SWR2 Wort zum Sonntag

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14OKT2012
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Der Apostel Paulus hat in kirchlichen Kreisen nicht unbedingt einen frauenfreundlichen Ruf. Zu Unrecht, finde ich, denn zumindest im 1. Thessalonicherbrief zeigt sich der Apostel eben nicht als verknöcherter Frauenfeind, sondern entpuppt sich als feministischer Revolutionär - jedenfalls für seine Zeit und dafür, wie damals über Frauen gedacht wurde. Paulus redet den Männern in Thessaloniki ins Gewissen. Sie sollen ihre Ehefrauen: Verführen! Wörtlich schreibt er in 1. Thessalonicher 4, dass jeder „seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit." Gewinnen - das klingt nach Werben und Zärtlichkeit, und das dürfte den Herren in Thessaloniki nicht nur gut in den Ohren geklungen haben. Denn nicht jeder der christlichen Brüder wird sich die Mühe gegeben haben, seine Ehefrau mit Zärtlichkeit und als ebenbürtige Partnerin mit Respekt zu verführen, ja in ihr ein heiliges, besonderes Geschöpf zu entdecken. Doch gerade das erwartet Paulus von den Christenmännern in der Gemeinde! Und noch mehr, er verbietet die Unzucht, und das heißt für den antiken Mann nichts anderes als: Lass die Finger von der Sklavin!
Wir sollten es uns auf der Zunge zergehen lassen: Paulus spricht von zärtlicher Verführung der eigenen Ehefrau, und das kann ja bekanntlich durchaus Spaß machen - oder auch unbequem sein für den einen oder anderen, der die Gattin eher vernachlässigt oder links liegen lässt aus Unlust. Ich finde also, dass Paulus ein richtiger Frauenfreund ist. „Moment mal" wenden da einige feministische Theologinnen ein, „schau mal in den griechischen Urtext, da steht doch wörtlich „Gefäß". Tatsächlich, es gab eine stehende Redewendung damals für die sexuelle Gemeinschaft: „Sich eines Gefäßes zu bedienen." Die Frau, ein Gefäß, das vom Mann gefüllt wird, das ist doch wirklich frauenfeindlich - oder?
Ich will die Gedanken der Antike und des Paulus ja nicht umfassend in Schutz nehmen. Klar, Frauen sind keine Gegenstände, kein Besitz und erst recht keine Gefäße. Trotzdem möchte ich dem Begriff Gefäß etwas abgewinnen. Das griechische Wort kann auch Leib bedeuten, und Schatz. Und im griechischen Text steht: Sein Gefäß. Das fasziniert mich, das schillert. Mein und dein Leib, ein Schatz, ein Gefäß. Wenn du dein eigenes Gefäß mit Respekt behandelst, dann respektierst du dich selbst. Ich kann mir also vorstellen, dass Paulus mit „Gefäß" nicht nur „die Frau" meint, sondern eben auch jeden selbst.
Hier kommen wir dem schon ganz nah, was Paulus antreibt. Ihm geht es um viel mehr als um: Tue Recht und Pflicht. Ihre ehelichen Rechte und Pflichten erfüllten die Männer damals, jedoch nicht immer zur umfassenden Freude ihrer Frauen. Paulus will viel mehr und anderes! Paulus erkennt den Willen Gottes in lebendigen Beziehungen, in denen Menschen spüren und erleben, dass sie geliebte Geschöpfe sind, dass sie leben, um Gott zu gefallen. Das hat viel mit Heiligung zu tun. Und Heiligung bedeutet ganzes, reiches und erfülltes Leben. Hagiasmo, Heiligung, das ist ein ganz seltenes, kostbares Wort, es kommt nur wenige Male im Neuen Testament vor, in diesem 1. Thessalonicherbrief des Apostels etwa. Heiligung ist etwas Wertvolles, ein Prozess, in dem Menschen erfahren, dass ihr Leben mehr ist als dumpf dahinzuvegetieren, dass es reich sein kann, und schön, ganz nah bei Gott. In auserlesenen Stunden dürfen wir Menschen das auch erfahren. In der Liebe kann es geschehen. Das sind ganz atemberaubende Momente, geheimnisvoll auch. Da sind wir Menschengefäße beziehungsreich, liebevoll, da lebt Gott in den zerbrechlichen, verwundbaren, kostbaren Menschengefäßen. Die auch zerstört werden können, wenn man sie verletzt. Das wusste Paulus, und das will er nicht.
Deshalb: Wer die Kostbarkeit der Menschen-Gefäße verachtet, der verachtet mit den Menschen auch Gott.
Paulus weiß, dass Menschen einander im Weg stehen können, sich verletzen können. Sie können aber auch anders, und ich finde es schön, dass er uns daran erinnert. Keine schlechte Nachhilfe in Sachen Lebens- und Liebeskunst, die uns der Apostel Paulus bietet. Dass wir uns nämlich gegenseitig liebevoll helfen können, heil zu werden, innerlich und äußerlich. Und dass das kein lustloser, staubtrockener Weg sein muss, sondern liebevoll und lustvoll sein darf. Es gibt eine Verführung in der Ehe. Und wenn uns der Apostel dabei ein wenig nachhilft - umso besser.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13971
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