SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Seit meinem ersten Aufenthalt in Santiago de Compostella begleitet mich eine Begegnung, die mir besonders wichtig geworden ist. Es war so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Beim Eintritt in die grandiose Kathedrale durchschreitet der Pilger den Portico de la Gloria, das Tor der Herrlichkeit. Eines der größten Kunstwerke auf spanischem Boden. Dargestellt sind dort ein Reihe biblischer Gestalten und in der Mitte Christus, der mit einer einladenden Geste die Ankommenden Pilger empfängt. Es ist das Schlussbild am Ende eines langen und abenteuerlichen Weges und ist wohl auch gedacht als Hoffnungsbild für unsere irdische Pilgerschaft insgesamt. Nein nicht der Weg ist das Ziel. Der Weg hat ein Ziel! Er mündet in dieser weiten und offenen Einladung, die für jeden Platz hat.
Wird auf anderen romanischen oder gotischen Portalen unterwegs diese Ankunft eher als angsterregende Gerichtszene geschildert, der jedermann gnadenlos ausgeliefert scheint, klingt die Botschaft hier am Portico de la Gloria viel barmherziger und tröstlicher. Nicht umsonst sind dann auch Musiker abgebildet, die mit ihren Instrumenten offensichtlich zu spielen beginnen. Am Ende des Weges, am Ende des Lebens kann das Fest also richtig beginnen.
Dass diese hoffnungsvolle Botschaft einen Menschen glücklich machen kann sieht man einer der in Stein gehauen Gestalten besonders an. Es ist der Prophet Daniel. Seit Jahrhunderten steht er da und lächelt. Nichts kann ihn erschüttern, nichts verängstigen, nichts kann ihn aus seiner heiteren Gelassenheit bringen. Sein Lächeln ist einzigartig und ansteckend. Und man kann wirklich die Probe aufs Exempel machen. Wer sich vor dieses Bild hinstellt und dem lächelnden Propheten lange genug ins Gesicht schaut, wird bald nicht mehr damit beschäftigt sein, wie der Künstler dieses Lächeln wohl in den harten Stein gebracht hat - nein, er wird spüren, wie viel Ruhe, welche Heiterkeit und was für eine Tiefe von dieser romanischen Figur ausgeht.
Ich empfinde es als großes Glück, dass die unzähligen Menschen, die Tag für Tag in Santiago ankommen - gläubige und ungläubige, suchende und zweifelnde, verletzte und geschädigte, dass alle unterschiedslos in dieses gütige Gesicht schauen dürfen und dann vielleicht ahnen und spüren, dass hier tatsächlich einer am Ziel ist, angekommen und erwartet.

Im Zentrum Barmherzigkeit
Wenn schon steinerne Figuren Menschen zum Lächeln bringen können, wie viel mehr dann tatsächlich lebendige Gestalten aus Fleisch und Blut. In der vergangenen Woche wurde ein langes Interview bekannt, das Papst Franziskus einer Jesuitenzeitschrift gegeben hat. Unter anderem spricht er darin auch über sein Bild von Kirche und betont immer wieder, dass nicht die Gesetze und Normen an erster Stelle stehen, sondern die Barmherzigkeit. Was die Kirche heute brauche, sagt er, sei die Fähigkeit, die Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen - Nähe und Verbundenheit. Er sehe die Kirche wie ein Lazarett. Man müsse einen schwer Verwundeten nicht nach Cholesterin oder nach hohem Zucker fragen. Man müsse die Wunden heilen. Und dann könnten wir von allem Anderen sprechen. Der Papst räumt ehrlich ein, dass die Kirche sich oft in Kleinlichkeiten verrennt habe. Die Diener der Kirche aber müssten vor allem Diener der Barmherzigkeit sein, sich der Menschen annehmen, sie begleiten - wie der gute Samariter, der seinen Nächsten wäscht, reinigt, aufhebt. Der Papst spricht von einer Reform der Einstellungen und Haltungen, weil die Menschen Hirten bräuchten und keine Funktionäre.
Man nimmt ihm diese Worte ab. So wie er auftritt und die Menschen anschaut und berührt vermittelt er eine gütige und menschenfreundliche Botschaft. Dass er Jugendlichen Strafgefangenen die Füße wächst ist nicht die schrille Idee einer Werbeagentur sondern sein ureigenstes Bedürfnis. Das lässt hoffen. Der Papst verkörpert mit dieser Geste die Grundaussage des Evangeliums und zeigt, dass keiner ein hoffnungsloser Fall ist. Er sei ein Sünder, sagt er von sich selbst, ein Sünder, der aber vom Herrn berührt und angeschaut wird. Das ist die Frohe Botschaft, die er am eigenen Leib erfährt und die der Papst so leibhaftig und überzeugend weiter gibt.
Mich fasziniert, wie er auf Menschen zugeht - fast immer mit einem Lächeln. Nicht verlegen oder eingeschüchtert, nicht distanziert oder von oben herab. Einer, der zu Fuß geht und die Aktentasche selber trägt und wirklich auf Augenhöhe dem Menschen entgegen kommt. Und oft dabei lacht und andere herzlich in den Arm nimmt.
Man kann über diesen Papst staunen und sich wundern, man sich über ihn freuen, andere werden sich ärgern, man kann gespannt sein, was noch alles in Bewegung kommen wird oder auch nicht - man kann auch einfach nur dankbar sein, dass hier einer heiter und gütig und weise und fromm ist. So einer tut uns allen gut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16125
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