SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Am Südportal der Kathedrale von Santiago de Compostela gibt es eine faszinierende Skulptur: die Erschaffung der Frau. Eva wird auf dieser Darstellung nicht aus der Seite des Mannes genommen. Sie steht als eigenständige Gestalt vor ihrem Schöpfer, auf Augenhöhe, selbstbewusst und voller Lebenskraft. Und ihr Schöpfer schaut sie an, lächelt dabei und scheint mit seinem Werk sehr zufrieden zu sein. Ein wunderbarer Augenblick, der den Menschen erhebt und zu einem aufrechten Leben ermutigt und befähigt.

Dieses Schöpfungsbild außen am Portal hat für mich eine tiefe Bedeutung. Es zeigt den Eintretenden an, was drinnen gefeiert wird. Es vermittelt einen kleinen Vorgeschmack und ist wie eine Programmansage. Für das,was auf einen zukommt. Drinnen geht es um die Begegnung von Schöpfer und Geschöpf. Drinnen soll der Mensch nicht runtergemacht und erniedrigt werden, drinnen soll er zu sich selber kommen und sich seiner großen Würde bewusst werden. Drinnen soll er eine Botschaft hören, die tröstet und Hoffnung stiftet und einen lebenswerten Weg weist. Wie eine verlockende Einladung wirbt dieses Schöpfungsbild an der Außenfassade fürs Eintreten .Und stellt dabei keine Bedingungen .Egal woher einer kommt oder was einer auf dem Buckel  oder in seinem Herzen trägt, er wird von seinem Schöpfer liebevoll angeschaut und berührt.

Leider Gottes  haben viele Menschen ein anderes Gottesbild vermittelt bekommen und die Augen Gottes eher als Organe der Kontrolle empfunden, die Angst einflößen. Augen, die alles ausspionieren und denen nicht verborgen bleibt, Augen, die Menschen einschüchtern und kleinhalten und jeden Anflug von Freiheit im Keim ersticken wollen. Von wegen Augenhöhe! Vielen blieb gar nichts anderes übrig als vor diesen göttlichen Augen zu fliehen und einem solchen Aufseher-Gott zu kündigen. Gott und Freiheit, das ging für sie nicht zusammen.

Mir ist deswegen dieses Bild in Santiago so wichtig geworden. Es zeigt ein anderes Gottesbild. Gott und Mensch auf Augenhöhe und so bei einander, dass keinem von beiden etwas genommen wird. Der Mensch wird nicht zur Marionette, er darf frei und eigenständig handeln. Und der Schöpfer schaut ihn liebevoll an und lächelt. Jetzt muss der Mensch sich  nicht mehr fürchten oder sogar verstecken. Ich darf mein Visier herunter lassen. Gott schaut mich an. Und erst jetzt entdecke ich, wer ich wirklich bin

Musik 

Aufrecht und bereit steht der Mensch vor seinem Schöpfer. So zeigt es eine Darstellung am Südportal der Kathedrale von Santiago de Compostela. Davon habe ich im ersten Teil meiner Sonntagsgedanken gesprochen. Wer hier eintritt, weiß ,dass er willkommen ist. Gott liebt, was er geschaffen hat.

Wer durch das Südportal die Kathedrale wieder verlässt, kann sich nochmals die Erschaffung der Eva anschauen und dann ihr Lächeln aufnehmen und bewahren. Gott muss ein Liebhaber seiner Schöpfung sein!  Genial hat der unbekannte Künstler seine Überzeugung  in Stein gehauen und berührt damit tagtäglich unzählige Pilger, die in Santiago ankommen.

Vor wenigen Tagen hat Papst Franziskus ein bedeutendes Schreiben veröffentlicht. Es ist ein Loblied auf alles, was Gott geschaffen hat und ist voller Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens. Der Papst erinnert in seinem Schreiben besonders an die Verantwortung der Menschen. Mit ihren Gaben und Fähigkeiten sollen sie die Schöpfung bewahren und pflegen und dafür Sorge tragen, dass alle Menschen das haben, was sie zum Leben brauchen.

Man spürt es dem Schreiben des Papstes an. Er ist besorgt darüber, wie wir mit den natürlichen Lebensgrundlagen umgehen, wie sich die Welt immer mehr aufteilt in reiche und arme Menschen und wie wir immer wieder das zerstören, was uns anvertraut wurde. Er will mit seinem Schreiben wachrütteln und möglichst viele auf den Weg einer bewussten Umkehr mitnehmen. Er schreibt von der Schönheit der Schöpfung und von der Liebe dessen, dem wir das alles zu verdanken haben, er schreibt aber genauso von der Verantwortung der Menschen, denen Gott ein großes und schönes, und für alle bewohnbares Haus übergeben hat.

Gott muss ein Liebhaber seiner Schöpfung sein. Der unbekannte Künstler von Santiago und der Papst in Rom teilen miteinander diese Überzeugung. Und beide werben um möglichst viele Menschen, die sich heute von dieser Botschaft bewegen lassen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20097
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