Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ein Mann trägt ein Kind durchs Wasser, und das Kind entpuppt sich als Christus. So erzählt die Legende von Christophorus, auf Deutsch: Christusträger. Heute ist sein Gedenktag. Im Mittelalter war es üblich, ein Bild des Christusträgers an Stadttürmen, Toren, Kirchen- und Hausmauern anzubringen. Man erhoffte sich davon Schutz. Ob wohl aus diesem Grund ein Medaillon des Heiligen, über den wir historisch kaum etwas wissen, an unserer Stuttgarter Kirche angebracht ist? Ich glaube es nicht; solche magischen Vorstellungen galten, als man Mitte des 19. Jahrhunderts die Kirche baute, für längst überholt. 
Stattdessen kommen mir beim Anblick des Bildes ganz andere Gedanken. Zum Beispiel Israels Weg aus Knechtschaft und Unterdrückung in die Freiheit (vgl. Exodus 13,17 - 14,30). Ein Weg, der buchstäblich von einem Ufer zum anderen führt, wie Christophorus' Weg in der Legende. Israel erfährt auf diesem Weg: Gott geht ihn mit. Und so wird es trotz aller Hindernisse und trotz tödlicher Bedrohung ein Weg ins Leben. Für Israel ein prägendes Erlebnis, denn es weiß nun und feiert es deshalb auch: Das Mitgehen, das Da-Sein Gottes bedeutet Leben, nicht Tod, und der Glaube daran macht stark. Stark genug, um den Herausforderungen, vor die ich gestellt werde, begegnen zu können. 
Hängen bleibe ich beim Anblick des Christophorus-Medaillons aber auch am Bild des Christusträgers: Bin ich das nicht auch? Und sind es nicht auch die, die sich in dieser Kirche und natürlich auch in allen anderen Kirchen versammeln? Das Wort des Apostels Paulus kommt mir da in den Sinn: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir" (Galaterbrief 2,20): seine Menschenfreundlichkeit; seine innigliche Gottesbeziehung; sein Mut, öffentlich einzustehen für das, was ihm wichtig ist, auch um den Preis des Missverständnisses und der Ablehnung. Ein hoher Anspruch, dem ich sicher nicht in allem gerecht werden kann. Aber etwas davon möchte ich beitragen. Etwas davon soll durch mich und hoffentlich auch durch viele andere Christusträgerinnen und Christusträger zur Entfaltung kommen. Immerhin lassen sich so Welt und Leben gestalten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13456
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