Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR2 / SWR Kultur

  

SWR4

 

Autor*in

 

Archiv

SWR Kultur Wort zum Tag

17JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Der Fund ist eine Sensation: in einem Neandertalergrab hat man Knochen eines sechsjährigen Kindes mit Downsyndrom gefunden. Das bedeutet, dass die Neandertaler dieses Kind sechs Jahre lang versorgt haben. Menschen, die auf die Jagd gingen und in Höhlen lebten. Und dieser Fund steht nicht alleine da. So haben Archäologen das Skelett eines Neandertalers mit schweren Verletzungen gefunden, der mit diesen noch viele Jahre als Invalide überlebt haben muss. Auch ein Zeichen dafür, dass seine Gruppe ihn gepflegt und unterstützt hat.

Hat also Jesus von Nazareth gar nichts Neues gebracht mit seinem typischen: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst?“ Dieses Gebot steht ja schon im Alten Testament, das Jesus als Jude natürlich gekannt hat. Und auch in vielen anderen Religionen gibt es diese Gebote, sich um Arme zu kümmern oder mit ihnen Mitleid zu haben. Menschen brauchen einander und nur, wenn sie in ihrem Clan füreinander sorgen, können sie überleben. Das war schon bei den Neandertalern so und es gilt bis heute.

Aber Jesus ist in seinem Verständnis von Nächstenliebe viel weiter gegangen. Die Nächsten sind für ihn ausnahmslos alle um ihn herum, die in Not sind und Hilfe brauchen. Das hat er radikal gelebt. Er geht zu den Aussätzigen, die man aus Angst vor Ansteckung in Höhlen verbannt hatte und berührt sie. Und als eine Ausländerin ihn bittet, ihr Kind zu heilen, begreift er, dass er nicht nur für sein eigenes Volk da ist.

Jesus hat damit ein Zeichen gesetzt: Dass Gottes Liebe keine Grenzen kennt. Deswegen sollen die, die ihm nachfolgen, ihre Liebe auch nicht begrenzen.

Ein hoher Anspruch. Die Ressourcen – auch die der Nächstenliebe- sind schließlich endlich. Bei mir jedenfalls kommt früher oder später immer der Punkt, da sind meine Ressourcen erschöpft.

Ich glaube, dass Jesus so unbegrenzt lieben konnte, weil er ganz mit Gott verbunden war. Ich kann das nicht und doch spornt mich sein Anspruch an. Weil es mich fasziniert, wie Jesus seinen Nächsten begegnet ist. Es hat sie verändert. Sie wurden geheilt. Von ihren Krankheiten und den Verletzungen, die das Leben ihnen zugefügt hat, von ihrem Egoismus. Die Beziehung zu Jesus kann auch mich verändern. Die Enge in meinem Herzen. Die Angst, selber leer auszugehen, wenn ich mich für andere einsetze. Ich kann entdecken, wieviel reicher das Leben wird, wenn wir unser Herz füreinander öffnen. Eine Erfahrung, die sich wie ein roter Faden durch das Christentum zieht und dazu ermutigt, das zu leben, was tief in der Menschheit verankert ist: Nächstenliebe und Mitgefühl.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40278
weiterlesen...

SWR Kultur Wort zum Tag

16JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Eine Papstaudienz für Kabarettisten – dazu hat Franziskus hundert international bekannte Comedians in die ehrwürdigen Räume des Vatikans eingeladen. Die deutsch-türkische Kabarettistin Meltem Kaptan hat die Einladung des Papstes im ersten Moment für einen Scherz gehalten. Aber als klar war: der Papst meint es wirklich ernst, da hat sie sofort zugesagt. Und alle andern auch. Der Kabarettist Torsten Sträter etwa, der sich so ein „once-in-a-lifetime-Erlebnis“ natürlich nicht entgehen lassen wollte.

Man könnte sich ja fragen: Hat der Papst keine anderen Sorgen? Was wollte er ausgerechnet von diesen schrägen Vögeln, die ja gerne mal die Kirche aufs Korn nehmen?

Franziskus hat den Comedians dafür gedankt, dass sie mit Humor und Ironie die Menschen zum Lachen bringen und dadurch Grenzen und Vorurteile überwinden. Der Papst betont auch, dass sie auf positive Weise Probleme ansprechen und damit Hoffnung geben. Das sei gerade in diesen Zeiten besonders wichtig und sogar ein Beitrag für eine friedlichere Welt.

Bei den hundert Comedians kam er damit gut an. Torsten Sträter war danach so beeindruckt, dass er gewitzelt hat: „ Also, ich setze mich gleich mal auf einen Espresso in die Ecke und überlege, ob ich wieder in die Kirche eintrete.» Wahrscheinlich hat er bei Franziskus gespürt, dass Glauben und Humor gut zusammen passen. Schließlich hat der Papst erzählt, dass er jeden Tag um Sinn für Humor betet, um die Dinge im rechten Geist anzugehen.

 

Humor als Frömmigkeitsübung. Für mich ergibt das Sinn. Denn Humor ist die Fähigkeit, dem Leben mit einer gewissen Distanz zu begegnen und nicht alles zu wichtig zu nehmen. Wer Humor hat, rechnet damit, dass nicht alles perfekt ist, weder die anderen und schon gar nicht, man selbst. Deswegen kann man sagen, dass Humor sogar eine ganz spezielle Form der Demut ist. Das lateinische Wort für Demut  lautet „humilitas“. Das klingt nicht zufällig so ähnlich wie Humor. In beiden Worten steckt das Wort „humus“, das heißt übersetzt „Erdboden“. Wer Humor hat, weiß, dass die Menschen nicht höhere geistige sonst sehr irdische Wesen sind. Nicht perfekt. Wer Humor hat, kann trotzdem lachen – und das hat eine ungeheuer befreiende Wirkung. Beim Lachen atmen wir besonders intensiv. Das Zwerchfell wird gelockert, und wie von selbst strömt frischer Atem in unseren Körper. Wer lacht, verbindet sich mit den Lebenskräften. Und das kann Hoffnung geben.

Der Papst hat am Ende seines Treffens mit den Comedians daher noch einmal betont, wie wichtig Humor und das Lachen für die Menschen sind. Und er hat seine Gäste gebeten:

„Helfen Sie uns, mit einem Lächeln die Realität mit ihren Widersprüchen zu erkennen und von einer besseren Welt zu träumen!" 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40277
weiterlesen...

SWR Kultur Wort zum Tag

15JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Den einen Menschen finden, der perfekt zu mir passt – davon träumen viele. Und wenn zwei sich gefunden haben, dann scheint das Glück garantiert. Wie im Märchen, in dem der Königssohn die Königstochter heiratet – und wenn sie nicht gestorben sind, dann …sind sie für immer glücklich zusammen.

Oft wird dieser Märchen-Traum auf öffentliche Paare projiziert – wenigstens bei ihnen scheint er ja in Erfüllung gegangen zu sein. Steffi Graf und Andre Agassi sind so ein typisches Traumpaar. Seit fast 25 Jahren sind sie miteinander verheiratet. Und noch immer schwärmt Agassi von seiner Steffi: „Sie ist für mich die Erfüllung des Schicksals. Die Frau, die perfekt zu mir passt.“ 

Ich weiß nicht, wie es bei Steffi Graf und Andre Agassi war. Ob sie in ihrer Ehe immer nur glücklich miteinander waren. Ob sie nicht auch Missverständnisse und Enttäuschungen erlebt haben und auf Distanz gegangen sind und trotz ihrer Partnerschaft auch manchmal einsam waren. Nach meiner Erfahrung ist das in einer intensiven Beziehung unvermeidlich. Und das ist herausfordernd. Auf einmal passt nichts mehr zusammen. Sogar die Eigenschaften, die mich anfangs besonders angezogen haben, stören mich jetzt. Dass mein Partner ruhig und überlegt ist, empfinde ich dann womöglich als verschlossen und reserviert. Und wenn mich an meiner Partnerin ihre fantasievolle und kreative Art angezogen hat, dann erlebe ich sie auf einmal als chaotisch.

In der ersten Verliebtheit meinen wir, den einen Menschen gefunden zu haben, der gerade das, was mir fehlt, ergänzt. Und umgekehrt. Gemeinsam sind wir perfekt. Eben ein Traumpaar. Aber auf lange Sicht gesehen kann ich das, was mir innerlich fehlt, nicht an meinen Partner delegieren. Und so sind schwierige Zeiten in einer Beziehung immer auch eine Chance, sich selber weiter zu entwickeln.

In einem Interview hat Andre Agassi einmal gesagt: "Das erste ist, sich selbst zu kennen. Man kann keine Beziehung eingehen, in der man den anderen braucht, um sich vollständig zu fühlen, sonst kämpft man mehrere Schlachten."  Da werden ihm viele Psychologen zustimmen. Jeder Mensch muss erst mal mit sich selber klarkommen. Mit seinen positiven und mit seinen schwierigen Seiten und mit seiner Herkunftsgeschichte. Manchmal ist das so belastend, dass man dabei Hilfe braucht. Und wenn die eigenen Altlasten oder die des Partners zu groß sind, dann kann das für eine Beziehung auch eine Überforderung sein. Es bedarf meist eines langen und geduldigen Weges, dass wir innerlich reifen und uns mit uns selbst versöhnen können. Auch in einer guten Beziehung werden wir nicht einfach erlöst. Aber eine gesunde  Beziehung kann ein guter Rahmen sein, als Einzelne und als Paar zu wachsen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40276
weiterlesen...

SWR Kultur Lied zum Sonntag

16JUN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wenn ich ein Kind sehe, das sich auf den Schoß seiner Mutter kuschelt, berührt mich das. Ich erinnere mich dann, das vor Jahren bei meinen Kindern war. Es rührt wohl auch meine eigene Erfahrung an, wie ich als Kind den warmen Körper meiner Mutter gespürt und ihre liebevolle Stimme gehört habe. Ganz sicher und geborgen habe ich mich da bei ihr gefühlt. Eine Erfahrung, die nicht nur für Kinder wichtig ist.

Das Lied von heute Morgen erzählt davon, wie man so ein Gefühl der Geborgenheit auch bei Gott finden kann.

Geborgen in dir, Gott, atme ich ein,
schöpfe ich Hoffnung aus Brot und Wein.
Geborgen in dir, Gott, lasse ich los
und liege sicher in Mutters Schoß.
Geborgen in dir, Gott, ruhe ich aus,
bin ich zufrieden, bei dir zu Haus.

Bei Gott ausruhen können wie im Schoß der Mutter, bei ihm ganz selbstverständlich zu Hause sein – so kann man die Beziehung zu Gott erleben. Jesus hat sich so mit Gott verbunden gefühlt. Deswegen hat er ihn mit „Abba“ angesprochen. Das entspricht unserem kindlichen „Papa“. Mir gefällt an unserem Lied von heute Morgen, dass es mich mit seiner Melodie und seinen Bildern in dieses Vertrauen, wie es schon Jesus zu Gott hatte, hineinnimmt.

Gott sorgt für mich. Ich muss mich nicht ängstlich an meinem bisschen Leben festklammern, sondern kann loslassen. Wenn die Angst kommt, dann trägt mich so ein Vertrauen weiter. Ich kann freier atmen, wenn ich in Gott geborgen bin.

Dabei geht es nicht darum, in einer kindlichen Beziehung zu Gott zu verharren. Eine lebendige Beziehung will sich entwickeln. Das kann man auch zwischen Kindern und Eltern wahrnehmen. Wenn Kinder genug Sicherheit bei Mama oder Papa getankt haben, dann klettern sie vom Schoß herunter und erkunden ihre Welt. Weil sie einen inneren Halt gefunden haben, können sie sich auf das Abenteuer des Lebens einlassen. So erlebe ich das auch in meiner Beziehung zu Gott: Mein Glauben ermutigt mich, loszugehen.

Gehalten von dir, Gott, wache ich auf,
wage ich tastend den Tageslauf
Gehalten von dir Gott, stehe ich fest,
gehe und lebe, weil du mich lässt.

Eltern freuen sich, wenn ihr Kind größer und selbständiger wird. Und doch verlangt diese Entwicklung beiden Seiten etwas ab. Es fällt gar nicht so leicht, ein Kind freizulassen und ihm zuzutrauen, dass es auf seinen eigenen Füßen stehen kann. Auch als Kind ist man herausgefordert, sich den Zumutungen des Lebens zu stellen. Ich glaube, wir können dabei von Gott lernen. Gott will mich nicht in kindlicher Abhängigkeit halten. Er lässt mich frei, weil er mir vertraut und mir auch etwas zutraut. Die Beziehung zu Gott bleibt auch dann, wenn ich auf Abstand gehe oder Zweifel bekomme. So kann ich wachsen und erwachsen werden. Denn Gott bleibt mein Gegenüber, er lässt mich frei und doch ruft er mich. Jeden Tag.

Gerufen von dir, Gott, horche ich hin,
frage ich staunend, wer ich wohl bin.
Gerufen von dir, Gott, bin ich genannt.
Bei meinem Namen in deiner Hand.
Gerufen von dir, Gott, sage ich ja
mit dir verbunden, so bin ich da.        

 

 

 

Musik:

Geborgen in dir, Gott. Lied für gemischten Chor und Klavier

Lied zum Sonntag. Produktion vom 20. und 21.05.2022

Lehmann, Christoph; Schäfer, Rudi

CoroPiccolo Karlsruhe; Raiser, Christian-Markus, Chorleitung

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40126
weiterlesen...

SWR Kultur Wort zum Tag

24APR2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

94 – was für ein stolzes Alter. Mein Vater hat es heute erreicht - und die ganze Familie freut sich mit ihm: Kinder, Enkel und inzwischen sogar schon Urenkel.

Meinen Vater bringt so schnell nichts aus der Ruhe und gleichzeitig strahlt er eine tiefe Lebensfreude aus. Manchmal frage ich mich: Woher kommt das? Was hat er Gutes erlebt und was war schwierig für ihn? Er erzählt gerne von seinen Jugenderlebnissen, von Radtouren mit Freunden und von seiner kirchlichen Jugendgruppe. Auch von den Menschen, die ihn geprägt haben – etwa sein Großvater. Die Generation meines Vaters musste aber auch den Nationalsozialismus und den 2.Weltkrieg erleben. Er hatte das Glück, nicht mehr eingezogen zu werden, weil er zu jung war. Das Geburtsjahr kann zum Schicksal werden.

Danach ging es in vielfacher Hinsicht wieder bergauf. Es herrschte Frieden und man konnte etwas aufbauen. In dieser Zeit hat mein Vater eine Familie gegründet und das Geld verdient. Für uns Kinder war vor allem meine Mutter zuständig. Dabei hat mein Vater ein Händchen für Kinder. Vieles davon hat er erst später als Großvater mit seinen Enkeln ausleben können.

In welche Zeit und in welche Umstände wir hinein geboren werden, prägt unser Leben. Es ist uns gegeben – und aufgegeben, ob es helle oder dunkle Tage sind. Wir bekommen Chancen und stehen vor Herausforderungen und so weben wir unseren Lebensfaden ins Ganze des Lebens.

In den mittleren Lebensjahren geht es dabei vor allem um das, was wir tun und leisten. Und manchmal sind es gerade die Herausforderungen, an denen wir wachsen und auf die wir zu Recht

stolz sind.

Wenn dann die Kräfte und Fähigkeiten mit zunehmendem Alter nachlassen, ist das nicht einfach zu akzeptieren. Mein Vater sagt manchmal mit Bedauern: „Ich kann ja nicht mehr viel machen“. Das stimmt. Aber mit 94 muss man keine Bäume mehr pflanzen. Und trotzdem gibt er uns ganz viel. Einfach dadurch, wie er ist. Im hohen Alter zählt die innere Haltung. Wie ein Mensch geworden ist. Welche Werte ihm wichtig waren und aus welchem Geist er gelebt hat.

Auch das hinterlässt Spuren im Gewebe des Lebens. Es sind weniger die vordergründigen Farben und Muster – eher die Kettfäden, die alles zusammenhalten. Bei meinem Vater ist ein solcher Faden sein Gottvertrauen. Das macht ihn zuversichtlich, auch wenn er nicht weiterweiß und spürt, dass sein Leben zerbrechlich wird.

Lieber Papa, Gottes Segen zu deinem 94. Geburtstag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39790
weiterlesen...

SWR Kultur Wort zum Tag

23APR2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wilden Tieren in freier Wildbahn begegnen – das habe ich bei einer Safari erlebt. Da sind mir die massigen Körper der Elefanten und Nashörner sehr nahegekommen. Beeindruckend! Und als eine friedlich grasende Herde von Zebras blitzschnell davongerannt ist, weil ein Löwe aufgetaucht ist, hat mir das schon eine Gänsehaut gemacht.

Die ungezähmte Lebenskraft von wilden Tieren fasziniert mich, aber sie macht mir auch Angst. Sie ist mir fremd. In der zivilisierten Welt, in der ich lebe, muss ich nicht befürchten, von einem Tier angegriffen zu werden. Mein Leben ist sicher und bequem, und das weiß ich auch zu schätzen. Aber es ist auch etwas verloren gegangen, nämlich dass ich Leben und Lebendigkeit so ganz direkt und kraftvoll erfahren kann.

Das gilt auch für meinen Glauben. Für mich ist Gott „zivilisiert“.

Wenn ich allerdings in der Bibel lese, finde ich einen Gott, von dem so eine unmittelbare und ganz starke, fast schon wilde Kraft ausgeht. Wenn er etwa dem Mose im brennenden Dornbusch erscheint und ihm den Auftrag erteilt, sein Volk zu befreien. Das ist kein gezähmter Gott. Auch Jesus muss Gott so erfahren haben. Nach seiner Taufe geht er in die Wüste. Er setzt sich 40 Tage lang dem Hunger und dem Durst aus, der Einsamkeit, den wilden Tieren. Und am Ende dienten ihm die Engel. Jesus kommt also wohl in einen tiefen Kontakt zum Göttlichen, weil er sich auf diese fremde, wilde Welt eingelassen hat. Er wird Gott seinen Vater nennen – und zugleich wird ihn dieser Gott herausfordern bis zum Letzten.

Ich gebe zu: mir wird bei diesen Gedanken durchaus ungemütlich. Ich habe mich mit meinem zivilisierten Leben und meinem zivilisierten Gott ganz gut eingerichtet. Da gibt es keine unzumutbaren Herausforderungen.  Aber da ist auch nur wenig, was mich unmittelbar packt und fasziniert.

Ich beginne zu ahnen, dass Gott nicht nur ein transzendentes, geistiges Wesen ist, sondern dass auch die ungebändigte Kraft zu ihm gehört. Wie sonst kann ich mir vorstellen, dass alles vom Einzeller bis zum Elefanten, Giraffen, Zebras, Krokodile und Flusspferde, dass sie alle aus seiner göttlichen Kreativität kommen?

Jetzt bin ich nicht mehr auf Safari. Aber ich ziehe meine Schuhe aus und spüre die Erde unter meinen nackten Füssen und ich schaue nach oben, in den weiten Himmel. Er ist voll von den unfassbaren Energien von Sonne und Wind. Es ist und bleibt wohl ein Geheimnis: wie ungezähmt und wild mein Gott sein kann! 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39789
weiterlesen...

SWR Kultur Wort zum Tag

22APR2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wo habe ich es nur hingelegt – das Handykabel?  Solange die Batterie genug Energie hat, ist das noch kein Problem. Aber spätestens, wenn sie leer ist, fange ich fieberhaft zu suchen an. Denn ohne Verbindung zur digitalen Außenwelt bin ich von Vielem abgeschnitten, was für mich zum Leben dazugehört.

Manchmal geht es mir mit meiner Lebensenergie so ähnlich. Wenn ich nicht rechtzeitig auflade, leert sich mein innerer Akku, manchmal ohne, dass ich es merke - und auf einmal fühle ich mich ausgelaugt. Wie abgeschnitten vom Leben. Es ist nicht so sehr eine körperliche Erschöpfung, sondern eher eine seelische. Ich bin antriebslos, und alles wird mir egal.

Dann hilft mir oft, wenn ich rausgehe und laufe oder etwas Praktisches tue wie Gartenarbeit oder Kochen. Aber das reicht nicht immer. Ich bleibe leer und mir fehlt – bildlich gesprochen – ein Aufladekabel, mit dem ich mich an eine größere Energiequelle anschließen kann. Denn aus mir selber kann ich mich nicht aufladen.

Für mich ist Gott eine solche Energiequelle. Er ist Ursprung und Schöpfer des Lebens, die Urkraft, aus der alles kommt. Ich möchte mit dieser Energie, mit dem göttlichen Spirit, der alles Leben durchströmt, in Verbindung kommen. Natürlich kenne ich die klassischen Wege – Gebet und Gottesdienst…  aber nicht immer finde ich dadurch einen Zugang. Ich bleibe irgendwie außen vor, wie abgeschnitten.

Dann muss ich mich eben - wie bei meinem Handykabel – auf die Suche machen. Wo soll ich anfangen? Bei anderen religiösen Traditionen oder mit fremden Ritualen? Mir hilft es, wenn ich erst mal bei mir selber bleibe und mit meinem Innern Kontakt aufnehme. Wonach sehne ich mich eigentlich? Was fehlt mir? Die Suche führt mich zu meiner Seele, zu diesem inneren Raum, in dem ich zu Hause bin. Aber wenn ich nur um mich selber kreise und in mir gefangen bleibe, dann leidet meine Seele. Sie möchte sich mitteilen und angesprochen sein. Sie sehnt sich nach einem Gegenüber, nach einem Du. Sie sehnt sich danach, verbunden zu sein.

So wird gerade die schmerzliche Leere zur Kontaktstelle zu Gott.

Wenn ich mir diese Sehnsucht eingestehe, dann werde ich durchlässiger. Meine Seele öffnet sich für Gott. Oft ereignet sich das in der Stille. Auf einmal ändert sich mein Lebensgefühl. Ich fühle mich verbunden mit mir selbst, mit dem Leben und mit Gott. Und die Lebensenergie beginnt wieder zu fließen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39788
weiterlesen...

SWR2 Wort zum Tag

31JAN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

In meiner Teetasse ist ein ganzer Sommer eingefangen. Und ich liebe es, ihn jetzt im Winter zu trinken. Den Tee habe ich im Sommerurlaub in einem kleinen Kräuterhof in den Bergen gekauft. Wenn ich ihn trinke, sehe ich wieder die Felder mit all den blühenden Kräutern vor mir, und die Kammern, in denen die Kräuter getrocknet werden. Die Bäuerin hat mir viel darüber erzählt, wie ihre Kräuter wirken und wie heilsam sie sind. Das hat sie von ihrem Großvater gelernt und ihr Wissen über Jahrzehnte (weiterentwickelt. Etwa dass Ringelblume Schmerzen lindert,  Lavendel beruhigt und der bittere Weißdorn den Bluthochdruck senkt.  

Wenn ich jetzt meine getrockneten Kräuter mit heißem Wasser aufgieße, dann werden sie quasi zu neuem Leben erweckt. Das Wasser setzt die Aromen frei, und mit der Wärme und dem Duft steigen Erinnerungen in mir auf.

Da begreife ich: Das Leben ist verwoben. Wir leben niemals nur in der Gegenwart, sondern in unserem Leben wirkt immer auch weiter, was schon war. Deswegen haben  ältere Menschen oft das Bedürfnis, von früher zu erzählen – etwa, was sie als Kind erlebt haben. Sie tauchen dann regelrecht ein in diese alte, vergangene Zeit, und die Gefühle von damals werden wieder lebendig. 

Jeder Mensch braucht  Erinnerungen, um sich selbst zu verstehen und auch um sich mit seinem Leben zu versöhnen. Da erinnere ich mich an schöne Zeiten und auch an schwierige, die mich besonders herausgefordert haben. Wie bei den Kräutern in meinem Tee  gibt es im Leben neben den wohlriechenden und angenehmen auch die bitteren Erfahrungen. Interessant ist ja, dass bei den Kräutern gerade die eine besonders heilsame Wirkung haben.

Wenn ich mit meinem Leben versöhnt sein will, ist das wohl ein wichtiger Schritt: dass ich auch die schweren und leidvollen Erfahrungen annehmen kann. Denn auch sie gehören zu meinem Leben.

Die Kräuter nehmen Nährstoffe aus der Erde auf, die Sonne und den Regen,  Hitze und Kälte – das macht ihre besondere Wirkung aus. Und so bin auch ich geprägt von meiner Herkunftsfamilie und von guten oder auch schwierigen Lebensumständen. Daraus kann ich mich entwickeln und hoffentlich das zum Blühen bringen, was mir wichtig ist. Und was wird am Ende bleiben?

Ich habe die Hoffnung, dass am Ende Einer alles aufsammeln wird. So wie die Kräuterfrau, die ich im Sommer in den Bergen kennengelernt habe. Denn alles, was in meinem Leben gewachsen ist, gehört zu meiner persönliche Lebensmischung.  Und wie schön ist es, wenn sie am Ende wohlschmeckend und heilsam ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39253
weiterlesen...

SWR2 Wort zum Tag

30JAN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ein junges Paar, das sich verliebt anlächelt – wir trauen uns! Oder Danke für die vielen Glückwünsche zu unserer Hochzeit…Solche Karten stehen immer  wieder auf unserem Wohnzimmerregal. Inzwischen kommen sie von der Generation unserer Kinder, die eben längst keine Kinder mehr sind, sondern junge Menschen, die ihr Leben miteinander teilen wollen.

Sie haben Träume für ihr gemeinsames Leben. Wollen miteinander etwas schaffen. Eine Familie gründen. Ihre Ideale verwirklichen. Ich spüre die positive Energie, die davon ausgeht und freue mich mit ihnen.

Ich denke auch zurück: Wie war das bei meinem Mann und mir  als wir geheiratet haben? Mit welchen Träumen sind wir damals gestartet? Und was davon konnten wir verwirklichen? Natürlich sind nicht alle Träume in Erfüllung gegangen. Und doch bin ich dankbar für unser gemeinsames Leben: Wie wir unseren Alltag gestalten, Kontakt halten mit unseren Familien, Freunden und Nachbarn, wofür wir uns einsetzen und was wir zusammen genießen. Aus den anfänglichen Träumen ist ein ganz konkretes gemeinsames Leben geworden, unser Lebensraum, den wir Tag für Tag miteinander gestalten.

Lebensträume und Lebensräume – nur ein einziger Buchstabe macht den Unterschied, aber im wirklichen Leben ist das ein spannungsvoller und mitunter anstrengender Prozess. Der Alltag fordert seinen Tribut, vor allem, wenn Kinder da sind. Wie soll man alles unter einen Hut bekommen, Beruf und Familie? Wie damit umgehen, dass das Geld knapper wird und die Zeit nie reicht? Wenn so viel zusammenkommt, funktionieren viele Paare nur noch. Und auf einmal stellen sie fest, dass sie sich als Paar aus den Augen verloren haben.

Aber Paare können an diesen Herausforderungen auch wachsen. Niemand muss ein Traumpaar oder eine Traumfamilie sein. Die ideale Beziehung gibt es nicht. Beziehungen sind immer im Prozess, im Werden.

Wenn zwei aneinander schätzen, was jedem möglich ist, und mit Gelassenheit und Humor lernen, den anderen so zu nehmen, wie er ist, ohne ihn ständig verändern  zu wollen. So wird die  Beziehung geerdeter und reifer.

Von der katholischen Kirche  gibt es übrigens eine Aktion, die genau dazu passt. Sie heißt „7Wochen Lebensträume“. Wer sich anmeldet, bekommt von Aschermittwoch bis Ostern sieben Briefe. (www.7wochenaktion.de) Im besten Fall liest man die Briefe zu zweit. Und es ist ja klar: sieben Wochen reichen nicht, damit  aus Lebensträumen  Lebensräume werden. Doch es tut auf jeden Fall gut, sich diese Zeit füreinander zu gönnen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39252
weiterlesen...

SWR2 Wort zum Tag

29JAN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

2024 - die Jahreszahl klingt immer noch neu für mich. Aber bringt dieses Jahr auch wirklich Neues in mein Leben? Eigentlich geht ja das Meiste weiter wie bisher. Die Macht der Gewohnheit ist groß, besonders dann, wenn man schon älter ist.

Von daher fasziniert mich die biblische Geschichte von Abraham. Er ist schon alt, aber Gott mutet ihm extrem viel Neues zu. Gott fordert Abraham auf: „Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde.“

Warum sollte Abraham sich darauf einlassen und sein altes Leben aufgeben? Als alter Mann tut man so etwas nicht freiwillig. Aber Gott verspricht: „Ich werde dich zu einem großen Volk machen und dich segnen. Ein Segen sollst du sein.“

Gott sagt ihm zu: „Du sollst ein Segen sein.“ Und das heißt: Durch dein Leben soll etwas von mir in die Welt kommen. Deine neue Zukunft trägt meine Handschrift. Du sollst nicht nur für deine Familie zum Segen werden, sondern für alle. So groß denkt Gott von Abraham. Deswegen soll er losziehen ins Neue. Weil es um eine Zukunft geht, die von Gott kommt.

Diese alte Geschichte lockt auch mich aufzubrechen. Denn allzu leicht bleibe ich in meinen eingefahrenen Denkmustern stecken und schaue skeptisch in die Zukunft.

Aber Gott traut mir auch viel Neues zu. Ich muss dafür nicht in ein fremdes Land auswandern. Aber ich kann neue Möglichkeiten bei mir und anderen aufspüren, und so wie Abraham zum Segen werden.

Abraham bricht zusammen mit seiner Frau und seinem Neffen auf, er nimmt auch seine Knechte und Mägde und seine Tiere mit. Segen verwirklichen geht nur zusammen. In einem Netzwerk gegenseitiger Ermutigung. Mal knüpfe ich dazu bei andern an, mal kann ich ein Anknüpfungspunkt sein. Und so: in starker Gemeinschaft und mit mutigem Blick nach vorne kann 2024 Neues entstehen, das zum Segen wird!  

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39251
weiterlesen...