SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Zwei Jahre sind schon vergangen, seit der damals  unbekannte argentinische Kardinal Bergolio als Papst Franziskus vor eine überraschte und staunende Öffentlichkeit trat. Unvergesslich bleibt für mich das schlichte „Guten Abend“, mit dem der neugewählte Papst die Menge begrüßte und dann seine Bitte dass die Menschen ihn segnen. Was für ein Zeichen! Was für eine beeindruckende und herzliche Menschlichkeit.

Ein neuer Papst der nicht in brokatenen Gewändern erscheint und eine angehobene Amtssprache spricht sondern einer, einfach und bescheiden auftritt und so die Herzen der Menschen berührt. 

Es wird sehr bald deutlich, wie er sein neues Amt versteht. Er geht unverkrampft auf die Menschen zu, durchbricht höfische Gepflogenheiten und weigert sich, in den päpstlichen Palast ein zu ziehen.

Einiges ist seit seiner überraschenden Wahl seitdem  in Bewegung gekommen und manch einer in der Nähe des Papstes, nicht nur seine Sicherheitsbegleiter, kommen ins Schwitzen, weil der Papst vom anderen Ende der Welt, so hatte er sich selbst vorgestellt, mit vielen alten Privilegien und Ritualen aufräumt und nicht aufhört, eine glaubwürdigere und barmherzigere Kirche zu fordern ,auch gegen den Widerstand engster Mitarbeiter, denen seine Offenheit scheinbar zu weit geht. 

Wie ein roter Faden zieht sich durch all seine Äußerungen das Wort von der Barmherzigkeit. Für ihn ist es das zentrale Thema des Glaubens und eine der größten Herausforderungen für die Kirche. Ihm sei, sagt er, eine „verbeulte“ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund  ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, krank ist. Ich glaube, so kann nur jemand reden, für den nicht die Gesetze und Normen im Vordergrund stehen, sondern der jeweilige Mensch, gerade wenn dieser vom Leben verbeult und verletzt worden ist. 

Unvergesslich bleibt mir, wie er vor jungen Strafgefangenen niederkniete, ihnen die Füße wusch und sie mit seinem gütigen Lächeln anschaute. Ein Papst der berührt weil er sich selber berühren lässt und der mit seinen Augen und seinen Händen ausdrückt, was für ihn Barmherzigkeit bedeutet. Er gibt den Straffällig gewordenen, was sie brauchen. Er zeigt ihnen ihre Würde, die sie trotz ihrer Schuld immer noch haben. Keiner von ihnen ist nur eine Nummer, oder eben nur ein Fall. Schon gar nicht ein hoffnungsloser. Allerdings, das Geraune im Hintergrund ist nicht zu überhören. Besonders skandalös empfinden manche, dass er sogar einer jungen Muslimin die Füße gewaschen hat. Und der Papst? Er lässt sich offensichtlich von solchen Bremsversuchen nicht beirren. Er macht weiter. Gott sei Dank. 

 Musik 

Ein Mensch, der viele berührt weil er sich selber von den Menschen berühren lässt-ich spreche heute in den Sonntagsgedanken über Papst Franziskus, dem die Barmherzigkeit ein zentrales Anliegen seiner Verkündigung ist. Kirche darf nicht nur als Hüterin von Gesetz und Lehre erfahren werden, sondern soll der Ort sein, wo Gottes Barmherzigkeit erlebbar ist. 

Vielleicht klingt für unsere modernen Ohren das Wort Barmherzigkeit abgegriffen und altmodisch. Interessant ist für mich jedoch das hebräische Wort in der Bibel. Wenn da von Barmherzigkeit die Rede ist, wird vom Mutterschoß gesprochen. Also der Ort, wo neues Leben heranwächst, wo ein Mensch zum Leben kommen und groß werden darf. Barmherzigkeit ist demnach mehr als nur Mitgefühl...

„Du hast mehr Möglichkeiten als du ahnst“-ich denke, mit dieser Einstellung begegnet auch Jesus seinen Mitmenschen, besonders denen, die keine Möglichkeiten mehr sahen und an der kalten Realität ihrer Umgebung zu erfrieren drohten. Ich denke zum Beispiel an die Geschichte jener gekrümmten Frau, die von dunklen und schweren Gedanken geplagt und buchstäblich niedergedrückt wurde. Alle in ihrer Nähe waren überzeugt, die muss irgendwie gesündigt haben, anders lässt sich ihre Krankheit nicht erklären. Und fertig war ihr Urteil. Und genauso fertig waren sie mit dieser Frau. Jeder ging ihr aus dem Weg und wollte nichts mit ihr zu tun haben. Nur einer gibt  ihr eine zweite Chance. Jesus erblickt sofort, was Not tut. Er schaut sie an, spricht mit ihr und sieht nicht nur ihre Krankheit sondern viel tiefer die Sehnsucht nach einem anderen, nach einem heilen Leben. 

Jesus hat in diesem Augenblick nicht das Gesetz im Sinn, nicht die Frage, was ist am Sabbat erlaubt oder nicht, er lässt sich ganz unmittelbar von der Not eines Menschen betreffen  und bezeugt ein Vertrauen, das über den Geltungsbereich der Gesetze hinausführt. Die sind nämlich für die Menschen da und nicht umgekehrt, die Menschen  für die Gesetze. 

Es scheint an der Zeit, dass die Kirche diese Zuordnung wieder begreift und in entsprechendes Handeln umsetzt.  Sie findet in den Geschichten der Bibel genügend Beispiele dafür, wie ein barmherziger Gott sich immer wieder von der Not gescheiterter und gefallener Menschen bewegen lässt, wie er mit unendlicher Langmut seinen Geschöpfen einen Neuanfang möglich macht ,wie er nicht aufhört, sie von neuem in die Freiheit zu entlassen. 

Ich wünsche ihnen einen erholsamen und gesegneten Sonntag und vor allem viele barmherzige Menschen, die ihnen Mut machen, sie bestärken und wenn es nötig ist, eine zweite Chance geben.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19454
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