SWR2 Wort zum Sonntag

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Mehr als eine Million Menschen aus allen Erdteilen sind Anfang Juni zum Weltfamilientreffen in Mailand zusammengekommen. Als Familienbischof der Deutschen Bischofskonferenz habe ich an diesem Treffen teilgenommen und bin tief beeindruckt zurückgekehrt. In Mailand wurde spürbar, welche Kraft und Lebensfreude aus den Familien für Kirche und Gesellschaft erwachsen. Die Teilnehmer dieses Glaubensfests strahlten aus, dass die Familie als Ort gelebter lebenslanger Treue und gegenseitiger Liebe auch auf Zukunft hin die unverwechselbare und unverzichtbare Keimzelle von Kirche und Gesellschaft ist.
Beim gemeinsamen Abschlussgottesdienst appellierte Papst Benedikt XVI. an die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft in aller Welt, durch sichere und familienfreundliche Arbeitsbedingungen zur Förderung der Familien beizutragen. Diese Wegweisung gibt uns auch in Deutschland Orientierung - besonders in der gegenwärtigen Auseinandersetzung, wie man Kinder nachhaltig fördern und Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung unterstützen kann.
Wo Familie den Gesetzen von Ökonomie und Arbeitsmarkt unterworfen wird, geschieht faktisch eine Relativierung ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Familie ist Keimzelle der Gesellschaft. Familie steht für die Vermittlung von Verlässlichkeit und Verbundenheit und einer daraus erwachsenden Verbindlichkeit.
Darum muss auch unser Staat ein echtes Interesse daran haben, Familie so zu unterstützen, dass die Eltern ihre Erstverantwortung für die Erziehung ihrer Kinder wahrnehmen können. Ganz in diesem Sinn hat sich der Bischof von Eichstätt, Dr. Gregor Maria Hanke OSB, deutlich für das geplante Betreuungsgeld ausgesprochen und vor falschen Einseitigkeiten gewarnt. Es geht um Ermöglichung, Anerkennung und damit Hochschätzung elterlicher Erziehungsverantwortung. Die eigenen Kinder zu erziehen, hat nach unserem Grundgesetz einen politischen Vorrang und entspricht der Verantwortung der Eltern. Beides gehört auch zum Kern der katholischen Soziallehre. Die Kirche tritt dafür ein, dass Familie - als Ort gelebter Liebe und Treue - der erste Erfahrungsraum und Bildungsort der Kinder ist. Diese Priorität ist mehr als ein Privileg. Wenn die wirtschaftliche Situation es heutzutage für viele Familien notwendig macht, dass beide Elternteile erwerbstätig sein müssen, können die Familien nur schwer ihrer kirchlichen Berufung und gesellschaftlichen Bedeutung gerecht werden. In der gegenwärtigen Debatte um das Betreuungsgeld entsteht oft der Eindruck, dass das Wohl der Kinder wenig Fürsprecher hat. Manche Argumentation dagegen bemüht den Fachkräftemangel, ein einseitiges Emanzipationsverständnis oder auch das Interesse an der künftigen Auslastung bestehender Kindertagesstätten.
Christen setzten auf die Gesinnung Jesu, wenn sie den Wert von Eigenverantwortung und Gemeinsinn bedenken. In seinem Brief an die Kolosser spricht der Apostel Paulus vom Geist der Kindschaft und Geschwisterlichkeit, den junge Menschen in der Familie erlernen können, wo sie in der Zuwendung der Eltern Gott vor Augen bekommen: „Ihr seid von Gott geliebt (...). Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat" (Kol 3,12f.). Diese Pädagogik gewinnt durch das Profil des Glaubens eine Priorität für unsere Gesellschaft. Die unterstützte Möglichkeit der Eltern, die Erstverantwortung für die Erziehung ihrer Kinder übernehmen zu können, macht die Familie zu Biotopen von Wertebildung und Sinnvermittlung. Wo Eltern in dieser Verantwortung an Grenzen stoßen, brauchen sie zugleich die Hilfe der Kirche und des Staates. Hier kommt in den Blick, was wir nach einem Wort des französischen Dichters Antoine de Saint-Exupéry als Gesellschaft noch zu lernen haben: „Eine Gemeinschaft ist nicht die Summe an Interessen, sondern an Hingabe."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13411
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