SWR2 Wort zum Tag

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Drei weiße Gladiolen in der einen Hand und eine weiße Kerze in der anderen. So stehe ich am Soldatenfriedhof in Halbe bei Berlin. Die Adresse habe ich im Internet gefunden auf der Seite des deutschen Volksbundes.  Dort hab ich auch den Namen meines Großonkels gefunden: Emil Pfundner, Obergefreiter. Er war der jüngste Bruder meiner Großmutter. Sie hat mir oft von ihm erzählt. Mit 20 ist er in den Krieg gezogen und nie mehr heimgekommen. Was von ihm geblieben ist, sind schwarzweiß Fotos. An eines kann ich mich noch gut erinnern. Emil liegt in einem Lazarettbett. Mit gebrochenem Arm und verbundenem Fuß lächelt er in die Kamera. Das ist das letzte Bild von ihm. In diesem Lazarett ist er wohl kurz vor Kriegsende verstorben. Genaueres weiß man nicht. Auch nicht, wo er begraben worden ist. Und nun stehe ich an diesem Friedhof, auf dem 20.000 Soldaten des 2. Weltkriegs begraben liegen. Das ist Emils letzte Ruhestätte. Es liegt so eine Stille über diesem Ort. Ein schön gepflegter Rasen, viele Bäume und viele Gräber. Viel zu viele. Die schwarzen Mamorplatten liegen Seite an Seite. Ich gehe sie alle ab, Schritt für Schritt.  Bis ich bei Reihe 30 bin. Da finde ich den Namen meines Großonkels, neben fünf weiteren. Alle sind Ende April 1945  in dem Lazarett bei Halbe verstorben und ruhen nun gemeinsam in diesem Grab. Ich kann nicht anders, ein letzter Gruß von meiner Oma, rutscht mir von den Lippen. „Sie hat dich ihr Leben lang vermisst, Emil.“ Tränen rollen über mein Gesicht. Ich stelle die Blumen ab, zünde die Kerze an und ich bete.

Erst jetzt fällt mir auf, dass oberhalb der Grabplatte eine weiße Birke steht. Meine Oma hat Birken geliebt. Diese ist besonders schön. Ihre  langen Äste reichen weit in den Himmel hinein. Mein Blick geht nach oben. Der Himmel ist so blau und die Sonne wärmt mein Gesicht.

An diesem Grab spüre ich, wie wichtig es ist, einen ganz bestimmten Ort zu haben, um zu trauern und sich verabschieden zu können. Wie dieses Grab mit dem Namen meines Großonkels drauf. Ich denke an alle, die bis heute nach ihren lieben Verstorbenen aus den beiden Weltkriegen suchen, die um sie trauern und sie vermissen. Ich gehe noch eine Weile über den Friedhof. Ganz oben gibt es eine Kapelle und daneben steht eine Figur, die heißt: die Trauernde. Sie hat eine Glocke dran, die die Besucher des Friedhofs anschlagen können. Zur Erinnerung an die vielen sinnlos verstorbenen Weltkriegsopfer. Das mache ich dann auch. Die 3 Schläge hallen immer noch in meinen Ohren nach, für den Frieden, für den Frieden, für den Frieden. Heute vor 70 Jahren ist in Europa der 2. Weltkrieg zu Ende gegangen.

www.weltkriegsopfer.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19745
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