Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Einladung zur Dankbarkeit“ – so lautet der Titel eines Büchleins, das ich in diesem Sommer gelesen habe.[1] Es enthält eine Fülle von Gedanken, über die ich nur staunen kann. Man sollte ja meinen, Dankbarkeit sei etwas so Alltägliches, dass man eigentlich alles darüber weiß. Doch die „Einladung zur Dankbarkeit“ geht von einer gegenteiligen Erfahrung aus. Wir seien heute eine ziemlich undankbare Gesellschaft, heißt es da. Wir wollten immer noch mehr besitzen, weil wir nicht dankbar sein könnten für das, was wir schon haben. Dabei seien unsere Vorfahren dankbare Menschen gewesen und hätten durch ihre Dankbarkeit Freude gefunden. Denn ihnen sei bewusst gewesen, dass es einen „Geber aller Gaben“ gibt, und dass sie selbst Gabe seien.

Besonders berührt hat mich in dem Büchlein das Kapitel „Wie wir dankbare Menschen werden“. Dankbarkeit, heißt es da, beginnt im Bereich der Sinne, wörtlich: „…mit jener staunenden Freude, die sich am Sinnlichen ganz von selbst entzündet. Wer das bezweifelt, braucht nur ein Fußbad zu nehmen. Da wird Dankbarkeit ganz spontan lebendig.“ Die gleiche Erfahrung kann ich fast überall machen, wo der Alltag mich hinführt. Ich merke: Ich brauche nur darauf zu achten, und Dankbarkeit wird mich beinahe überwältigen. Die Frage ist, ob ich das tue. Der Autor verrät, dass er seit Jahren täglich in seinen Taschenkalender zumindest eine Sache schreibt, für die dankbar zu sein ihm vorher noch nie in den Sinn gekommen ist. Wer darin eine schwierige Übung vermutet, wird staunen, wie viele Gründe einem in den Sinn kommen können, dankbar zu sein.

Seit ich diesen Gedanken gelesen habe, ertappe ich mich dabei, nach solchen Gründen zu suchen. Und so freue ich mich plötzlich über die bunten Blumen auf einer Verkehrsinsel mitten in der Stadt, ebenso, wie über die freundliche Beratung am Schalter des Reisezentrums der Deutschen Bahn und über die Sorgsamkeit, mit der meine Friseurin mir die Haare geschnitten hat. Es stimmt: Solche Alltäglichkeiten sind mir vorher nicht weiter aufgefallen. Inzwischen tun sie es, und so werden sie zu Gelegenheiten dankbar zu sein, auch Gott gegenüber, dem Geber aller Gaben.


[1] David Steindl-Rast, Einladung zur Dankbarkeit, hrsg. von Ulla Bohn, Freiburg im Breisgau (Kreuz Verlag) 2012.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18451
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