SWR4 Abendgedanken BW

SWR4 Abendgedanken BW

Viele Menschen beten. Gebetet wird öffentlich und privat im stillen Kämmerlein. Mit vorgeprägten Texten oder einfach so, wie es mir einfällt; für mich oder für andere; laut oder leise; gesprochen oder gesungen. Christen beten und Muslimen, ja auch viele, die ihres Glaubens gar nicht mehr so sicher sind. Aber das Beten ist so vielfältig, dass man oft gar nicht mehr sagen kann, was mit dem Gebet eigentlich gemeint ist. Einmal ist es nur ein Stoßseufzer, dann kann es ein „danke" sein, das aus tiefstem Herzen kommt; vielleicht ist es auch einmal ein Psalm oder ein Liedvers, mit dem ich bete.
Meine eigene Erfahrung ist: Wer betet, gibt ab. Wie ein Paketbote seine Fracht dort abgibt, wohin sie adressiert ist und damit auch die Verantwortung abgibt. Wer betet, gibt von seinen Sorgen und Befürchtungen, von seinen Hoffnungen und seiner Unruhe ab. Sie gehören jetzt nicht mehr mir allein. Ich wende mich an Gott und übergebe ihm die Mitverantwortung dafür. Wer betet, gibt ab von dem, was ihn beschäftigt, was ihn umtreibt und seine Gedanken bestimmt. Wer betet, überschreitet damit auch seine Grenzen: er geht aus dem eigenen Lebenskreis und Erleben und dem eigenen Alltag hinaus und stellt sich hinein in den Entscheidungsbereich Gottes. Er wird keineswegs all unsere Wünsche erfüllen, aber er nimmt nun Teil an meinem Leben. Beim Beten abgeben, was einen bedrückt: mir tut das gut.
Ich meine, man kann das auch lernen. Wer beten will, kann sich orientieren an dem Satz: Beten ist Reden mit Gott. Wie kann man mit Gott sprechen? Das Muster und Vorbild für jedes Gebet ist das Vaterunser. Es ist ein Modell, das die meisten kennen und das man einfach übernehmen kann. Im Vaterunser sind alle wichtigen Elemente enthalten, die zum Reden mit Gott gehören. Hier kann man Gott anreden als jemanden, dem man vertrauen kann. Auch was zwischen Menschen und in den verschiedenen Lebensgemeinschaften schwierig und wichtig ist, wird in diesem Gebet angesprochen: Vergib uns unsere Schuld, heißt es und: erlöse uns von dem Bösen. Für alles, was zum täglichen Brot gehört, darf man beten. Und dass die Welt so wird, wie Gott sie haben will. Das sind Beispiele aus dem Vater Unser.
Ich glaube, es gibt keine falschen Gebete, ich muss mein Gebet auch nicht vorzensieren, sondern ich darf alles ausdrücken, was mich bewegt. Das kann ich im Vertrauen darauf tun, dass Gott mich kennt und mein Gebet so beantwortet, wie es gut für mich ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10395
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