Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Manche Menschen kommen einfach nicht zur Ruhe. Sie sind immer auf Trapp. Und wenn sie einmal still sitzen wollen oder müssen, dann fällt ihnen das unendlich schwer.
Die Meditationslehrerin Silvia Ostertag hat für sie einen Rat. Sie sagt: Fast alle Menschen haben schon eine gute Erfahrung mit der Stille gemacht. Man muss sich nur daran erinnern. Es genügt, für einen Augenblick still zu sein, ohne etwas zu wollen und die Erinnerung an eine wohltuende Stille auftauchen zu lassen. Und die meisten Menschen erinnern sich dann.
Vielleicht an einen Spaziergang im Wald, das leise Rauschen der Bäume, so völlig anders als die Alltaggeräusche zu Hause.
Oder sie erinnern sich an eine alte Kirche, in der sie einmal allein im Halbdunkel gesessen sind und die Ruhe genossen haben.
Oder vielleicht taucht auch die Erinnerung an einen Moment der Stille in einem Gespräch auf. An den Augenblick, in dem alles gut war und alles gesagt war und man sich ohne Worte verstanden hat.
Und merkwürdig: Mit diesen Erinnerungen kommt man zur Ruhe. Es wird still, sobald man sich an Stille erinnert. Man muss dafür gar nicht in einer alten Kirche sitzen und auch nicht in den Wald gehen. Wann immer man will, kann man einkehren in die Stille.
Ich habe von einem Mann gehört, der das ausprobiert hat. Er hat bei einer Einkehrwoche gelernt, wie gut ihm die Stille tut. Er hat erfahren, dass es wirklich stimmt, was in der Bibel steht: „Durch Stillesein, würdet ihr Kraft schöpfen"(Jes 30,15). Die Stille, die er dort erfahren hat, wollte er auch zu Hause nicht mehr missen. Besonders gut getan hatte ihm das Mittaggebet. Daheim geht das nie, dachte er. Trotzdem hat er es mit der Erinnerungsmethode probiert. Er setzte sich einen festen Termin. Eine halbe Stunde am Tag: keine Störung, kein Telefon, keine Termine. Mit niemandem reden, nichts arbeiten. Davor und danach - ja. Aber immer in diesen 30 Minuten - nein. Er hat es versucht. Und immer begann er seine Übung damit, dass er sich an die Stille erinnerte. Es hatte erstaunliche Auswirkungen. Seine Stilleübung veränderte ihn. Die Kollegen haben es gemerkt. Er selbst. Sogar seine Familie profitierte davon. Er war einfach ruhiger, ausgeglichener. Hatte mehr Kraft für alles.
Stille ist eine Kraftquelle. Man kann aus ihr schöpfen, immer. Man braucht nur ein bisschen Zeit, ein bisschen Ruhe und die eigene Erinnerung.

Silvia Ostertag, Lebendige Stille Freiburg 2002

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10907
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