Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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"Alt werden will jeder, älter werden aber niemand" - so heißt ein interessanter Spruch. Aber stimmt das denn? Will wirklich jeder alt werden? Ich denke an die Beschwerden des Alters.
Aber warum nicht älter werden, denke ich mir, wenn ich die fit-fröhlichen Senioren sehe, die noch im Alter reisen können. Die das nötige Kleingeld auf der hohen Kante haben und sich noch allerhand leisten können. Aber das sind die allerwenigsten, denen so etwas vergönnt ist. Und auch das wird einmal zu Ende sein. Denn niemand kann etwas mitnehmen auf die letzte Reise.
Wie alt ich werde, weiß ich nicht. Verjüngen kann ich mein Leben nicht, alle Versuche wären pure Selbsttäuschung. Ich möchte auch nicht vor dem davon laufen, was unvermeidlich ist: dass die körperlichen und geistigen Kräfte abnehmen, dass ich einmal sterben werde. Ich möchte lernen, damit einverstanden zu sein. Ich versuche, mich darauf einzustellen, damit umzugehen. Zum Beispiel loslassen zu können: Seit jeher liebe ich Bücher. Aber ich habe drei viertel meiner recht grossen Bibliothek gezielt weggegeben. 
Eines möchte ich nicht und das wünsche ich auch niemandem: dass ich nur um meine Vergangenheit kreise, das Neue verwerfe und das Alte verkläre. Dabei unzufrieden, schrullig und verbittert werde; den Jungen ihr Leben nicht gönne; oder gar beginne, andere zu tyrannisieren. 
Solange meine körperlichen und geistigen Kräfte es zulassen, möchte ich neugierig bleiben auf das, was andere fertig bringen. Das heißt für mich auch, Kontakt mit Jüngeren zu pflegen. Ich bin dankbar, befreundet zu sein mit Menschen, die um einiges jünger sind als ich. 
Ich glaube, älter und alt werden heißt nicht nur: abbauen, dahinwelken. Jede Lebensstufe hat ihre eigenen Werte, vielleicht sogar ihren eigenen Charme: Wenn ich den Blick mehr nach innen lenke. Wenn ich hineinschaue in den Schatz an Erinnerungen, in den Reichtum an Erfahrungen. Eine Tiefe, in der ich mir selbst begegne, in der ich inneren Frieden finde, möglicherweise eine heitere Gelassenheit. - Ich vermute: darin besteht die immer wieder genannte "Weisheit des Alters". 
Dabei wünsche ich mir und Ihnen, die Sie älter werden oder alt sind, einen neuen Blick auf Gott, auf das Ewige. Ich setze auf Gott - gegen Null und Nichts. Ich hoffe, dass sich mein Leben und das Leben aller einmal in Gott vollendet. Dass ich bei Gott gut aufgehoben bin - mit meiner ganzen Lebensgeschichte, mit meinem ganzen Packen Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15349
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