gewinnen, sich nicht damit zufrieden zu geben, dass die Atomwaffen unser gesamtes Leben gefährden, und für die Langstreckenwaffen anderer Staaten Büchel lägst einprogrammiert ist, wenn es zu einer Krise kommt, dann gehen die Raketen nach Büchel, das ist ganz klar.

Einmal im Jahr bricht Engelke zusammen mit einigen Mitstreitern nach Büchel auf, zu einem öffentlichen Fasten, wie er es nennt, immer Anfang August in Erinnerung an die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki. Das war auch in diesem Jahr, 70 Jahre danach, nicht anders.

Und wie reagieren die Soldaten vor Ort?

Sehr unterschiedlich. Es hat anfangs sehr erboste Reaktionen gegeben, immer aber auch interessierte Reaktionen von einzelnen Soldaten. Einer kam zu uns, der meinte, wenn Sie wüssten, wieviel Unterstützung Sie hinterm Zaun haben, das glauben Sie ja gar nicht, dann meinte ich, ja warum äußern die sich nicht, damit unsere Bundesregierung erkennt, sie kann nicht einfach dahingehen und das als selbstverständlich annehmen, dass deutsche Soldaten im Einsatzfalle diese Bomben abwerfen würden, das geht nicht.

Matthias Engelke ist nicht nur unermüdlicher Kämpfer gegen Atomwaffen, er ist auch davon überzeugt, dass eine gewaltfreie Welt im Sinne Jesu möglich und nötig ist. Mehr dazu nach der Musik.

Teil 2

Und mit Matthias Engelke. Der evangelische Pfarrer ist nicht nur ein unermüdlicher Aktivist gegen die Atomsprengköpfe im rheinland-pfälzischen Büchel. Er versucht auch, sein Leben grundsätzlich an der Gewaltfreiheit Jesu im Sinne der Bergpredigt zu orientieren. Das ist idealistisch und ehrenwert, denke ich, und jeder Christ und jede Christin sollte das versuchen. Aber ist es auch realistisch in allen Lebenssituationen? 

Ich versteh die Bergpredigt und die Botschaft der Bergpredigt als eine Einladung, in der jeweiligen Situation noch einmal innezuhalten und zu überlegen, wie hier das wirken kann, was von der Verkündigung Jesu, von dem anbrechenden Reich Gottes möglich ist. Da ist manchmal schon sehr viel getan, wenn ich zum Beispiel einfach nicht mitmache, wenn die Kriegspropaganda ihre Trommeln rührt, wie das vor dem Kosovo-Krieg ja nun der Fall gewesen ist, wenn man Distanz hält und die Perspektive der Opfer – egal auf welcher Seite – beibehält, dann gewinnt man eine andere Sicht. Und die Bergpredigt verstehe ich als solch eine Einladung, in dieser Sicht auch zu bleiben.

 Und das Prinzip Gewaltfreiheit sollte auch für Staaten gelten, sagt der der 57 Jahre alte verheiratete Seelsorger und Vater von zwei  erwachsenen Kindern.

Das Gewaltmonopol der Staaten, die sie für sich nach außen hin in Anspruch nehmen, dass sie sagen, wir haben das Recht eine Armee zu unterhalten, ist ein Anachronismus. Solange Staaten glauben, sie müssten mit tötender Gewalt eingreifen, ist das ein Defizit der Staaten, und das stimmt, so kann man mit der Bergpredigt keinen Staat machen, weil die Staaten noch nicht reif sind.

Im Internationalen Versöhnungsbund haben sich Engelke und seine Mitstreiter zuletzt mit der Frage beschäftigt, wie auch eine ungerechte Wirtschaft die Kriege unserer Zeit mitbefördert. Den Satz von Papst Franziskus, dass diese Wirtschaft tötet, kann der evangelische Pfarrer voll und ganz unterschreiben.

Nicht erst seit heute, sondern schon seit vielen Jahrzehnten. Auf der anderen Seite die Alternativen aufzuzeigen, ist kein Kinderspiel und es geht mit Sicherheit nicht  ohne den eigenen Einsatz, zu meinen, wir kämen aus dieser tötenden Kapitalismusfalle heraus, ohne dass das uns etwas kostet, trägt nur dazu bei, dass andere die Zeche zahlen müssen, wie sie es ja jetzt schon seit Jahrzehnten tun, die Menschen, die täglich sterben, weil sie kein sauberes Wasser bekommen oder nicht ausreichende Nahrung, sind ja diejenigen, die zurzeit dafür grade stehen müssen dafür, dass wir in diesem Luxus leben.

Sich mit Matthias Engelke zu unterhalten, ist ebenso anregend wie verstörend. Das Ideal der Gewaltfreiheit ist faszinierend, aber alles andere als leicht. Das habe ich schon vor 30 Jahren feststellen müssen, als ich mich zum ersten Mal damit beschäftigt habe. Aber es ist ein Stachel im Fleisch einer Welt, die wieder so voller Gewalt ist. Bei mir zumindest.   

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20397
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