SWR4 Abendgedanken RP

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Kunst kann man nicht essen. Gemälde und Statuen sind der reine Luxus. Wer arm ist, der hat eine Heidenangst davor, krank zu werden oder denkt an unbezahlte Rechnungen, aber wohl kaum an Kunstausstellungen im Museum. Und trotzdem, in diesem Monat gibt es in Ramallah, im autonomen  Palästinensergebiet, eine Mini- Ausstellung: Picasso in Palästina. Gezeigt wird ein einziges Bild: ein Gemälde von Picasso - Frauenbüste - fünf Millionen Euro wert. Was soll denn dieser Luxus in einem Krisengebiet? Hätte man das Geld und die Energie nicht sinnvoller einsetzen können, zum Beispiel für Krankenhäuser oder den Bau von Schulen? „Es hat sich gelohnt", sagen die Verantwortlichen. Diese Ausstellung hat den Palästinensern Selbstvertrauen und Würde gegeben. Ihnen wurde zugetraut, dass sie es schaffen, die Ausstellung zu organisieren. Mit Picasso ist ein Stück Normalität nach Palästina gekommen. Hier leben Menschen, die aus dem Teufelskreis von Gewalt ausbrechen wollen, die vergeben können und eine Zukunftsvision von einer besseren Welt haben. Deshalb ist Kunst wichtig, gerade in Ramallah. Egal, ob Gemälde, Musik, oder Kino.  Kunst kann man nicht essen, aber sie gehört zum Mensch-Sein dazu. Wir Menschen brauchen Essen, Trinken und Schlaf. Aber wir brauchen auch Liebe, Geborgenheit, wir brauchen unsere Fähigkeit zu Denken, und wir sind auf der Suche nach dem Sinn unseres Lebens. Außerdem sind wir kreativ und erschaffen ständig Neues -  handwerklich oder künstlerisch. Deshalb brauchen wir Menschen immer beides: Nahrung für den Bauch und für die Seele. Dazu passt eine kleine Geschichte von Rainer Maria Rilke: An einem Platz saß eine Bettlerin und nahm Almosen entgegen, ohne auch nur einmal aufzuschauen. Rilke gab ihr nie etwas. Man soll ihrem Herzen etwas schenken und nicht ihrer Hand, erklärte er einer Bekannten. Einige Tage darauf brachte Rilke der Bettlerin eine schöne, frisch erblühte Rose und legte sie in ihre bittende Hand. Da geschah etwas Unerwartetes: Die Bettlerin blickte zu dem Geber auf, erhob sich mühsam vom Boden und ging mit der Rose davon. Eine Woche war die Bettlerin nicht mehr zu sehen. Dann saß sie wieder wie zuvor an ihrem gewohnten Platz und wandte sich weder mit einem Blick noch mit einem Wort an ihre Geber. Auf die Frage seiner französischen Bekannten, wovon die Frau während der Zeit, in der sie keine Almosen erhalten habe, gelebt habe, antwortete Rilke: "Von der Rose". Wir Menschen brauchen eben beides: Brot und Rosen.

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