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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

08MRZ2025
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„Mut ist ein Muskel. Den hat man nicht, sondern den trainiert man.“ Dieser Satz stammt von Luisa Neubauer. Sie ist Klimaschutz-Aktivistin und wohl die bekannteste Vertreterin der deutschen Fridays-for-future-Bewegung. Gerade angesichts der Krisen und Probleme, die manchmal unüberwindbar scheinen, spricht sie immer wieder davon, dass Hoffen harte Arbeit ist und Mut ein Muskel, den wir trainieren können.

Luisa Neubauer beeindruckt mich zutiefst. Sie wird im Internet und auch im direkten Umgang beschimpft, bedroht, gehasst. Nichts davon hält sie davon ab, weiter für eine gute Zukunft einzustehen. Mut lässt sich trainieren. Das zeigt Luisa Neubauer täglich.

Und Mut braucht es gerade dann, wenn es ausweglos erscheint und der Gegner übermächtig. Ich denke an die Bischöfin Mariann Budde, die bei der Einsetzungsfeier von Präsident Trump deutliche Worte an ihn gerichtet hat und ihn aufforderte, barmherzig zu sein und Mitgefühl zu haben mit queeren Menschen und Immigranten, die jetzt in Angst leben. Für diese Ansprache hat sie weltweit Anerkennung bekommen, von Trump und seinen Anhängern dagegen wurde sie beleidigt und bedroht.

Für ihren unglaublichen Mut wurde vor einigen Tagen Gisèle Pelicot vom Time Magazin zur „Frau des Jahres 2025“ gekürt. In dem Prozess gegen ihren Ehemann, der sie betäubt und mit anderen Männern vergewaltigt hatte, hat sie Geschichte geschrieben. Mit ihrem Satz „Die Scham muss die Seite wechseln!“ ermutigt sie Frauen auf der ganzen Welt, gegen Unterdrückung und Gewalt aufzustehen.

Für mich sind diese und so viele andere Frauen Vorbilder. Vorbilder dafür, was passieren kann, wenn wir mutig sind. Und es sind nicht nur die großen Geschichten, sondern auch die vielen alltäglichen, in denen Frauen für sich und für andere einstehen, zusammenhalten, widersprechen, wenn etwas ungerecht ist.

Mut ist ein Muskel und wir können ihn trainieren. Und wir werden ihn brauchen, wenn wir in Zukunft für die Rechte von Frauen und Minderheiten einstehen wollen. Die gute Nachricht ist: Mut kann wachsen, wenn wir uns zusammentun und Mut kann verändern, wenn wir handeln.
Setzen wir ihn ein, unseren Mutmuskel - nicht nur heute, am Weltfrauentag, sondern wenn nötig auch an jedem anderen Tag des Jahres.

*Quelle Zitat: Instagram-Account Luisa Neubauer, Ausschnitt aus einer Lesung zu ihrem Buch „Was wäre, wenn wir mutig sind?“ 22.2.25

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

07MRZ2025
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„Was würdet ihr denn tun, wenn ihr Chefin oder Chef von Deutschland wärt?“ Das frage ich meine Kinder. Wir sitzen auf dem Sofa und die Kinder beschäftigt die Frage, wer denn jetzt Bundeskanzler wird was nach der Wahl passiert. „Was wäre euch denn wichtig? Welche Regeln würdet ihr aufstellen?“

Mein Sohn überlegt keine Sekunde: „Süßigkeiten für alle!“ ruft er „und alle Kinder bekommen Gutscheine, mit denen sie sich was kaufen können!“
Meine Tochter lacht begeistert und überlegt dann: „Und wir brauchen viele Ärztinnen und Ärzte, die nichts kosten - und gute Schulen mit netten Lehrerinnen und Lehrern. Schulen wo man auch mit dem Rollstuhl ins Klassenzimmer kommt!“
„Ja“ sagt mein Sohn „und ich würde bestimmen, dass es keinen Krieg gibt. Und viele Spielplätze! Die Welt müsste viel gerechter sein – zum Beispiel dass Kinder nicht arbeiten müssen. Und alle Armen eine Wohnung bekommen.“

Meine Kinder durften bei der Bundestagswahl nicht wählen, leider. Sie gehören zu den insgesamt 14 Millionen Kindern und Jugendlichen, die keine Stimme hatten.
Damit hängt sicher zusammen, dass ihre Themen im Wahlkampf kaum vorgekommen sind. Über die Ausstattung von Schulen und Kindergärten, gute Freizeitangebote, Klimaschutz und die Frage nach einer lebenswerten Zukunft wurde kaum gesprochen.

Und das ist ein echtes Problem: Wenn junge Menschen sich zu wenig gehört fühlen, wenn sie nicht mitbestimmen können, dann kommt Frust auf. Dann erfahren sie nicht, dass es wichtig ist, sich einzubringen. Und dann haben es extreme Parteien umso leichter.  Darauf machen auch die Kinder- und Jugendverbände immer wieder aufmerksam, wenn sie fordern, dass die Themen junger Menschen in den Fokus gerückt werden müssen. 

Für Jesus war das schon vor 2000 Jahren klar: Als die Jünger sich darum streiten, wer von ihnen der Ranghöchste ist, holt Jesus ein Kind in die Mitte und sagt ihnen, dass sie umkehren sollen und werden, wie die Kinder. „Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten“, sagt er. (Mt 18,10)
Ich finde, diesen Ansatz können wir uns heute immer wieder zu Herzen nehmen. Kinder und Jugendliche verstehen viel mehr von der Welt, als Erwachsene oft denken. Sie stellen die richtigen Fragen, haben gute Ideen und vor allem Bedürfnisse, die genauso wichtig sind, wie die der Erwachsenen. Sie sollten viel mehr in die Mitte gestellt werden – so wie bei Jesus. Und vielleicht wählen wir ja wirklich mal eine Kinderkanzlerin oder einen Kinderkanzler. Einen Versuch wäre es doch wert!

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

06MRZ2025
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Seit meine Mutter in Rente ist, hat sie jede Menge Termine. „Heute Abend ist wieder WiWi-Stammtisch“ erzählt sie mir am Telefon. WiWi ist die Abkürzung für Witwen und Witwer. Sie treffen sich einmal im Monat und meine Mutter ist jetzt regelmäßig dabei.  Gefunden hat sie die Gruppe über eine Zeitungsannonce -und ist dann einfach hingegangen. Ganz schön mutig, finde ich.

Ich habe mir das bisher so vorgestellt wie eine Trauergruppe. Ich dachte, die Witwen und Witwer treffen sich, um sich darüber auszutauschen, wie sie mit ihrer Trauer umgehen, wie es ihnen damit geht, jetzt allein zu sein. Meine Mutter hat gelacht, als ich ihr das erzählt habe. „Ach was, wir treffen uns einfach und unternehmen was zusammen oder haben es lustig!“ sagt sie. „Bei uns herrscht keine Trauerstimmung!“. Sie erzählt mir, dass es ihr guttut, mit Leuten zusammen zu sein, die wissen wie es ist, jemanden verloren zu haben. Da muss man dann gar nicht groß drüber reden, man versteht sich auch so. Manche dort sind noch jünger, andere schon lange dabei.

Ich finde es richtig gut, dass es so viele verschiedene Angebote gibt für Menschen, die trauern und dass meine Mutter etwas gefunden hat, das für sie passt. Denn wenn wir einen lieben Menschen verlieren, dann gibt es ganz unterschiedliche Bedürfnisse – und alle können gleichzeitig da sein.

Zum Beispiel der Wunsch, nicht über den Verlust reden zu wollen – und gleichzeitig zu wissen, dass da Menschen sind, denen ich erzählen kann, wie es mir geht, wenn es mir danach ist. Oder das Gefühl: der Alltag geht weiter, aber gleichzeitig ist alles neu, weil der  Mensch, der jahrelang an meiner Seite war, nicht mehr da ist.
Die Trauer braucht ihren Platz. Es gibt Phasen oder Umstände, in denen sie fast den ganzen Raum einnimmt. Und das ist in Ordnung. Trauergruppen und Ansprechpersonen können da helfen. Die finden sich beispielsweise bei Caritas oder Diakonie, dem örtlichen Hospiz oder den Kirchengemeinden. Niemand muss alleine mit dieser Situation fertig werden.

Auch Zeit mit Freundinnen und Freunden, Familie oder ehrenamtliches Engagement, bei dem ich neue Menschen kennenlerne und neue Erfahrungen mache, können genau das Richtige sein. Oder eben wie bei meiner Mutter der „WiWi“-Stammtisch, bei dem ganz gewiss keine Trauerstimmung aufkommt.
Wichtig ist vor allem, sich Zeit zu geben – und herauszufinden, was mir gerade gut tut. Und manchmal braucht es eben eine kleine Zeitungsannonce und ein wenig Mut, um genau das zu entdecken.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05MRZ2025
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Heute beginnt die Fastenzeit. Für viele Menschen ist sie ein Anlass, auf Süßigkeiten, Fleisch oder Alkohol zu verzichten. Die Zeitschriften sind voll mit Tipps, wie wir in den 6 Wochen bis Ostern gesünder, sportlicher, bewusster leben können.
Mich stressen diese Tipps jedes Jahr. Sie machen mir Druck. Sie erinnern mich an all das, was ich tun könnte, ja, tun sollte, denn andere schaffen es ja anscheinend auch. Dabei will ich doch weniger von allem. Weniger Druck, weniger Erwartungen, weniger tun müssen.

Stattdessen wünsche ich mir Platz in meinem Alltag, für das, was wirklich zählt. Ich sehne mich nach Momenten, in denen ich durchatmen und neue Kraft tanken kann.
Gerade nach den letzten Wochen, die voll waren mit Wahlkampfgetöse, mit Sorgen, wie es weitergeht, mit Diskussionen darum, was die richtigen Schritte in die Zukunft sind.

Ob sie wollen oder nicht- die Parteien können nach der Wahl erstmal noch nicht durchatmen. Sie müssen jetzt verhandeln, um trotz aller Unterschiede gemeinsam weiterzukommen. Wo gibt es Kompromisse und was sie verbindet sie?

Vielleicht kann die Fastenzeit ja dafür ein ganz passender Rahmen sein. Der biblische Ursprung liegt in der Erzählung von Jesus, der in die Wüste gegangen ist, um zu fasten und dort allerlei Versuchungen widerstehen muss. Es geht dabei um Eitelkeit, um Ego und um Macht, mit denen der Teufel versucht, ihn zu locken. Vielleicht kann die Fastenzeit gerade jetzt beim sondieren und verhandeln daran erinnern, worum es eigentlich geht: sein handeln und reden zu hinterfragen und gemeinsam neu anzusetzen, Fehler einzugestehen, zu verzeihen. Sich nicht verführen zu lassen von der Aussicht auf Macht und Ansehen und sich ausrichten auf das, was kommt.

Im Kirchenjahr gilt die Fastenzeit als Vorbereitung auf Ostern. Das Fest, das wie kein anderes für die Hoffnung steht, die sich gegen alles Dunkel der Welt immer ihren Weg bahnt. Das Fest, das das Unmögliche wahr macht, indem Jesus vom Tod zu neuem Leben aufersteht.

Darauf will ich mich in den kommenden Wochen der Fastenzeit vorbereiten. Meine Hoffnungskraft neu aufladen und mich neu ausrichten für das, was wirklich wichtig ist: den Glauben daran, dass das Gute sich durchsetzen wird und wir gemeinsamweiterkommen!

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

28DEZ2024
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Ich liebe diese Zeit zwischen den Jahren. Wenn die Familientreffen vorbei sind und das neue Jahr noch nicht begonnen hat. Völlig ohne schlechtes Gewissen nichts tun, keine Termine, keine Pläne, niemand, der etwas von mir will. Ich versuche möglichst vorher keine Verabredungen zu treffen und in diesen Tagen ganz frei zu entscheiden, wonach es mir gerade ist.

Natürlich weiß ich, dass das nicht allen so geht. Dass viele gerade in diesen Tagen auf Hochtouren arbeiten – in der Gastronomie, im Einzelhandel, im Krankenhaus und an vielen anderen Orten.

Für mich fühlt sich diese Zeit ein wenig an, wie unter einer Glasglocke. Die Welt soll möglichst draußen bleiben – und ich viel drinnen. Die Bücher lesen, die schon lange auf meinem Stapel warten. Die Geschenke ganz in Ruhe ausprobieren. Ein Spiel spielen. Einen guten Film schauen. Dinge, für die mir sonst oft die Muße fehlt und die innere Ruhe, weil so viel anderes zu tun ist.

Ich will an dieser Stelle gar nicht mit guten Vorsätzen anfangen, wie: „das sollte ich doch in meinen Alltag einbauen, das könnte ich doch sonst auch so machen“. Ich will hier und jetzt und im Moment sein. Den Spaziergang genießen. Über Kevin allein zu Haus lachen. Die Stille verkosten.

Mir sind diese Tage wirklich heilig, weil sie Raum schaffen, bei mir selbst zu sein. Nach mir zu schauen, nach den letzten Wochen, in denen so viel erledigt werden musste. Und dankbar zu sein – für die kleinen und großen Geschenke in diesem Jahr. Damit meine ich nicht die Geschenke unterm Baum, sondern viel mehr die Momente, in denen mir oft unverhofft etwas geschenkt wurde.

Das gute Gespräch mit einer alten Freundin zum Beispiel. Mein neues Hobby, das ich angefangen habe. Der Urlaub mit der Familie. Wenn die Kinder lachen. Da ist so viel schön gewesen in diesem Jahr und es erfüllt mich mit großer Dankbarkeit, das alles nochmal an mir vorbeiziehen zu lassen.

Da waren auch echt schwierige Zeiten dabei. Ich bin froh, dass sie vorbei sind und mit manchem will ich am Ende des Jahres auch meinen Frieden schließen. Damit wieder Platz ist für neue Erfahrungen, Aufgaben und Ideen. 

Ich fühle mich nicht alleine, wenn ich an all das denke. Es ist als ob ich mit Gott durch mein Jahres-Fotoalbum blättere und ihm von den schönen und den schwierigen Momenten erzähle. Für mich heißt bei mir selbst sein immer auch: bei Gott sein. Mit ihm im Gespräch sein. Im Alltag merke ich es manchmal gar nicht. Aber in diesen stillen Momenten wird mir bewusst: Ob es schön oder schwierig war, Gott war dabei in meinem Jahr.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

24DEZ2024
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Jetzt ist es also soweit. Weihnachten. Heiliger Abend. Seit Wochen laufen die Vorbereitungen. Ich habe Geschenke koordiniert, gekauft und gebastelt. Habe Adventskalender befüllt, Weihnachtswichtelbriefe geschrieben und gebacken– abends, wenn alle im Bett waren.

Um mich herum tobt seit Wochen die Weihnachtsvorfreude. Aufgeregte Kinder, Eltern, die besprechen wollen, was es zu essen gibt. Freunde, die sich treffen wollen. Werbung auf allen Kanälen, Dekoinspiration auf Instagram und im WhatsApp-Status der anderen.

Alles ist bereit- heute ist endlich Weihnachten! Nur – ich bin noch nicht bereit. Obwohl um mich herum anscheinend alle in Weihnachtsstimmung sind, fühle ich mich noch gar nicht so. 

Ich will sie so gerne haben –diese Vorfreude – wie in der Werbung. Dieses wohlig-warme Gefühl, das ein wenig im Bauch kribbelt. Ich will den geschmückten Baum anschauen und mich freuen auf diesen Abend, auf gemütliches Kerzenlicht und strahlende Kinderaugen. Aber es stellt sich nicht ein. Ich sitze da im Chaos zwischen noch einzupackenden Geschenken und den Mails die ich noch schreiben muss … Und aufräumen sollte ich auch noch.

Da sehe ich sie. Unsere Maria- und Josef-Figuren aus der Krippe stehen mitten im Spielzeugchaos.
Maria und Josef, mitten im Chaos. So wie damals. Nichts war damals vorbereitet. Es gab keine Weihnachtslieder, keinen Glühweinduft. Keine dekorierten Fenster. Maria hochschwanger unterwegs in der Fremde, weil sie auf Anordnung des Kaisers zur Volkszählung mussten. Keine Unterkunft, niemand, der ihnen helfen konnte. Wie haben sich die beiden wohl gefühlt? Verloren, ängstlich, verzweifelt? Und mitten in dieses Gefühlschaos, in dieses Verlorensein in all dem Trubel um sie herum kommt Jesus zur Welt. In einem unaufgeräumten Stall. Kalt, dreckig, dunkel.

Wärme, Freude und Engelsgesang, das kommt alles erst danach. Nichts davon ist notwendig, damit es Weihnachten wird. Gott kommt dahin, wo es nicht perfekt ist, nicht aufgeräumt, wo es chaotisch zugeht. 

Weihnachten kommt heute Abend. Trotz allem. Das finde ich beruhigend und tröstlich und wirklich schön.

Es ist ok, dass ich heute noch einiges erledigen muss. So ist das eben bei uns. Heute Abend wird es Weihnachten – wenn wir im Gottesdienst alle zusammen Stille Nacht singen – wenn ich die alte Geschichte höre vom Engel und den Hirten, wie sie mitten in ihrem Alltag plötzlich die Nachricht hören, dass Gott da ist. Dann wird es auch in mir Weihnachten, daran glaube ich fest und das wünsche ich allen, die ebenfalls noch darauf warten: Frohe Weihnachten!

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23DEZ2024
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Letztes Jahr haben wir uns eine Holzkrippe gekauft. Sie ist wirklich wunderschön. Zwei Hirten, drei Könige, zarte Farben, die Figuren schön geschnitzt, alles passt wunderbar zusammen. Neben dieser Holzkrippe haben die Kinder unsere alte Playmobil-Krippe aufgebaut. Da sieht es aus wie in einem Wimmelbild. Sie haben alles aufgestellt, was ihre Spielzeugkiste so hergibt: ganz vorne stehen jede Menge Kinder, daneben Großeltern mit Stock und im Rollstuhl. Manche Figuren sind schick gekleidet, manche im Schlafanzug. Ein Ritter reitet auf einem Drachen. Daneben ein Einhorn. Tiere und Menschen aus allen Erdteilen stehen nebeneinander vor dieser Krippe. Es ist knallbunt und auf den ersten Blick passt nichts zusammen.

Als ich das bunte Treiben beobachte, wird mir klar: Weihnachten hat für mich viel mehr mit unserer alten Playmokrippe zu tun als mit der perfekten Holzkrippe. Weil hier alle dabei sind und willkommen: Kinder und Alte, Frauen und Männer unterschiedlichster Herkunft, Gescheiterte und Over-Performer. Alle, die sonst oft übersehen werden.

Denn die Geschichte von Weihnachten bricht ja gerade mit dem, was ansonsten normal und angesehen ist: Eine Frau und ein Mann, obdachlos und fremd, bekommen ein Kind in ärmsten Verhältnissen. So kommt Gott auf die Welt – nicht als Herrscher im Palast bei den Mächtigen, sondern als kleines, hilfloses Baby in einem dreckigen Stall. Die einfachen Hirten sind die Ehrengäste an der Krippe, sie kommen direkt vom Feld, wo sie die Nacht verbracht haben.

Das passt eigentlich gar nicht zu dem idealisierten Bild, das viele heute von Weihnachten haben. Das unsere wunderschönen Holzkrippen prägt und unsere Erwartungen an harmonisch-perfekte Familientreffen.

Dabei sieht bei den meisten von uns die Realität dann doch eher so bunt und vielfältig aus wie in der Playmokrippe. Da sitzen allerlei verschiedene Persönlichkeiten am Familientisch, die nicht wirklich zusammenpassen. Der traditionelle Großonkel neben der feministischen Enkelin, die alles in Frage stellt. Die ungewollt kinderlose Schwester trifft auf die angestrengte Mutter von drei Kindern. Der arbeitslose Sohn auf den erfolgreichen Vater. Was nach außen friedlich und fröhlich aussehen soll, ist für viele ganz schön anstrengend: Für die, die sich fehl am Platz fühlen oder unverstanden oder die Angst haben, dass sie nicht akzeptiert werden, wenn sie nicht dem gewünschten Bild entsprechen.

Wenn ich mir zu Weihnachten etwas wünschen könnte, dann das: dass sich alle willkommen fühlen, wie sie sind. An der Krippe und bei all den Familientreffen, die anstehen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

07AUG2024
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Ferienzeit ist für mich Lagerfeuerzeit. In unzähligen Zeltlagern und Freizeiten im Sommer sitzen abends Kinder und Jugendliche ums wärmende Feuer. Irgendjemand holt dann meist eine Gitarre und es werden lauthals Klassiker gesungen wie „Über den Wolken“ oder „Country Roads“. Andere sitzen einfach nur da und schauen den Flammen zu, wie sie an den Holzscheiten entlang züngeln.

Am Lagerfeuer lassen sich endlose Gespräche führen – über Gott und die Welt und die großen Fragen des Lebens zum Beispiel. Auch über ganz Persönliches, über das es bei Tageslicht schwer fällt zu reden. Vielleicht weil es Zeit braucht und lange Pausen, in denen der andere einfach nur zuhört und in die Flammen schaut und an den richtigen Stellen nickt.

Vor kurzem habe ich mit jungen Menschen einen Lagerfeuer-Gottesdienst gefeiert. Es ging darum, welches Feuer denn in mir brennt. Wofür ich brenne. Also was mir so wichtig ist, dass es mich motiviert und antreibt. Einige haben von ihren Jugendarbeits-Erfahrungen erzählt. Die Gemeinschaft im Zeltlager. Die Möglichkeit, selbst Verantwortung zu übernehmen und zu wachsen. Das motiviert sie, auch anderen solche tollen Erlebnisse zu ermöglichen. Andere haben davon berichtet, wie wichtig es ihnen ist, sich für eine lebenswerte Zukunft einzusetzen – beispielsweise in der Klimabewegung.

Dieses Feuer, das in uns brennt, macht uns aus. Für mich hat dieses innere Feuer auch mit Gott zu tun. Mit seiner Kraft, die er uns gibt. Die wird immer wieder als Flamme dargestellt und das finde ich ziemlich passend. 

Aber was mache ich, wenn ich von diesem Feuer nicht mehr viel spüre? Wenn ich mich ausgebrannt fühle, erschöpft?

So wie ich beim Lagerfeuer immer wieder Holzscheite nachlegen muss, braucht auch mein inneres Feuer Nahrung. Das können Erlebnisse sein, bei denen ich spüre, hier bin ich genau richtig. Hier kann ich etwas bewirken. Oder: Hier sind andere, die mich verstehen, ich bin nicht allein!

Und Feuer braucht Luft, damit es nicht erlischt. Ich brauche Zeiten zum Durchatmen, damit mein Feuer nicht ausgeht. Im Alltag ist dafür oft viel zu wenig Zeit. Deshalb will ich mir jetzt im Sommer immer wieder ganz bewusst Zeit dafür nehmen - nur für mich. Abends auf den Balkon sitzen und ein paar Minuten einfach nur dem Zirpen der Grillen zuhören. Morgens mal alleine ins Schwimmbad gehen und Bahn für Bahn den Kopf freischwimmen. Und ab und an im Schatten auf einer Picknickdecke liegen und in den Himmel schauen. Das nehme ich mir vor – und wünsche auch Ihnen solche Lagerfeuermomente im Sommer!

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06AUG2024
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Ich stehe mit meinen Kindern im Kletterwald. Über uns, zwischen den Bäumen auf ganz unterschiedlichen Höhen sind Kletterparcours befestigt. An der einen Stelle balanciert gerade jemand in drei Metern Höhe über ein wackeliges Seil, an der nächsten hangelt sich ein Kind sechs Meter über dem Boden von einer Plattform zur nächsten. Mein Sohn schüttelt entschieden den Kopf und sagt: „Das mach ich auf keinen Fall“. Ich weiß, dass er das kann und ermutige ihn: „Das schaffst Du!“ Und er ist zumindest bereit sich mal anzuhören, wie alles funktioniert.

In der Sicherheitseinweisung erfahren wir, dass an unserem Klettergurt zwei Karabinerhaken befestigt sind. Der Rote muss bei jeder neuen Herausforderung ein- und ausgehakt werden. Der Blaue wird ganz am Anfang des Parcours eingefädelt und läuft die ganze Zeit an einem Drahtseil mit. Doppelt gesichert also. Das überzeugt meinen Sohn dann doch. Nach kürzester Zeit ist er uns davongeklettert und hat seine Angst vor der Höhe anscheinend völlig vergessen.

Dafür stehe ich dann plötzlich auf einer Plattform und komme nicht weiter. Vor mir führt eine Seilbahn zum nächsten Baum. Dafür muss ich mich oben am Seil einhaken und im Klettergurt sitzend zur nächsten Plattform hinübersausen. Im Gegensatz zu den anderen Abschnitten kann ich hier nicht auf meine eigene Kraft bauen, denn ich kann mich nirgends festhalten. Ich muss darauf vertrauen, dass mich der Gurt hält. „Das schaffst Du, Mama!“ ruft mein Sohn mir zu.
Ich atme tief durch, kontrolliere nochmals die beiden Karabiner am Seil und stoße mich ab. Blitzschnell bin ich drüben – und ganz schön erleichtert.

Seitdem denke ich immer wieder mal an die Situation. Ich finde nämlich, dass sie ein ziemlich gutes Bild für meinen Glauben ist:

Für mich ist meine Beziehung zu Gott wie mein blauer Karabiner, der am Anfang des Parcours eingefädelt wird und bis zum Ende mitläuft. Mein Glaube ist sowas wie eine doppelte Sicherung. Vieles im Leben bekomme ich ziemlich gut alleine hin. Da merke ich manchmal gar nicht, dass Gott auch da ist. Er läuft oft so mit. Und dann verheddert sich was. Ich komme nicht weiter oder hänge buchstäblich in der Luft. Zu wissen, dass da ein zweiter Karabiner ist, meine Beziehung zu Gott, das trägt mich und gibt mir Mut, dass ich die Situation schon irgendwie meistern werde. Auch wenn ich selbst mal was nicht schaffe, oder gar nichts tun kann: Da ist immer noch Gott, bei dem ich eingefädelt und festgemacht bin - von Anfang bis zum Ende meines Parcours durchs Leben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05AUG2024
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Um mich herum lachende Menschen, ausgelassene Stimmung. Es glitzert und leuchtet in allen Farben des Regenbogens, Musik schallt durch die Straßen. Ich bin mit den katholischen Jugendverbänden auf dem Christopher-Street-Day in Stuttgart.
Beim CSD demonstrieren jedes Jahr hunderttausende Menschen für Vielfalt und gegen die Diskriminierung queerer Menschen. Die Jugendverbände laufen als Gruppe beim Demozug mit, weil sie ein Zeichen für eine bunte und offene Kirche und Gesellschaft setzen wollen.

Viele freuen sich darüber, manche fragen interessiert nach, warum wir da sind. Über den Tag ergeben sich immer wieder kurze Gespräche, die mich wirklich bewegen:

Ein alter Mann steht ganz gerührt am Straßenrand und ist überwältigt, dass es heute möglich ist, sich und seine Liebe zu zeigen. „Für mich war das früher nicht möglich“ sagt er. Damals konnte er sich nicht vorstellen, dass es je anders sein würde.

Ein junger Mann in buntem Kleid erzählt mir von seiner Oma, die ihn so annimmt, wie er ist. Und dass ihm das unglaublich viel bedeutet, weil seine Eltern das leider nicht können. Zu wissen, dass seine Oma für ihn da ist, hat ihm schon durch dunkle Zeiten geholfen.

„Hier zu sein macht mich so glücklich“ sagt mir eine Frau, die mit ihrer Partnerin unterwegs ist. Im Alltag gibt es so viele Situationen, die belastend sind. Immer wieder Anfeindungen. Kommentare im Internet und auf offener Straße. Das Gefühl, nicht dazuzugehören, weil man nicht ins klassische Bild von „Vater-Mutter-Kind“ passt. Hier auf dem CSD spürt sie, dass sie viele sind. Und dass all die Unterschiede und Besonderheiten ein wunderbar buntes Bild ergeben.

Einige erzählen mir von ihrem Verhältnis zu Kirche und Glaube. Dass es schwierig ist, sie sich abgelehnt fühlen, nicht akzeptiert. Viele haben sich deshalb abgewandt. Andere bleiben, auch wenn viele Aussagen sie verletzen. Weil sie sich in der Kirche zuhause fühlen, weil ihnen der Glaube wichtig ist. Und weil sie darauf hoffen, dass sich etwas ändert – Stück für Stück. Zumindest in Deutschland ist die katholische Kirche in den letzten Jahren einige Schritte vorangegangen - dank der vielen Menschen und Initiativen, die sich für eine Kirche stark machen, in der alle Menschen willkommen sind – egal welche geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung sie haben.

Deshalb finde ich es wunderbar, dass die katholischen Jugendverbände sich auch weiter unter dem Motto „Gott sei Dank, die Welt ist bunt“ für eine Kirche einsetzen, die niemanden ausschließt. Für ihren Glauben an Gott einstehen, der die Welt und die Menschen mit all ihren Farben geschaffen hat und liebt. Und für eine Gesellschaft, in der es möglich ist, sich und seine Liebe zu zeigen – nicht nur auf dem CSD, sondern jeden Tag.  

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