SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Weihnachten. Alle Jahre wieder.
Die feierliche Stimmung, die Lichter an den Weihnachtsbäumen, die Lieder, die Weihnachtsgeschichte, der Blick auf die Krippe. Jedes Jahr aufs Neue.
Licht mitten in der dunklen Jahreszeit.
Weihnachten - mit seiner Vertrautheit, mit liebgewonnenen oder auch manchmal nervenden Ritualen. Alle Jahre wieder.
Wir leben aus Wiederholungen. Frühling und Herbst, Sommer und Winter, Hitze und Kälte, Saat und Ernte - alle Jahre wieder. Geburtstage, Jahrestage, Gedenktage – alle Jahre wieder. Und Weihnachten nicht anders.
Aber es geht gar nicht nur um den Jahreslauf der Natur oder um die geschichtliche Wiederkehr derselben Anlässe. Wiederholung ist auch das Grundmuster des menschlichen Lebens.
Liebende, die einander ihre Liebe nicht immer wieder mitteilen, werden einander fremd. Eltern, die ihre Kinder nur ausnahmsweise erfahren lassen, dass sie akzeptiert sind, lassen ihre Kinder verarmen. Also nicht nur: Alle Jahre wieder, sondern alle Tage wieder.
In Wiederholungen erfahre ich den Reichtum des Lebens.
Und auch für Weihnachten gilt: Hätten unsere Vorfahren nicht Jahr um Jahr Weihnachten gefeiert, würden wir es nicht mehr feiern.
Meine Gedanken bewegen sich zwischen dem, was immer schon so war und dem, was sich verändert oder verändern kann.
Vieles von dem, was sich wiederholt, ist vertraut, verlässlich.  Aber ich weiß auch, dass Wiederholungen verschleißen und  lähmen können. Denn wo die Routine überwiegt, verschwindet der Gehalt. Dann wird aus einem Alle Jahrewieder ein resigniertes Schon wieder.
Wie komme ich aus diesem Dilemma heraus, einerseits Wiederholungen zu brauchen und andererseits ihre Entleerung vermeiden zu wollen? Wie erreiche ich es, mich auf Wiederholungen einzulassen und zugleich der Gefahr der Routine zu entgehen?
Ich denke, dass ich das Altvertraute auch mit neuen Bildern und neuen Worten verbinden darf, in der Hoffnung, vielleicht das Alte im Neuen und das Neue im Alten sehen zu können.
Dafür ein Beispiel: Aus dem alten Lied „Es ist ein Ros entsprungen“ nehme ich die Verse:
und hat ein Blümlein bracht
mitten im kalten Winter
 
Und aus dem Lied „Maria durch ein Dornwald ging“ die Verse:
Als das Kindlein durch den Wald getragen,
da haben di
e Dornen Rosen getragen.
Das sind schöne Bilder, die sich aber schwer ins heutige Leben übertragen lassen. Wenn ich sie mit einem nicht weihnachtlichen Bild von Hilde Domin vergleiche, kann ich durchaus Zusammengehöriges erkennen:
Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
Meine Hand
greift nach einem Halt und findet
nur eine Rose als Stütze.
Was will mir die Zusammengehörigkeit der Texte heute sagen?
Gehört es nicht in mein Leben, dass ich mich im Winter meines Daseins, auf der Flucht vor mir und anderen - das heißt umgeben von lauter Dornen - häufig frage: wo finde ich Schutz und Geborgenheit oder die Kraft zum Weiterlaufen?
Sicher nicht dort, wo ich gekränkt und infrage gestellt wurde, nicht dort, wo für mich Stärke und Macht überwiegen, nicht dort, wo meine Schwäche und Verletzlichkeit übersehen wurden, sondern erst dort, wo ich erkenne, dass auch die Dornen Rosen tragen können, ich eine schwache Rose als Stütze erfahre.
Wo aber ist das? Und vor allem, wie geschieht das – damals wie heute?
Weil ein Kindlein durch den Wald getragen wurde, muss ich nicht im kalten Winter, nicht in der Schlaf- und Schutzlosigkeit meines Lebens zerbrechen, sondern darf dem Blümlein, der Rose als Stütze, inmitten des Dornwaldes vertrauen.
Das zu wiederholen und mit immer neuem Inhalt zu füllen, ist die Botschaft von Weihnachten – Alle Jahre wieder und so auch jeden Tag.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18906
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