SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

"Balleluja"

Seit diesem Wochenende macht sich in Europa ein merkwürdiges Phänomen breit. Pilgern ist angesagt. Menschen von überall her wallfahren nach Polen und in die Ukraine. Sie hoffen, dort das verheißene Glück zu finden. „Balleluja" - dem Fußballgott sei Dank. Die Fußball-Europameisterschaft bewegt Tausende von Menschen. Aber nicht nur in Sachen Wallfahrt gleichen sich Fußball und Religion. Da erfahren zum Beispiel die Fans aus dem Gemeindeblatt, besser gesagt dem Spielplan, wann und wo der nächste Gottesdienst stattfindet. Um dem Fußballgott zu huldigen, treffen sie sich in den großen Kathedralen, den Stadien. Die Spiele unterbrechen den Alltag und lassen die Fans abschalten.Haben sich alle versammelt, beginnt die Zeremonie. Die Augen der Fans richten sich auf den Altar, den Rasen. Mit einem Lobgesang eröffnet die Gemeinde das heilige Spiel: olé, olé, olé, olé. Der Stadionsprecher übernimmt quasi die Rolle des Pfarrers. Er spricht zur Gemeinde; und die antwortet prompt - mal im Sprechchor mal mit Hymnen und Liedern. Die Fans glauben an ihre Mannschaft und verehren die Spieler wie Heilige; ihre Autogramme sind begehrte Reliquien. Und auch der Devotionalienhandel blüht: Schals, Mützen und Trikots.
Im Spiel selbst mischen auch das Gute und das Böse mit - in der Gestalt des Schiedsrichters. Von den einen wird er verflucht, von den anderen wird hoch gelobt, der da kommt, den entscheidenden Elfmeter zu pfeifen. Fällt dann das Tor, liegen sich Menschen in den Armen, die sich noch nie zuvor gesehen haben. Gemeinschaft entsteht; alle sind gleich - Jung und Alt, Banker und Arbeitslose, Männer und Frauen, Juden und Heiden, Muslime und Christen. Das Wunder - ob von Bern oder in diesem Jahr von Kiew - geschieht, wenn unterschiedliche Menschen vereint nach dem großen Glück streben: dem Euro-Pokal. Bei großen Fußballspielen wird offenbar ein religiöses Gefühl lebendig. Aber echte Religion ist mehr! Einen wesentlichen Unterschied hat der Fußballprofi Christoph Metzelder einmal benannt: „Fußball gibt Hoffnung, möglicherweise Lebensfreude", so sagt er. Fußball „gibt aber, im Gegensatz zur Religion, keine Antworten." Auch mag Fußball Sinn stiften und das Leben ausrichten - für einige Augenblicke wenigstens. Was aber bleibt am Ende? Nur einer kann den Pokal gewinnen. Wer nicht genug trainiert hat, schafft es nicht. Das Glück der Mannschaft liegt allein in ihrer eigenen Hand. Echte Religion dagegen hat ein Gegenüber. Und dieses Gegenüber kann weder beeinflusst noch vereinnahmt werden. Es ist Gott.
Und Gott verspricht einen Siegespokal, der alles Menschliche übersteigt: auf ewig mit ihm zusammen sein.


Den unvergänglichen Siegeskranz gewinnen

Sport und Religion sind sich in vielem ähnlich: Menschen richten sich an etwas aus, trainieren und leben dafür. Aber trotzdem unterscheiden sie sich grundlegend. Der Apostel Paulus zeigt das am Beispiel der Leichtathletik. Im ersten Korintherbrief vergleicht er das Leben mit einem Wettlauf im Stadion (vgl. 1 Kor 9,24f). Dem Sportler kommt es auf den Sieg an. Er will den Pokal gewinnen, seine Gegner abhängen und als erster das Ziel erreichen. Nur nicht stolpern oder zurückschauen. Das kostet wertvolle Zeit. Wer gewonnen hat, tritt wieder an. Der nächste Pokal wartet schon.
Und die Verlierer? Hätten sie mehr trainiert, hätten sie vielleicht gewonnen. Also selbst schuld!

Paulus stellt diesen Menschen diejenigen gegenüber, die ihren Lebenslauf auf Gott hin ausrichten. Ist Gott das Ziel, geht es nicht mehr nur um einen vergänglichen Siegeskranz, sondern um einen unvergänglichen Pokal, so sagt er (1 Kor 9,25). Für Paulus ist der verheißene Preis, bei Gott zu sein (vgl. Phil 3,14). In der heutigen Lesung aus dem zweiten Korintherbrief  schreibt er: „Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel." (2 Kor 5,1) An der Ziellinie des Lebens also wartet Gott auf uns. Aus seiner Hand empfangen wir den Pokal. Der Mensch darf heimkehren, nach Hause gehen, dorthin, wo er sich wohlfühlt: zum Vater.

Richtet sich der Mensch auf Gott hin aus, dann unterscheidet sich das deutlich von einem Wettkampf: Der Siegespreis ist nicht von Menschen gemacht. Und er ist auch nicht nur für einen Sieger gedacht. Die Mitläufer sind daher keine Rivalen und Konkurrenten, sondern Weggefährten. Ich muss sie nicht ausstechen, muss nicht immer der Erste und Beste sein. Ich darf auch einmal Schwäche zeigen, zurück- oder nach den anderen schauen.

Und noch etwas ist für Paulus entscheidend: Jesus Christus ist einer dieser Weggefährten. Er läuft mit und garantiert mir, am Ende im Ziel anzukommen. Notfalls zieht er mich sogar über die Ziellinie. Von Christus ergriffen, so schreibt Paulus, strecke ich mich nach dem aus, was vor mir liegt: dem Siegespreis der himmlischen Berufung (vgl. Phil 3,12ff).

Religion und Sport sind sich in vielem ähnlich und doch unterscheiden sie sich in wesentlichen Punkten. Als Christ kann ich selbstverständlich auch weiterhin Fußball spielen oder Leichtathlet sein - das steht völlig außer Frage. Eine Sache muss mir dabei aber klar sein: alle Erfolge im Sport, Beruf oder Privaten sind lediglich Teilziele; ausgerichtet auf das letzte Ziel, das das ganze Leben bestimmt. Verstehe ich sie so, dann hänge ich sie nicht zu hoch oder erhebe sie gar zur Religion und verstehe sie als das, woran ich mich festmache und über das ich mich definiere.

An der Ziellinie wartet Gott auf uns. Verstehe ich mein Leben so, bekommt es eine ganz eigene Dynamik. Gehe ich mit Jesus ins Rennen, kann ich sicher sein: Ich werde den Pokal gewinnen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13233
weiterlesen...