SWR2 Wort zum Sonntag

SWR2 Wort zum Sonntag

23SEP2012
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„Wir haben die Pest besiegt und die Pocken überwunden. Wir haben Medikamente gegen Tuberkulose und Typhus entwickelt. Nur gegen den größten Krankheitserreger kommt die Medizin allein nicht an - Armut." So heißt es in einem Videoclip zur Kampagne 2012 des deutschen Caritasverbandes. Die trägt den Titel „Armut macht krank". Auf vielfältige Weise möchte die Caritas informieren und helfen, und die katholischen Pfarrgemeinden Deutschlands beteiligen sich gerade an den Sonntagen im September an dieser Kampagne. Denn es stimmt: Krankheit und Armut bedingen sich gegenseitig. Armut macht krank, wenn man sich z. B. die notwendigen Medikamente nicht leisten kann. Krankheit macht aber auch arm; - dann etwa, wenn eine ohnehin schon unsichere Arbeitsstelle gekündigt wird, weil die Mitarbeiterin länger krank ist.
Wir haben das Glück, in einem Staat mit einem guten Gesundheits- und Sozialsystem zu leben. Darum beneiden uns viele Menschen auf der Welt. Trotzdem gibt es Lücken, durch die immer wieder Menschen in die Perspektivlosigkeit fallen. Sie resignieren; sie halten die seelische und oft auch körperliche Dauerbelastung nicht mehr aus. Antriebslosigkeit, Vereinsamung, Abhängigkeit von Drogen und Alkohol können die Folge sein. Es ist ein Teufelskreis, eine Spirale abwärts. Diesen Teufelskreis können Sozial- und Gesundheitssysteme allein tatsächlich nicht aufhalten. Als Mitbürger, aber vor allem auch als Christ lässt mich das nicht unberührt. Denn die Sorge für die Armen gehört schon von Anfang an zur Geschichte Gottes mit den Menschen; sie gehört zu dem Bund, den Gott mit Mose und dem Volk Israel schließt. Alle sieben Jahre soll der Bauer sein Feld brach liegen lassen; und alles, was dann dort wächst, soll den Armen gehören (vgl. Ex 23,10f). Diese Weisung aus dem Buch Exodus liest sich wie ein Grundbaustein für eine moderne Solidargemeinschaft.
Wie wichtig Solidarität ist, zeigt eine andere biblische Szene. Einer der vielen Wunderberichte um Jesus erzählt von einem Mann; der liegt in der Nähe eines Wasserbeckens, dem Heilkräfte zugeschrieben werden. Als Jesus fragt: „Willst du gesund werden?" antwortet er: „Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich trägt" (Joh 5,1-8). Ohne die Hilfe von anderen kann er sein Leben nicht in den Griff bekommen. Wie gut hat es dagegen der Mann, den seine Freunde auf einer Trage zu Jesus bringen, weil sie sich von ihm Heilung erhoffen (Mk 2,1-12). Doch sie haben keine Chance. Der Weg zu Jesus ist versperrt; das Haus, in dem Jesus sich aufhält, ist belagert von Menschen. Da ist kein Durchkommen. Aber die Freunde geben nicht auf. Durch die Tür kommen sie nicht, also steigen sie aufs Dach, brechen ein Loch hinein und lassen den Kranken direkt vor Jesu Füße hinab. Das ist Solidarität, wie wir sie uns auch im 21. Jahrhundert wünschen. Denn nur dann, wenn jeder sich seiner Verantwortung für den Nächsten bewusst ist; wenn man nicht aufgibt und auch ungewohnte Wege wagt - wie die Freunde des Gelähmten auf der Trage: nur dann können wir gegen den großen „Krankheitserreger Armut" wirksam angehen. Natürlich, um Armut und Krankheit zu bekämpfen, brauchen wir die Kraft unserer ganzen Gesellschaft und der Politik. Wir brauchen viel Geld, viele gute Ideen, Netzwerke und Hilfsorganisationen; wir brauchen die gelebte Nächstenliebe vieler Einzelner. Gerade sie entspringt aber oft der tiefsten Überzeugung des christlichen Glaubens. Gottes Liebe gilt jedem, egal was er verdient, egal ob er gesund oder krank ist, ob er auf unserer sozialen Erfolgsleiter unten oder oben steht. Ich weiß, dass das leicht gesagt ist. Ich weiß aber auch, wie viele Menschen aus ihrem Glauben die Kraft schöpfen zu helfen, wo es nötig ist. Und ich weiß, dass ihr Glaube vielen Menschen Kraft gibt, die Situationen zu tragen, ja zu meistern, die ihnen das Leben zumutet. 
Aus dieser Kraft des Glaubens heraus wünsche ich Ihnen, Ihren Familien und allen, die Ihnen verbunden sind, eine gesegnete Feier des Sonntags!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13868
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