Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Solange wir leben, stellen wir Fragen. Schon Kinder fragen einem Löcher in den Bauch. Warum weint die Frau? Wie heißt der Mann? Wann kommt meine Mama?
Mit den Menschen wachsen die Fragen. Die ums tägliche Leben machen sich besonders breit. Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Was werden wir anziehen? Davon erzählt schon die Bibel.  
Mit den Jahren kommen dann Fragen hinzu, die über das Alltägliche hinausfragen: Worauf kann ich mich verlassen? Was ist der Sinn meines Lebens? Wohin bin ich unterwegs?
In schweren Lebenssituationen beherrscht eine eigene Fragestellung das Denken vieler Menschen. Wenn eine Beziehung zerbrochen ist, wenn ein lieber Mensch sich verabschiedet hat, wenn man dauerhaft mit einer Krankheit leben muss, dann wird die Warum-Frage zu unserer täglichen Begleiterin: warum, warum gerade jetzt, warum ich?
Ich finde, da kann die Bibel wie ein Spiegel für unser Leben sein. In den Psalmen finden sich Gebete von Menschen in Not. Einsam und unverstanden. Auch diese Menschen klagen. Sehnen sich nach Hilfe. Essen und Trinken sind dann nicht mehr so wichtig, auch die Kleidung interessiert nicht. Warum, wie lange noch oder was hab ich denn getan, dass es mir so dreckig geht. Das sind jetzt ihre Fragen.
Ich glaube, das ist bis heute so. Warum musste unsere Mutter sterben, sie hätte so gerne noch die Hochzeit ihres Enkels erlebt? Wie lange noch, bis ich mit meinem operierten Knie wieder ohne Schmerzen laufen kann? Warum wurde mein Hund angefahren, er war doch erst ein Jahr bei mir und das einzige Wesen gegen mein Alleinsein.
Wichtig scheint mir: Solange ich frage, kenne ich eine Instanz, mit der ich reden kann. Ich kann fragen, klagen, zornig sein. Auch wenn ich keine Antwort finde. Ich muss nicht verstummen, meine Krankheit kann mir nicht den Mund verbieten und das Unrecht, das ich erfahre, kann mir nicht die Worte rauben.
Eine Patientin hat mir nach unserer Begegnung im Krankenhaus geschrieben: Das hat mir am meisten geholfen, dass ich klagen durfte und fragen. Und dass Sie nicht die Antwort für mich wussten. So viele haben damals zu mir gesagt: so darfst du nicht fragen. Sie haben zu mir gesagt: Sie können alles sagen und alles fragen. Auch wenn wir keine Antwort wissen, halten wir mit der Frage eine Tür offen.
Mit meinen Fragen leben. Weitergehen. Sie einfach in mir tragen. Manchmal geht  nichts anderes. Und manchmal entdecke ich, dass irgendwann die Antwort da ist, so als hätte sie auf mich gewartet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12924
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