SWR4 Abendgedanken RP

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Es gibt viele Spiele, die unseren Tastsinn ansprechen. Schon für die Babys ist es wichtig, Gegenstände zu ertasten und auf diese Weise kennenzulernen. Babys sind besonders sinnliche Wesen. Für sie ist es wichtig, viele Sinneseindrücke von ihrer Umwelt zu bekommen. Alles, was sich mit den Händen formen und verändern lässt, regt den Tastsinn an wie kein anderes Spielzeug: Knete, Watte, Schaumstoff. Ich erinnere gut: In den Ferienfreizeiten war es üblich mit verbundenen Augen Gegenstände zu ertasten und zu erraten. Dass da manchmal etwas eklige Sachen bei waren versteht sich von selbst, es sollte ja auch der Belustigung dienen. Bei uns in der Stadt gibt es seit einiger Zeit ein Restaurant, in dem alles verdunkelt ist. Nur durch Ertasten finde ich meinen Platz und lande nicht auf dem Boden oder dem Schoß des Nachbarn.  Auch das Besteck und letztlich das Essen muss ich mir ertasten. Der sogenannte Tastsinn ist ein mechanischer Sinn und wird durch die Haut weitergeleitet. Beim Menschen geschieht das insbesondere über die Hände und die Fingerspitzen. Von Menschen, die in heilenden oder pädagogischen Berufen tätig sind, erwarten wir zu Recht eine „gute Hand" und mehr noch „Fingerspitzengefühl". Wenn ich mir für diese Fastenzeit vorgenommen habe, mehr als sonst mit allen Sinnen zu leben, dann gehört auch das dazu: Darauf zu achten, dass ich mit meinen Mitmenschen gut umgehe, dass ich sensibel bin und Fingerspitzengefühl habe. Elefanten im Porzellanladen sind dickhäutig und stoßen vieles um. Ich möchte kein dickes Fell haben, sondern eine sensible Haut. Ein Mensch, dem noch etwas unter die Haut gehen kann, ist feinfühlig genug, die Sorgen und Nöte der Mitmenschen zu sehen. Jesus war ein Mensch, der nicht nur Gottes Botschaft lehrte, sondern Gottes Nähe zu den Menschen lebte. Die Kinder berührte er und nahm sie auf seinen Arm, den Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Durch Jesus wurden die Menschen von Gott berührt. Es ist tröstlich, dass dieser Jesus auch aus der Haut fahren konnte, wenn er Ungerechtes erkannte. Ich wünsche mir das nötige Fingerspitzengefühl im Umgang mit meinen Mitmenschen, aber auch den Mut „aus der Haut zu fahren", wenn es nötig ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10229
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