Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es ist Karwoche. In dieser Woche hört man in den Kirchen von dramatischen Szenen am Ende des Lebens Jesu. Auf seinem Weg zur Kreuzigung sind ihm einige Frauen gefolgt, „die um ihn klagten und weinten" - heißt es im Lukas Evangelium. (23,26-31)  Eine fast beiläufig erwähnte, anrührende Randnotiz. Ist sie aber nicht! Man kann annehmen: Es sind Frauen gewesen, die Jesus begleitet haben und die jetzt um den Mann weinen, auf den sie so viel Hoffnung gesetzt haben - dass sie endlich befreit würden: aus gesellschaftlicher, sozialer, politischer und religiöser Unterdrückung. Was für ein selbstbewusstes, rebellisches, wohl aber auch verzweifeltes Verhalten dieser Frauen! Sie wagen es, ihre Trauer und ihren Schmerz öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Und das in einer Zeit, in der Frauen keine Rechte haben und ohne Mann öffentlich nicht auftreten dürfen. Es wird zwar nicht berichtet, aber es ist nicht daran zu zweifeln, dass die Tempelaufseher und die römischen Soldaten versucht haben, diese Frauen - entsprechend damaliger Ordnung - zum Schweigen zu bringen. Jesus hält an auf seinem Kreuzweg und dankt den mutigen Frauen. „Töchter Jerusalems" nennt er sie. Was bedeutet: „Gottes, seines Vaters geliebte Töchter". Eine großartige, wunderbare Begegnung! Die weinenden Frauen am Kreuzweg Jesu zögern nicht, die Regeln der gesellschaftlichen und religiösen Moral zu brechen. Ohne Worte erklären sie ihren Widerstand gegen das Unrecht und die Grausamkeit, mit der man gegen Jesus vorgegangen ist. Frauen, die gegen eine tödliche Männerherrschaft protestieren. Der erste zivile und religiöse Ungehorsam von Frauen in der Geschichte der Christenheit! Seinen Grund hat das darin, dass Jesus den Frauen ganz anders begegnet, als die Männer seiner Zeit es getan haben. Jesus muss auf die Frauen anziehend gewirkt haben. Vielleicht gerade deshalb, weil sie gespürt haben, dass er kein Macho war, sondern ein einfühlsamer, liebevoller und zärtlicher Mann. Dem es aber auch nicht an Entschlossenheit gefehlt hat, öffentlich für die Frauen einzutreten. Mit Jesus entsteht für die Frauen ein „Klima der Freiheit". Manche Religionsfunktionäre mag das schon damals beunruhigt haben. Manche beunruhigt das bis heute. Doch Frauen, die aus dem Schatten einer Männerherrschaft in Religion und Gesellschaft heraustreten - sie können sich jederzeit auf Jesus berufen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10453
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