Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Manchmal hat man das Bedürfnis, sich bei einem Menschen zu entschuldigen. Aber man schiebt es aus irgendwelchen Gründen immer wieder vor sich her. Dabei könnte es so einfach sein: Wenn man das Bedürfnis hat, sich zu entschuldigen, dann sollte man es einfach tun. So wie der frühere Finanzminister Theo Waigel. Vor nicht allzu langer Zeit hat er sich bei einem anderen Politiker entschuldigt – und ist darüber heute sehr froh. Die Geschichte begann Anfang der neunziger Jahre. Nach einem Wahlabend ging es in einer Fernsehdiskussion ziemlich heftig zur Sache. Waigel, damals Finanzminister unter Helmut Kohl, kanzelte den damaligen Chef der PDS, Lothar Bisky, mit den Worten ab: „Von einem alten Kommunisten muss ich mir wohl nichts gefallen lassen!“ Dieser Satz tat Waigel später leid. Der CSU Politiker erkannte, dass er Lothar Bisky mit diesem Satz Unrecht getan hatte. Waigel hatte den Wunsch, sich bei dem linken Politiker zu entschuldigen. Doch wie es der Zufall wollte, ergab sich fast zwanzig Jahre lang keine Begegnung mehr zwischen den beiden Politikern. Erst im vergangenen Sommer trafen sich die beiden wieder. Eine große Tageszeitung hatte ehemalige Spitzenpolitiker zu einem Gespräch eingeladen. Theo Waigel wollte die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Auf dem Weg zum Fototermin sprach er Lothar Bisky auf jenen Fernsehabend an und sagte: „Damals habe ich ihnen sehr unrecht getan!“ Der Angesprochene reagierte locker und meinte nur: „Das ist doch kein Problem, auch ich habe Sie doch damals attackiert.“ Damit war die Sache zwischen den beiden erledigt. Nur wenige Wochen nach diesem Gespräch starb Lothar Bisky an den Folgen eines Sturzes. Als Theo Waigel von seinem Tod erfuhr, sagte er: „Ich bin froh, dass ich diese alte Geschichte noch beigelegt habe.“ Manchmal ist es eben gut, die Gelegenheit für eine Entschuldigung nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.

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