SWR2 Wort zum Sonntag

SWR2 Wort zum Sonntag

Dieser Satz stammt aus dem Hohen Lied, dem Lied der Lieder, einem kleinen poetischen Buch über die Liebe in der hebräischen Bibel (HL 8,6).
Es ist ein tröstlicher Satz, besonders heute am Totensonntag. In den evangelischen Kirchen werden die Namen der Toten verlesen, die im letzten Jahr gestorben sind. Und in vielen Kirchen ist es Brauch, für jeden Gestorbenen eine Kerze anzuzünden. Nebeneinander Dunkles und Licht, der Tod und die Liebe. Man gedenkt der Toten, sei es aus jüngster Zeit, sei es vor längerer Zeit, und immer ist es so, als sei es gestern gewesen.
Liebe ist stark wie der Tod.
Kann die Liebe den Tod besiegen?
Wenn der Mensch stirbt, den ich geliebt habe, dann erfahre ich die Härte und Bitterkeit des Todes. Ein Mensch, der eben noch neben mir war, ist nicht mehr. Es bestimmen mich Schmerz, Leere und Verlassen-sein. Ich erfahre den Tod als die radikalste Distanz, die ich denken kann. Es ist ein Abschied für immer.
Klagen und Trauern. Untröstlich sein. Wege der Trauer gehen müssen.
Diese Trauerwege sind oft Friedhofsgänge, am Grab stehen und fragen: Wo bist du?
Für mich gleichen diese Trauerwege den Wüstenwegen, wo ich in keinem Weg mehr einen Weg sehe. Auch die gutgemeinte Nähe, der Trost von Menschen erspart mir nicht die Erfahrung der Wüste. Die Wüstenzeit kann eine Zeit der Lebensgefährdung sein, aber auch zu einer Zeit werden, wo mir neue Kräfte zuwachsen. Es ist Schwerstarbeit, der Gewalt des Schmerzes standzuhalten. Undes braucht viel Zeit und Raum, es braucht Stille, das Zurückgezogen-sein, die Wüstenwege zu gehen, um zum Leben zurückkehren zu können.
Liebe ist stark wie der Tod.
Nach dieser Erfahrung der Wüste kann ich begreifen, dass mir etwas bleibt. Es ist die Liebe, die nicht stirbt. Ich kann leben, dass der Mensch in seinem Reichtum mehr ist als die sterbliche Hülle. Weil das so ist, gibt es Glück und Schmerz des Erinnerns. Weil das so ist, endet unser Gespräch nicht mit dem Tod. Weil das so ist, nimmt mir der Tod zwar viel, unsagbar viel - aber er kann mir nie meine Liebe zu dem geliebten Menschen nehmen, nie meine Verbundenheit mit ihm. Es geht nicht verloren, was ein Mensch für mich war. Die Wunde bleibt, aber die Liebe kann den Tod überdauern.
Denn: Liebe ist stark wie der Tod.
Aus der Dunkelheit des Todes kann die Liebe Kraft geben, mein Leben neu zu sehen und zu verstehen.
Im Erzählen, im Erinnern, im Nach-denken kann langsam etwas licht werden, was der Tod mir nicht nehmen kann: die gemeinsame Lebensgeschichte. Erinnern heißt: das Gespräch mit dem Toten in mir fortsetzen. Und es heißt: Im Gespräch über sein Leben ihn in der Erinnerung bei mir leben lassen. So bleibe ich mit dem Menschen, der mir Weg und Begleitung war, verbunden, so bleiben wir beieinander. Und langsam kann etwas hell werden, was Auferstehung meint: ein Weiterleben in und mit mir.
Hans Jürgen Schultz sagt es so:
Tod nimmt, Liebe gibt. Sie verbindet und eint, er löst und entzweit. Ohne die Liebe verstummen wir vor dem Tod. Allein die Liebe, die ohne Anbeginn ist und ewig ihre Flügel schlägt, kann die Kraft haben, sogar in die Vergänglichkeit, in diese schwerste Erfahrung unserer Existenz, einzuwilligen."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14223
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