SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Es ist auffallend. Fast bei jeder Fernsehübertragung von der  Fußball Weltmeisterschaft in Brasilien wird das Wahrzeichen von Rio de Janeiro eingeblendet. Über der Millionenstadt erhebt sich eine über 30 Meter Hohe Statue mit weit ausgestreckten Armen, errichtet anlässlich des hundert jährigen Jubiläums der Unabhängigkeit Brasiliens. „Die Brasilianer nennen diese grandiose Figur:“Cristo Redentor“ das heißt auf Deutsch: “Christus der Erlöser.

Die große einladende Geste der Christusfigur hat eine tiefe symbolische Bedeutung, die viele Menschen berührt und anspricht. Da öffnet jemand mit ausgestreckten Armen enge Grenzen und Horizonte. und macht deutlich, dass er für alle da ist, weithin sichtbar und zugänglich. Es ist eine menschliche Geste, die niemand ausschließt und keinem den Zutritt verwehrt. Hier ist Platz für alle. In dieser Offenheit finden sich die Schönen von Rio genauso wie die Armen von den Müllkippen, die Sieger aus den Stadien, wie die Verlierer, die Einheimischen und die Fremden. Egal von welcher Seite jemand zu den offenen Händen hinaufblickt, er wird feststellen, die Hände bleiben offen als würden sie die ganze Welt empfangen.

Diese gewaltige Figur ist nicht nur eine touristische Attraktion, zu der täglich die Massen hinaufsteigen, sie ist im besten Sinn ein Denkmal, das zum Nachdenken anregt und auf sprechende Weise die Botschaft des Evangeliums verkündet. Ich denke zum Beispiel an die Verse aus dem Matthäusevangeliums „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Oder nach einer anderen Übersetzung:“ich werde euch aufatmen lassen“(Mt 11,28).Jesus richtet sich hier nicht an eine bestimmte Glaubensgemeinschaft oder Volksgruppe, an keine der vielen Parteiungen seiner Zeit. Er spricht zu allen. Erst recht zu denen , die eine schwere Last tragen und gerne das drückende Gepäck ihres Lebens endlich ablegen möchten. Und sicher spricht er auch  zu denen, die ihren Glauben und ihre Religion als drückendes Joch empfinden. Sein Ziel ist nicht der verkrümmte und niedergedrückte sondern der aufgerichtet und befreite Mensch. Er erzählt von einem Gott, der niemand ausgrenzt oder abschreibt. und verkörpert mit dem, was er sagt und tut diese grenzenlose Offenheit Gottes und dessen unerschöpfliche Liebe zum Menschen.

 Ich meine, es ist kein schlechter Nebeneffekt, dass zur Zeit mit den Bildern aus Rio ganz nebenbei und sicher nicht mit Absicht diese Sicht auf die ausgebreiteten Hände Jesu mitgeliefert wird.                            

(Musikalisches Intermezzo)

Die offenen Hände haben Platz für alle. Ich spreche heute von der Christusfigur in Rio de Janeiro, die weithin sichtbar die Botschaft Jesu bezeugt. Sie erinnert mich an ein kleines prägnantes Gedicht, das der Lyriker Reiner Kunze vor vielen Jahren geschrieben hat. Und darin heißt es: “wer da bedrängt ist  findet ein Dach und Mauern. Und muss nicht beten“. Reiner Kunze  hat dieses Gedicht einem Pfarrer gewidmet. Es trägt den Titel Pfarrhaus und beschreibt, was Gastfreundschaft meint: einen Ort der Geborgenheit und der Sicherheit, wo jemand einfach willkommen ist. Und wo keine Bedingungen gestellt werden. Stellen sie sich das vor, ein Pfarrhaus, wo man nicht beten muss! Kunze beschreibt eine Offenheit, die dem anderen  Raum lässt, sich selber zu sein und ihm nichts abverlangt, zu dem er nicht oder noch nicht in der Lage ist. Eine Offenheit, in der der andere sich zeigen darf, wie er ist und wo er etwas spürt von der Achtung und dem Respekt, mit dem Jesus jedem Menschen begegnet.

Es gehört eine große Gelassenheit und Freiheit dazu, den anderen wirklich anders zu lassen. Aber erst so kommt es zu echten Begegnungen und erst so können wir uns verändern. Ich denke an die Begegnung Jesu mit Zachäus, .Mit dem wollte niemand sich an einen Tisch setzen. Er war außen vor und als Zollbeamte richtig verhasst. Mit so einem setzt sich Jesus an den Tisch, ohne zuvor von Zachäus dies oder das zu verlangen. Wir wissen, diese Begegnung hat das Leben des Zachäus total verändert. In der einladenden Gastfreundschaft Jesu hat er für sich selbst einen neuen Weg gefunden.

„Wer bedrängt ist findet Mauern und ein Dach und muss nicht beten“. Die Betonung liegt auf muss. Er muss nicht beten, aber findet hoffentlich Menschen, die für ihn beten und interessiert Anteilnehmen, an dem was er lebt und glaubt und hofft. Und er findet hoffentlich eine große Achtung vor dem ,was er als Fremder mitbringt  Kunzes Gedicht sollte nicht nur über allen Pfarrhäusern stehen, sondern über unseren Kirchen und kirchlichen Einrichtungen und über allen Häusern, wo Christen wohnen. Nicht als folgenlose Poesie, sondern als ständige Erinnerung daran, nicht neue Barrieren und Hürden zu errichten, sondern allen zu zeigen, dass sie wirklich willkommen sind.

Einmal nach der kürzesten Definition für Kirche gefragt, antwortete der frühere Münchner Kardinal Julius Döpfner:“das kürzeste Wort für Kirche heißt für mich: Einladung!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17886
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