SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1

Heute würde ich wohl eher einen Bogen um Johannes machen. Wenn er mir auf der Straße oder in der Fußgängerzone begegnete würde ich schnell vorbeilaufen.
Wieder so ein Verrückter. So ein religiös Überspannter. Einer, der mit der Angst Menschen für die Religion gewinnen möchte.
Nein, Johannes der Täufer würde mich heute zunächst mal nicht in seinen Bann ziehen.
Einer, der sich nur von Honig und Heuschrecken ernährt. Einer, der aussieht, als ob er geradewegs aus der Wüste kommt mit seinem Kamelhaarumhang. Ein Asket, der andere bekehren möchte mit seiner Botschaft – der käme wohl heute nicht mehr an.
Doch damals zur Zeit des Neuen Testaments war das anders.
Die Leute waren fasziniert von Johannes, der so provozierend anders lebte und redete.
Nicht nur extrem in seinen Essgewohnheiten. Unbeugsam und mutig war er, wenn er die moralische Verkommenheit
der Oberschicht anprangerte. Radikal waren seine Predigten.
„Ihr Schlangenbrut, wer hat euch gesagt, dass ihr dem bevorstehenden Gericht Gottes entgeht? Zeigt durch eure Taten, dass ihr euch ändern wollt! Die Axt ist schon angelegt. Jeder Baum, der keine gute Früchte bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“
Damals traf Johannes mit seinen markigen Worten den Nerv der Zeit. Die Menschen hungerten nach Orientierung. Sie sehnten sich nach einer neuen Gotteskraft in ihrem Leben.
Und nicht wenige machten Nägel mit Köpfen. Sie ließen sich von Johannes taufen als Zeichen eines Neuanfangs in ihrem Leben.
Wäre es vielleicht doch nicht so schlecht, dem Johannes heute zu begegnen? Mal abgesehen von seinem wunderlichen Äußeren: Neu anfangen können – das wäre doch was. Wenn mir dadurch neue Kraft zuwächst. Das klingt verlockend.
Vielleicht sollte ich eine Entscheidung, die schon längst überfällig ist, endlich treffen und dann tapfer neu anfangen. Mit allen Konsequenzen, die damit verbunden sind, aber ich wage es jetzt!
Vielleicht sollte ich mutig werden, mein Herz in die Hand nehmen und mit Gottvertrauen einen neuen Weg gehen. Das Alte, das nicht mehr gut war, hinter mir lassen.
Endlich vergeben und verzeihen können, damit in der Familie wieder Entspannung einkehrt und wir uns wieder gelöst und fröhlich begegnen.
In der zerstrittenen Nachbarschaft reinen Tisch machen und einen gemeinsamen Neuanfang wagen.
Gott und dem Glauben eine neue Chance geben. Es noch einmal oder ganz neu mit ihm versuchen.
Johannes der Täufer hat dieses Angebot gemacht. Und die Menschen haben gespürt, dass ihnen das in ihrem Leben weiterhilft. Deshalb sind sie in den Fluss Jordan gestiegen und haben sich von Johannes untertauchen lassen. Das Alte sollte weggespült werden, um dem Neuen Platz zu machen.

Teil 2

Johannistag steht heute in meinem Kalender. Der Tag, an dem sich die Christen an die Geburt Johannes des Täufers erinnern. Die Bibel berichtet, dass Johannes 6 Monate vor seinem Cousin Jesus zur Welt kam. Heute ist der 24. Juni, also 6 Monate vor Heiligabend, der Geburt Jesu.
Was für ein schillernder Mensch war er. Wenn ich ihn mir vorstelle, dann sehe ich einen Mann, der eine Mischung aus Aussteiger, Prophet, Mystiker und Aufrührer war.
Und ein Mann, der sich großer Aufmerksamkeit sicher sein konnte. Durch seine äußere Erscheinung, aber auch durch die Kraft seiner Worte. Eigentlich hätte er sich im Erfolg sonnen können, weil er um seine Wirkung wusste. Denn Zulauf hatte er reichlich.
Tat er aber nicht. Johannes, der selbst zu den ganz Großen hätte werden können, bleibt bescheiden. „Es kommt aber einer, der stärker ist als ich und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er muss wachsen, ich muss abnehmen.“
Johannes weiß: Ich bin nur der Vorläufer, ich bin der Wegbereiter. Der Größere, Jesus, der Messias, kommt nach mir. Aber ich spiele eine wichtige Rolle. Und die fülle ich aus.
Mir gefällt und imponiert das bei Johannes.
Sich zurücknehmen, in den Hintergrund treten, um den Weg zu bereiten für den, der zu Höherem, ja zu Höchstem bestimmt ist.
Dazu gehört menschliche Größe. Bewusst in die zweite Reihe treten. Obwohl Johannes doch großen Einfluss auf Menschen hatte. Obwohl er Verehrung und Macht spürte.
Johannes hat die innere Stärke, die Rolle des Wegbereiters anzunehmen. Sich selbst zurückzunehmen, um Jesus den Vortritt zu lassen. Ohne Bitterkeit und gekränkte Eitelkeit.
Einfach, weil das sein von Gott bestimmter Weg ist.
Da kann ich auch heute noch was lernen von Johannes.
Ein Unternehmer übergibt sein Geschäft, das er über Jahrzehnte aufgebaut hat, an seinen Nachfolger. Er hat sein Bestes gegeben. Ein anderer führt es weiter. Wenn dieser andere der Sohn oder die Tochter ist, ist es für die Vätergeneration nicht einfach, zurückzustecken und die Jungen ihre eigenen Entscheidungen treffen zu lassen. Sich selbst zurücknehmen, damit die Jüngeren groß werden können – gerade auch die aus der eigenen Familie. Da braucht es viel innere Größe.
Wegbereiterin sein – dann kann ich fröhlich anderen zuarbeiten, auch wenn die dann die Früchte ernten und ich nicht im Scheinwerferlicht stehe. Ich gönne ihnen den Erfolg, auch wenn ich selbst keinen geringen Anteil an diesem Erfolg habe.
Das alles ist kein Kinderspiel. Wahrlich nicht. Wegbereiter sein, Zuarbeiterin, Vorbereiter, um weiterzukommen um der gemeinsamen Sache willen. Sich selbst zurücknehmen, um einem anderen Platz zu machen. So wie Johannes das gemacht hat. Manchmal bedenkt uns das Leben mit dieser Rolle. Und dann ist es gut, wenn wir das annehmen können. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1605
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