SWR1 Begegnungen

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Teil 1: Kunst rettet Kirche 

Ein Graffiti in der Kirche - passt das zusammen? Seit letztem Jahr schon. Im Juli 2011 wurde im badischen Goldscheuer bei Kehl eine Kirche wiedereröffnet, die der Street-Art Künstler Stefan Strumbel ausgestaltet hat. Seine Kunst und die Menschen vor Ort haben die Kirche vor der Schließung gerettet.

 Ich war sehr fasziniert, so viel Menschen wie da kamen - und dann am Schluss die Standing-Ovation. Das war wunderschön. Auch die ältere Generation, die zu mir kam, mit Tränen in den Augen, und haben sich gefreut, dass wir wieder die Kirche ins Leben gerufen haben.

 Karl Lagerfeld und Hubert Burda besitzen Kunstwerke von ihm. Und für das SWR3 New Pop-Festival in Baden-Baden hat Stefan Strumbel das Plakat entworfen. Seine Kunst wird dort ausgestellt. Und alle wollen ein Interview mit dem angesagten Künstler, der Kuckucksuhren bunt oder neo-barock aufmotzt oder Schwarzwaldmädels als Guerillakämpferin mit Maschinengewehr abbildet. Klar, dass Stefan Strumbel wenig Zeit hat. Dauernd klingelt sein Handy. Trubel in der Galerie. Also gehen wir raus auf die Terrasse, der Springbrunnen plätschert. Romantisch und kitschig schön, wie seine Kunstwerke. »Heimat« das ist sein Hauptthema, und dabei benutzt er auch viele Symbole aus dem religiösen Bereich: Engel, Beichtstühle und Kruzifixe. Und holt sich dafür Rat:

 Ich hab mit Pfarrer Braunstein Kontakt aufgenommen, schon Jahre zuvor, weil ich immer mit der Symbolik der Kirche gearbeitet habe und ich wollte wissen, wie jemand aus der Kirche tickt, der für die Kirche arbeitet und der mir theologischen Inhalt und Input gibt. Ich wollte in meinen Werken und Objekten, wenn ich Kreuze, mit dem Tod und mit dem Leben gearbeitet habe, niemand zu nahe treten.

 Und dann kommt dem katholischen Pfarrer die verrückte Idee, wie er seine Kirche retten kann: »Maria, Hilfe der Christenheit« sollte geschlossen werden. Eine typische sechziger Jahre Kirche, viel Beton, architektonisch nichts Besonderes, aber hoher Sanierungsbedarf. Stefan Strumbels Eindrücke :

 Also ich kam rein und es war für mich wie so ne Sporthalle. Da hätten nur noch die Sprossenwände gefehlt.

 Aber genau diese Kirche will der Pfarrer retten, weil sie für die Menschen von Goldscheuer ein heiliger Ort ist. Dort werden ihre Kinder getauft, sie heiraten und betrauern ihre Verstorbenen. Die Kirche bedeutet Heimat. Deshalb bittet der katholische Pfarrer den Street-art Künstler, die Kirche neu zu gestalten.

 Und es war für mich trotzdem das Kirchenschiff, das Entkernte war für mich sofort pure Energie und Inspiration. Mir sind sofort Ideen eingefallen, wo ich verwirklichen konnte. Ich finde Kirchenschiffe an sich, durch die Architektur, haben eine Macht, die auf mich wirkt und es hat so eine Aura. In Worte kann ich's gar nicht fassen. Aber sie ist einfach für mich ein Ort, wo ich Inspiration erfahre.

 Also hat Stefan Strumbel versucht, die Aura der Kirche in Kunst auszudrücken. Aber ist es so einfach, ein Heimatgefühl zu schaffen? Reicht es aus, die heilige Maria in Tracht auf die Kirchenwand zu sprühen? Die Madonna ist nur ein Teil des gelungenen Konzeptes: Die Kirche in Goldscheuer ist etwas Besonderes geworden, sie hat klare Strukturen bekommen, auch witzige Elemente. Sie ist Kraftquelle für die Menschen vor Ort:

 Ich hab mich mit der Gemeinde ausgetauscht, ich hab mich an der Gemeinde orientiert, ich hab das ganze Projekt für die Gemeinde gemacht. Ich wollte einen Ort schaffen, das keine Stefan-Strumbel-Kirche ist, sondern ein Ort, wo die Leute immer wieder hinkehren, um ihre Religion zu leben, um Heimat zu erfahren.

 Teil 2. Was ist Heimat

 Wer im Internet nach Stefan Strumbel und seiner Kunst sucht, findet knallbunte Bilder von Kuckucksuhren, neonfarbig beleuchtete Kruzifixe und Schwarzwaldmädel mit Palästinenser-Halstuch. Provozierend geht Strumbel mit Bildern um, die für viele Heimat bedeuten. Aber Stefan Strumbel, den ich in Baden-Baden treffe, will mit seiner Kunst nicht verletzen, sondern tief liegende Emotionen auslösen:

 Für mich ist Heimat ein Gefühl, ein Gefühl der Geborgenheit, der Freude, des Glücks. Und ich versuche durch meine Werke, durch meine Objekte und Installationen, die Menschen, die Leute, die sich mit mir und meiner Kunst auseinandersetzen, auf ihre eigene Heimreise schicken, dass sie sich mit ihrer eigenen Heimat auseinandersetzen.

 Deshalb passt es ganz gut zu seiner Kunst, dass er eine katholische Kirche komplett neu gestalten durfte. Er hat den Altarraum mit LED-Licht akzentuiert, der Gebetsecke mit Comic-Sprechblasen ein modernes Gesicht gegeben. Und er hat eine sechs Meter hohe Madonna an die Wand gesprüht, mit der passenden badischen Tracht. Diese Madonna mit dem Jesuskind war ihm ganz wichtig:

 Die Mutterliebe ist für mich der Punkt, wo viele Menschen sagen, wo ist deine Heimat, und da sagen viele: der Geburtsort. Und ich denke, dass es die Geburt ist und die Mutterliebe.

 Und diese Liebe zur Heimat hat er bei den Menschen in Goldscheuer gespürt. Die wollten ihre Kirche retten. Weil sie mit der Kirche ihren Lebensmittelpunkt verbinden. Alles, was Ihnen heilig ist, findet auch in der Kirche seinen Platz. Aber was verbindet Stefan Strumbel mit Heimat?

 Heimat ist überall, Heimat liegt in der Luft, man muss sie nur schnuppern, man muss sie schnuppern wollen. Und Heimat will jeder und empfindet jeder. Jeder steht morgens auf und will das Gefühl von Heimat. Heimat kann man sich für kein Geld der Welt kaufen und ich denke, dass Heimat die stärkste Droge der Welt ist, weil jeder sie will und jeder sie braucht. 

Heimat ist Strumbel wichtig, aber Kirche und Glaube, das spüre ich bin unserem Gespräch, bieten ihm keine Heimat.

 Die Institution Kirche und der Glaube, der interessiert mich nicht. Mich interessiert eigentlich an der Kirche nur die Kunst und die Macht der Symbolik. Ich glaube, aber das ist ein ganz persönlicher und ganz intimer Glaube.

 Ich bin da anderer Meinung. Heimatgefühl und Glaube leben auch davon, dass Menschen eine Gemeinschaft bilden, zusammen feiern, gemeinsame Rituale und Symbole haben. Aus einem privaten Glauben entstehen keine machtvollen Symbole. Aber Stefan Strumbel hatte bei der Ausgestaltung der Kirche »Maria, Hilfe der Christenheit« einen ganz klaren Vorteil: Er ist Außenstehender, er konnte ganz ohne Vorbehalte das Wesentliche der Kirche, ihre stärksten Seiten betonen. Dadurch konfrontiert er die Menschen mit der Frage: Was ist Dir heilig?

 Es war fantastisch. Am Anfang war ich natürlich der böse Mann mit der Sprühdose in der Kirche und am Schluss waren alle glücklich und die Kirche ist voll. Und die wird besucht und ich denke, wir haben alles rausgeholt, was man hätte machen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12587
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