SWR4 Abendgedanken RP

SWR4 Abendgedanken RP

Bei uns im Landauer Park sehe ich häufig Studenten, die zwischen zwei großen Bäumen ein breites Band spannen und dann versuchen, darüber zu balancieren - Slackline, heißt das auf Neu-Deutsch. Die, die es richtig können, laufen ohne Probleme hin- und her und machen sogar einige Kunststücke darauf. Das sieht alles richtig leicht und lässig aus. Ich habe es dann selber ausprobiert und schnell festgestellt, dass es ganz schön schwierig ist, überhaupt nur auf diesem Band zu stehen und die Balance zu halten. Eine ganz schön wackelige Angelegenheit. Ein bisschen zu weit nach rechts und... zack! Ich komme aus dem Gleichgewicht und muss absteigen. Mit Hilfestellung geht es schon besser. Eine stützende Hand und dann klappen die ersten Schritte - Übungssache eben.
Ein gutes Gleichgewicht zu finden, fällt mir auch in anderen Bereichen nicht immer leicht. Eine schwierige Disziplin ist für mich zum Beispiel das Nein-Sagen. Kürzlich habe ich mich wieder richtig über mich geärgert. Ich war körperlich ohnehin ein bisschen angeschlagen und hatte eigentlich noch jede Menge Arbeit - und trotzdem habe ich kurzerhand einer Studentin in unserem Wohnheim zugesagt, in ihrem Zimmer zwei Rollos aufzuhängen. Eigentlich ein klarer Fall für den Hausmeister - der hatte aber keine Zeit. Ich mach´s schnell, höre ich mich sagen. Am Ende waren 1 ½ Stunden weg und ich hatte an dem Tag dann noch richtig Stress. Auf der einen Seite ist es natürlich gut, hilfsbereit zu sein. Es ist wichtig, dass man nicht immer Nein sagt, wenn jemand um Hilfe bittet. Auf der andren Seite kann man sich auch überstrapazieren. Und dann hilft man mit einem schlechten Gefühlt und Ärger im Bauch. Auf die richtige Balance kommt es eben auch hier an und auf eine gute Hilfestellung.
Die finde ich in der Bibel. Jesus sagt, das höchste Gebot sei: Du sollst Gott von ganzem Herzen zu lieben. Und Du sollst deinen Nächsten lieben so wie dich selbst. Ein Gebot das herausfordert: den Egoisten mahnt es, nicht nur auf sich, sondern auch auf seine Mitmenschen zu schauen. Und die, die manchmal mehr helfen als ihnen gut tut, ermutigt es, sich selbst nicht zu vergessen. Ich darf dann auch mal mit einem guten Gewissen Nein sagen. Das Ganze bleibt eine wackelige Angelegenheit. Und ich werde auch in Zukunft mal auf der einen und mal auf der anderen Seite aus dem Gleichgewicht kommen. Gut, dass ich dann auch hier wieder von vorne anfangen kann - Übungssache eben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11017
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