SWR1 Begegnungen

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Eberhard Hüser aus Mainz: Im Berufsleben war er bis zu seiner Pensionierung im Mai Personalchef des Bistums. In seiner Freizeit fährt er seit mehr als 20 Jahren jeden Sommer nach Lourdes in den französischen Pyrenäen. Doch nicht als Reiseleiter, sondern um in der Krankenstation mitzuhelfen. Warum er von den kranken Menschen mehr lernt als von manchem Professor, darüber hat sich Michael Kinnen von der Katholischen Kirche mit ihm unterhalten.

 Teil 1. Lourdes fasziniert – wenn die Sehnsucht kommt 

Ich treffe Eberhard Hüser in seinem Büro in Mainz. In Gedanken ist er schon bei seiner nächsten Lourdes-Wallfahrt. Über 20 mal schon war er dort. Jedes Jahr. Und es fasziniert ihn immer wieder. Dabei ist das alles andere als ein Urlaub, was ihn dort erwartet: 

Sie nehmen sich Urlaub, um anderen Menschen zu helfen. Salopp könnte ich sagen: Die nehmen sich Urlaub, um andere zu duschen oder den Po abzuwischen  

Mit anderen unterstützt Eberhard Hüser kranke und behinderte Menschen in Lourdes, hilft ihnen in den Bädern, beim Essen und begleitet sie dorthin, wo sie selbst nicht hinkommen. Der ehemalige Personalchef ist Dienstleister – und gleichzeitig Schüler...:

Ich lerne von deren Leben, wie die mit ihrem Leben und den Konflikten umgehen,  wie sie mit dem Rollstuhl umgehen, wie sie mit der Scheidung umgehen, wie sie mit der Krankheit: Da drin noch Mut zu finden, danach Sehnsucht zu haben in Lourdes und mit denen unterwegs zu sein, bereichert mich sehr.  

Unterwegs sein mit anderen, Begegnungen, die bereichern. Das klingt alles sehr fromm. Und wer an Lourdes denkt, der hat vielleicht betende und singende Menschen vor sich, rosenkranzbetende Senioren. Aber Eberhard Hüser sieht das anders: 

Das sind Menschen wie du und ich. Ganz normale Leut, aber Menschen mit viel Sehnsucht. Das ist vielleicht der Unterschied: viel Sehnsucht!  

Die Sehnsucht. Mhh. Sehnsucht hab ich auch: Nach einem gelingenden Leben, nach Liebe, Freundschaft, Gesundheit und Glück. Aber muss ich dazu nach Lourdes pilgern? Was passiert da überhaupt in Lourdes? Eberhard Hüser erzählt mir von einer Frau, mit einem Gesicht, dem man Leiden und Krankheiten ansah. Die Spuren eines leidvollen Lebens. Sie kam nach einer Lourdeswallfahrt wieder nach Hause...

 ...und der Taxifahrer hat sie dahingebracht. Und da hat sie ihm gesagt: Jetzt hupen Sie mal. Und aus allen Türen, die da in diesem Ensemble waren, kamen Leute gerannt und sagten: Was ist denn mit dir? Du hast ja ein ganz anderes Gesicht bekommen. Sie strahlte einfach. Und wahrzunehmen: Da ist ein anderes Gesicht zurückgekommen, das ist eine Kostbarkeit.  

Passieren in Lourdes Wunder? Immer wieder liest man davon. Ich tue mich damit etwas schwer. Was sind schon Wunder? Vielleicht kann mir Eberhard Hüser das beantworten?

Was sind Wunder?Es passieren ganz viele, aber es werden nur wenige anerkannt. Diese strahlende Frau, von der ich eben erzählt habe, ist für mich so eine Art von Wunder.  

Ja, schon, ein Wunder des Alltags, so wie man sich über die kleinen Dinge des Lebens freuen kann. Aber geht es in Lourdes nicht um „richtige“ Wunder? Also etwas, wo man das Gefühl hat: Da wirkt Gott jetzt ganz konkret? 

Ich frage mich dann einfach: Warum diese Zeichen? Wunder oder Zeichen: Diese Zeichen? Damit sie mich vielleicht auch erschüttern, dass manches von Vorgefertigtem, was Gott so tun, einfach nicht passt. Ich krieg ihn nicht eingepackt in einen Betonkasten, er tut doch, was er will. Und oftmals erleb ich das. Und das ist auch ein wichtiger Wert von Lourdes. 

 Musik 

Teil 2. Im Leiden lernen – und den Himmel träumen 

Lourdes öffnet den Blick für neue Perspektiven. Und es passieren Dinge, die man zuerst gar nicht für möglich gehalten hat, sagt Eberhard Hüser. 

Ich erlebe Männer, die zunächst aussehen wie ein Pfau. Ich denke an eine Soldatenwallfahrt, wo Schwarze mit weißer schicker Admiralsuniform oder so was ähnlichem kamen. Und auf einmal stehen sie im Lendenschurz vor dem Bad und sollen still sein und überlegen, warum sie in das Bad gehen - und die Tränen kullern. Das lässt mich nicht kalt. Nackt vor Gott stehen. Ist das erbärmlich. Oder ist nackt vor Gott stehen der einzige, vor dem ich das darf?  

Eberhard Hüser ist keiner, dem man Sentimentalitäten nachsagt. Und doch merke ich ihm an, dass ihn das berührt hat, was er in Lourdes erlebt. Er hilft kranken und behinderten Menschen. Dabei ist er es, der lernt – von seinen Exerzitienmeistern, wie er sie nennt. 

Die müssen mir nichts sagen. Die müssen mir keinen religiösen Vortrag über eine Bibelstelle halten. Aber wie sie ihren Glauben leben. Oder wie dieser Mensch mit seinen Tränen seine Erbärmlichkeit zeigt, gestattet mir auch, zu meiner Erbärmlichkeit zu stehen. 

Das ist nicht das „Rummel-Lourdes“ der Touristen und Souvenirjäger. Das gibt es auch, aber das sieht Eberhard Hüser nicht mehr. Für ihn ist die Begegnung mit Menschen wichtig, die wie er Sehnsucht haben. Und die findet er nicht nur in Lourdes. Am Beginn seines Berufslebens hat er mal als Krankenhausseelsorger gearbeitet. Später war er Personalchef. Heute, im Ruhestand, engagiert er sich auch in der Hospizarbeit, verwaltet eine Stiftung. Und denkt an Menschen, die an der Schwelle des Lebens zum Tod stehen. Eine alte Frau zum Beispiel, die schon sehr krank war: 

Und dann sagt sie: Manches in der Bibel verstehe ich nicht. Da steht: Klopfet an und es wird euch aufgetan, bittet und es wird euch gegeben. Das funktioniert nicht immer. Tja, da sitzen sie mittendrin in einer Kostbarkeit, wo diese Frau über ihre Sehnsucht vom Sterben spricht: Klopfet an: Sie will zu Gott. Ich glaube, wichtig ist, dass wir uns angewöhnen aufmerksam zu sein: Was steht denn in dem kleinen Nebensatz, der da gerade gesagt wurde.  

Hinhören auf die kleinen Kostbarkeiten. Das beeindruckt mich. Wie oft überhöre ich im Alltagsrauschen diese kleinen Dinge, weil sie nicht laut und schrill genug daher kommen? Wenn jetzt die triste Zeit des Novembers beginnt, die Totengedenktage, das Düstere: Dann brauche ich solche kleinen Kostbarkeiten umso mehr. Damit der Tod und die Trauer nicht das letzte Wort haben. Aber was kommt dann? Eberhard Hüser erzählt mir beim Abschied von einer sterbenden Frau. Die erzählte ihm... 

Ich habe geträumt, dass ich ein langes weißes Kleid anhatte mit einem Stehbündchen – das musste sie immer haben, war ihre Mode. Ich war auf einem großen Fest mit ganz vielen Menschen. Ja, mein Mann war auch noch da, der war schon lange tot. Und er spielte wie immer Karten. Das machte nichts, ich konnte ihm das lassen. Sie hat ihren Himmel geträumt: Es sind viele Menschen da, die sie nicht kennt, aber alle sind freundlich. Sie können sich mit ihren Marotten ertragen, sie kann auch die Marotte des Kartenspiels ertragen, was sonst nicht ging. Das ist Himmel: ganz einfach ausgedrückt .

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16336
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