SWR2 Wort zum Tag

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Der Mystiker Meister Eckhart schreibt um das Jahr 1300 über das Gebet: ”Ein Mensch gehe übers Feld und spreche ein Gebet und erkenne Gott, oder er sei in der Kirche und erkenne Gott: erkennt er darum Gott mehr, weil er an einer ruhigen Stelle weilt, so kommt das von seiner Unzulänglichkeit her, nicht aber von Gottes wegen: denn Gott ist gleicherweise in allen Dingen und an allen Stätten.”

Dürfen sich durch dieses Zitat die Menschen bestätigt fühlen, die sagen: ich kann im Wald besser beten als in der Kirche, denn in der Natur fühle ich mich Gott näher? Auf der anderen Seite: Meister Eckhart, der dies geschrieben hat, war Mönch und hat mindestens 5 mal am Tag und in der Nacht mit den anderen Mönchen zusammen in der Kirche gebetet. Er taugt also nicht als Kronzeuge für ein Entweder - Oder.

„Ein Mensch gehe übers Feld und spreche ein Gebet und erkenne Gott, oder er sei in der Kirche und erkenne Gott .... . Gott ist gleicherweise in allen Dingen und an allen Stätten.” 

Deshalb können wir beten, weil Gott in allen Dingen ist. Beten kann dann heißen: immer wieder in meinem Leben mich besinnen, daß Gott da ist.

Beten heißt nach Meister Eckhart: in meinem Leben Gott erkennen. Beten muß also nicht heißen: vom Leben weggehen, möglichst alles auszublenden versuchen, um nur noch an Gott zu denken. Wenn ich darauf höre, was Gott durch mein Leben sagt, dann bete ich. So gesehen ist beten so spannend wie das Leben: mal harmonisch, mal voller Konflikte oder Mißverständnisse, immer wieder voller Fragen. Das geht von „Lobe den Herrn, meine Seele, für alles, was er dir Gutes tut” bis zu „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen”, vom Verfluchen der eigenen Geburt bis zum Dank für das Leben. Sich dem Leben stellen, darin Gott zu erkennen suchen und Antwort geben im Handeln und vielleicht im lauten oder leisen Sprechen - das ist Gebet.

Wenn ich überlege, was uns in diesem lebenslangen Gebet helfen kann, dann fallen mir durchaus der Wald und die Kirche ein: der Wald steht für die Offenbarung Gottes in der Natur und dafür, daß ich persönlich, eigenständig das Gespräch mit Gott suche. Die Kirche steht für die Offenbarung Gottes in den anderen Menschen und dafür, daß wir einander helfen können, Gott zu erkennen in allen Dingen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19626
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