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SWR4 Sonntagsgedanken

21JUL2024
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Ich wollte nur so ungefähr eineinhalb Kilometer zurücklaufen – von dem kleinen Ausflugscafé im Naturschutzgebiet zurück zu meinem Auto auf dem Wanderparkplatz. Allerdings nachts. Und nach ein paar hundert Metern habe ich in völliger Dunkelheit getappt. Es war wirklich absolut schwarz um mich herum. Ich habe meine eigenen Hände nicht mehr gesehen, meine Füße nicht und den geteerten Weg schon gleich gar nicht. Ich habe dann versucht, mich mit der Fußspitze an der Wegkante entlangzuhangeln. Aber das hat nicht geklappt. Mit einem Stecken oder Stab wäre das besser gegangen. Und meine Gedanken sind bei „Stecken und Stab“ hängen geblieben, als ich tatsächlich kurz auf alle viere gegangen bin und nach einem getastet habe. Wie war das noch gleich in Psalm 23 in der Bibel? „Der Herr ist mein Hirte… Er führet mich auf rechter Straße… Und wanderte ich im Finstern Tal, so fürchte ich kein Unglück. Dein Stecken und Stab trösten mich…“ Was einer Pfarrerin nachts auf allen Vieren im Straßengraben eben so einfällt.

Mich hat die Situation sehr beeindruckt, denn so etwas gibt es bei uns ja kaum noch: Irgendeinen offiziellen Weg oder eine Straße, die überhaupt nicht beleuchtet ist. Wenn man nicht gerade mit voller Absicht nachts in den dunklen Wald geht, dann sieht man normalerweise doch immer irgendwo das helle Fenster eines Hauses oder wenigstens die Scheinwerfer eines Autos. In dieser Nacht auf dem Feldweg zwischen Café und Parkplatz hat nicht einmal der Mond geschienen. Und ich habe begriffen, was Dunkelheit wirklich bedeutet!

Und was sie für die Menschen in den Jahrhunderten vor mir bedeutet hat: Nämlich tatsächlich Gefahr, Orientierungslosigkeit und das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Ich habe mich extrem angreifbar gefühlt – denn wenn da jemand gewesen wäre – ich hätte es nicht gemerkt, selbst wenn die Person nur Zentimeter von mir entfernt gewesen wäre. Und wie schnell die Fantasie mit einem durchgehen kann, wenn’s im Dunkeln knackt und knistert…

Ich habe in dieser Nacht bestens verstanden, dass ich als Mensch ein „Kind des Lichtes“ bin. Und auch, warum wir alles, was böse ist, fast immer mit Dunkelheit in Verbindung bringen: Wenn wir jemand Verdächtiges beobachten, dann reden wir von der „finsteren Gestalt“ an der Straßenecke. Kriminelle Kreise werden auch als „Unterwelt“ bezeichnet. Wenn wir ein Problem lösen wollen und nicht weiter wissen, dann „tappen wir im Dunkeln“.

Die Dunkelheit ist nicht zufällig zum Sinnbild für das Böse in unserer Welt geworden. Und für alles, was eben nicht ans Licht soll. Was andere verstecken und unter den Teppich kehren wollen. Und deshalb fordert mich das Zeugnis der Bibel auf, ganz bewusst ein „Kind des Lichtes“ zu sein.

Im Neuen Testamten der Bibel heißt es im Epheserbrief:
Wandelt als Kinder des Lichts; 9die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. (Epheser 5, 8b-9)

Dieser Text steht heute in vielen evangelischen Gottesdiensten im Mittelpunkt.Und weiter heißt es da: Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, 11und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. (Epheser 5, 10)

Das ist eine ziemliche Aufgabe, finde ich, weil Licht ganz schön erbarmungslos sein kann: Es macht eben wirklich alles sichtbar: jeden Fleck auf der weißen Weste, jede mühsam kaschierte Falte im Gesicht – und eben auch jedes Unrecht , dass ich begehe oder das um mich herum geschieht – und das ich vielleicht lieber gar nicht so genau sehen möchte.

Ein Beispiel dafür, dass mich persönlich besonders plagt: Unsere Konsumgesellschaft: Die dunklen Wege, auf denen viele Sachen in unseren Geschäften und im Supermarkt landen: Der Rosenstrauß aus Afrika für 1.99 zum Beispiel, spottbillige Avocados, Billig-Klamotten usw. Irgendwo auf der Welt müssen andere dafür Unrecht in Kauf nehmen: schlechte Bezahlung, Umweltschäden usw ... Unrecht, dass im Finstern verborgen liegt. Und gegen das sich die Betroffenen deshalb nicht wehren können.

Als ich damals im Dunkeln gestandet bin, auf dem Feldweg zwischen Ausflugscafé und Wanderparkplatz, da habe ich gespürt, wie wehrlos man sich in der Dunkelheit fühlt. Ich hätte jederzeit stolpern können. Und wäre da jemand gewesen, der mir Böses will, ich hätte ihn nicht einmal bemerkt.

Auf Knien habe ich nach einem Stock oder Stecken gesucht, um mir den Weg zu ertasten. Und als ich mich wieder aufgerappelt habe, weil ich keinen gefunden habe, da habe ich hinter mir doch einen Lichtschein gesehen: Von dem Ausflugscafé, von dem ich gerade aufgebrochen war. Sofort war meine Orientierungslosigkeit wie weggeblasen. Ich hatte wieder eine Richtung. Und bin gern umgekehrt: in Richtung Licht.

Ich bin eben ein Kind des Lichts. Ich brauche es, um mich zurechtzufinden. Und ich wusste: Da in dem Café, da ist sicher jemand, der zusammen mit mir und mit einer guten Taschenlampe den Weg zum Parkplatz zurückfindet. 

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

20JUL2024
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In letzter Zeit habe ich immer wieder den Satz gehört: Religion ist Privatsache. In der Politik hat sie nichts zu suchen.

Mal sehen, ob diese These stimmt. Ich fange mal mit einmal ein Blick auf die Anfänge an: Der Prophet Moses aus dem Alten Testament zum Beispiel, der war laut Bibel ein politischer Anführer, der das Volk der Israeliten aus der Sklaverei befreit hat. Jesus – im neuen Testament - hat sich ständig mit der korrupten politischen Führungselite seiner Zeit angelegt – solange, bis er unter einem Vorwand verhaftet worden ist und als politischer Gefangener hingerichtet worden ist.

Von Mohamed, dem Begründer des Islam wird überliefert, dass er ebenfalls Einfluss genommen auf die Gesellschaft seiner Zeit. Und auch er hatte mit politischer Verfolgung zu kämpfen. An einer anderen Ecke der Welt haben die Lehren von Buddha die Geschicke der Menschen beeinflusst. Ähnliches gilt für Reformbewegungen in der Geschichte: Wie zum Beispiel für Martin Luther und die Reformation oder auch für den Kampf gegen die Rassentrennung rund um Martin Luther King und Malcom X in den USA der 60er Jahre .

Wenn ich mir das so ansehe, dann ist es für mich eigentlich nicht zu begreifen, wie jemals jemand auf die Idee kommen konnte zu sagen: „Religion hat in der Politik nichts zu suchen.“ Denn das gehört zum Glauben wohl einfach dazu: Dass man sich für das einsetzt, wovon man überzeugt ist und woran man aus tiefstem Herzen glaubt.

Leider gilt das aber auch für sehr fragwürdigen Glaubensüberzeugungen. Zum Beispiel für den Glauben, dass andere weniger wert sind als man selbst. Oder dass eine Religion das Recht hätte, eine andere zu verfolgen und zu bekämpfen. Leider haben auch die Kirchen im Laufe ihrer Geschichte solche Überzeugungen gelebt – und haben viel Schuld auf sich geladen.

Wenn ich daran denke, wird mir bewusst, dass ich meinen eigenen Glauben und meine Überzeugungen immer wieder auf den Prüfstand stellen muss. Und ihn von anderen in Frage stellen lassen muss. Das ist anstrengend, und manchmal wünsche ich mir deshalb insgeheim, dass es doch anders wäre und Glaube und Politik nichts miteinander zu tun hätten. Aber so funktionieren Religion und Glaube nun mal nicht. Woran ich glaube und wovon ich überzeugt bin, das hat Einfluss darauf, wie ich lebe, welche Partei ich wähle oder für welche Sache ich mich engagiere. Religion aus der Politik herauszuhalten – ich denke, das ist gar nicht möglich.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

19JUL2024
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Meine Güte, damals habe ich mich ganz schön geschämt: Es ist schon ziemlich lange her – ich war Pfarrerin in einer kleinen Gemeinde auf dem Land – da habe ich eine neue Kollegin ein paar Dörfer weiter bekommen: was für eine schöne Frau! Ein bisschen jünger als ich, hat neben dem Beruf ihre Familie gemanaged… Und ich war eifersüchtig. Ich war neidisch auf ihre tolle Erscheinung und auf all das, was sie unter einen Hut gebracht hat… Da kommt eine daher und wagt es, besser zu sein als ich… – wirklich zum Schämen, mein Neid damals.

Bei den gemeinsamen Dienstbesprechungen haben wir uns dann besser kennen gelernt. Meine Kollegin hat mir von ihrem echten Alltag erzählt: dass sie noch vor kurzem schwer krank gewesen ist, wie sehr sie der Alltag mit den Kindern manchmal überfordert hat und von den Schwierigkeiten, in ihrer neuen Gemeinde wirklich anzukommen. Von wegen souverän in allen Lebenslagen. Ich habe ihr dann von meiner albernen Eifersucht erzählt und von dem Bild, dass ich von ihr gehabt hatte. Meine Kollegin hat gestutzt – und dann haben wir beide gelacht. Und haben uns vorgenommen, uns öfter zu treffen – einfach so und nicht nur dienstlich.

Ich schäme mich heute, dass daraus nie etwas geworden ist – obwohl wir mehrmals Anlauf genommen haben. Ich hätte dran bleiben sollen.

Stattdessen haben wir uns ganz aus den Augen verloren. Und ich habe mich mit meinen eigenen Sorgen und Nöten beschäftigt. Heute denke ich, dass ich mich von manchen zu sehr habe beherrschen lassen. Manche meiner Probleme sind mir so groß vorgekommen, dass sie mir sogar die Freude am Leben vermiest haben.

Ganz besonders dafür habe ich mich sehr geschämt, als ich letzte Woche am Grab meiner Kollegin gestanden habe. Ich hatte nicht mitbekommen, dass ihre Krankheit zurückgekommen war, und dass ihr Kampf dieses Mal vergeblich sein würde. Der Pfarrer, der die Trauerfeier geleitet hat, hat mit uns am Grab gebetet: „Gott, Herr unseres Lebens: Alles, was wir der Verstorbenen noch gerne gesagt hätten, was wir für sie gerne noch getan hätten und es jetzt nicht mehr können – alles das legen wir voller Vertrauen in Deine Hände.“ Und da habe ich aufgehört, mich zu schämen. Und habe meine Scham und alles, was ich nicht zu Ende gebracht habe, in Gottes Hand gegeben. Ich habe mich von meiner Kollegin verabschiedet und konnte in Frieden gehen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

18JUL2024
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Ich hatte vor kurzem einen bösen Streit mit einer Bekannten. Es war übel. Und seither bin ich überzeugt: So etwas wie eine „Streit-Kultur“ gibt es eigentlich gar nicht. Von wegen Kultur: Streit ist eher eine Art Explosion. Oder wie Angriff und Gegenangriff. Jedenfalls ist Streiten alles andere, als zivilisiert oder sogar lösungsorientiert miteinander zu reden. Man kann froh sein, wenn niemand dabei verletzt wird. Streit gehe ich deshalb – wenn irgend möglich – aus dem Weg.

Anders ist das mit dem Konflikt, der hinter einem Streit steckt, denke ich. Wenn ich dem aus dem Weg gehe, dann gehe ich dem Menschen aus dem Weg, mit dem ich mich eigentlich auseinandersetzen sollte. Deshalb: Wenn da etwas zwischen uns steht – nicht um den heißen Brei herumreden. Nicht meinem Gegenüber aus dem Weg gehen mit irgendwelchen Ausweichmanövern: „Schönes Wetter heute“ oder sonst irgendwelchen Belanglosigkeiten. Denn das wird sonst alles sein, was von unserer Beziehung übrigbleiben wird: Belanglosigkeiten.

Ich plädiere deshalb für eine Konflikt-Kultur: Eben nicht warten, bis ein Streit ausbricht. Lieber sollte ich die Chance nutzen, mit meinem Gegenüber wirklich zu reden und das Problem auf den Tisch zu bringen, auch wenn das sehr schwer ist: persönlich werden - Kritik am anderen üben - selbst kritisiert werden... Vielleicht lässt sich der Konflikt so lösen. Aber selbst wenn nicht – entscheidend ist, dass unser Problem nicht länger wie eine unsichtbare Wand zwischen uns steht. Der Konflikt muss auf den Tisch – daran führt kein Weg vorbei.  

Obwohl – eine Ausnahme von dieser Konflikt-Kultur gibt es vielleicht doch. Vielleicht ist es doch in Ordnung, einem Konflikt aus dem Weg zu gehen, wenn beide Seiten damit einverstanden sind – bewusst oder auch unbewusst. Wenn stillschweigend gilt: Lassen wir’s bei Seite. Vergeben und vergessen. Oder genauer: Vergeben und dann bei Seite legen - und damit die Mauer überwinden, die uns voneinander trennt.  

Auch diese letzte Möglichkeit ist nicht leicht, finde ich. Es kostet ganz schön Kraft, einen Konflikt zu überwinden oder ihn auszuhalten. Sogar ihn beiseitezulegen und einander zu vergeben. Um ein wenig Unterstützung von Gott bitte ich deshalb gerne. Zum Beispiel, wenn ich mit den Worten des Vater Unsers bete: Vater unser im Himmel. Geheiligt werde Dein Name, Dein Reich komme. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

17JUL2024
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Vor etwas mehr als einer Woche sind Klimaaktivisten auf den Turm des Ulmer Münsters geklettert und haben in 70 Metern Höhe ein Transparent entfaltet mit der riesengroßen Aufschrift: „Wäre Jesus Klimaaktivist?“

Das wäre er, würde ich sagen. Alles, was wir aus den biblischen Schriften über Jesus erfahren, weist darauf hin, dass er ein sehr politischer Mensch gewesen ist. Es ist also keine besonders steile These, wenn ich sage: Auch heute würde Jesus sich für mehr Gerechtigkeit einsetzen und für den Schutz der Schöpfung und auch des Klimas. Die spannende Frage dabei ist doch: Wie würde er das machen?

Wäre Jesus heute also wirklich Klimaaktivist? Wäre er nicht, würde ich sagen – jedenfalls nicht in dem Sinne, wie es die Kletterer vom Ulmer Münster sind. Ihre Aktion war provokant und aufrüttelnd - das war Jesus auch. Die Kletteraktion hätte aber auch Schaden verursachen können. Und sie war gefährlich: für die Kletterer selbst, aber auch für die Zuschauer und nicht zuletzt für die Einsatzkräfte, die extra ausrücken mussten. Deshalb hat der Dekan des Münsters auch Anzeige erstattet.

Und ich denke, hier wäre Jesus nicht dabei gewesen. Offenen Streit hat er nur mit denen gesucht, die ihre Macht mutwillig missbraucht haben. Alle anderen hat Jesus versucht, für sich und seine Sache zu gewinnen: Mit klaren Worten und immer unterwegs, um mit anderen auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen.

Und das vermisse ich persönlich bei der Aktion der Klimaaktivisten am Ulmer Münster: Die Augenhöhe. Und den Respekt vor dem Einsatz, den die Kirchen für den Klimaschutz bereits leisten: In den einzelnen Kirchengemeinden, von Ehrenamtlichen und auch in den Beschlüssen der Synoden und Kirchenparlamente . Die sagen heute glasklar: Es ist christliche Pflicht, sich für den Schutz der Schöpfung einzusetzen.

Mag sein, dass die Aktivisten vom Ulmer Münster recht haben, und dass wir Kirchen noch viel mehr tun müssten. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die heutigen Klimaaktivisten Jesus nicht unsympathisch gewesen wären. Aber sein Weg wäre wohl doch ein anderer gewesen: Nämlich zuallererst das Gespräch zu suchen und zu fragen: Was tut ihr bereits? Könnte es noch mehr sein? Und wie können wir an einem Strang ziehen?

Es gibt viele Wege, sich fürs Klima einzusetzen und aktiv zu sein. Und selbst, wenn wir uns bei den Methoden nicht immer einig sind, sollten wir das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verlieren. Ganz nach einem Grundsatz von Jesus: Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16JUL2024
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Letzte Woche auf der Titelseite der Südwestpresse: „Unter Tränen hat Fußball-Bundestrainer Julian Nagelsmann an die Deutschen appelliert, den Spirit seines Teams zu übernehmen und in schweren Zeiten zum Gemeinsinn zu finden, statt im Meckern und Egoismus zu verharren.“ Und wörtlich hat ihn die Zeitung zitiert: „Ich wünsche mir für dieses Land, dass wir verstehen, dass es gemeinsam einfach besser geht.“

Wo der Mann Recht hat, da hat er Recht, würde ich sagen. Der Spirit und der Einsatz der ganzen Mannschaft beim Spiel gegen Spanien hat sogar mich gepackt – und ich habe von Fußball so was von keine Ahnung. Der Deutschen Mannschaft zuzusehen, wie sie nicht aufgegeben hat – wie die Spieler als Team GEMEINSAM nicht aufgegeben haben, das hat tatsächlich gutgetan. Ich fand’s tatsächlich inspirierend.

Andererseits kann ich unserem Bundestrainer trotzdem nicht so ganz zustimmen. Ich glaube nicht daran, dass man den Team-Spirit einer Fußball-National-Elf so einfach auf den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft übertragen kann. Klar geht es besser gemeinsam, wenn man ein Ziel erreichen will. Im Fußball ist das aber auch einfach, weil das Ziel klar ist: nämlich das Spiel zu gewinnen. Aber welche Ziele wollen wir in unserer Gesellschaft erreichen? Das müssten wir erst einmal klären. Die Spieler einer Mannschaft haben außerdem wunderbar klare Regeln, nach denen sie sich während des Spiels richten können. Und jeder hat seinen Platz: Verteidigung, Rechts Außen, Torwart usw… In unserer komplexen Gesellschaft muss sich jeder einzelne seinen Platz erst einmal selbst suchen – auch nicht gerade einfach.

Ich fürchte deshalb, dass der Appell von Nagelsmann ein Stück weit verpuffen wird. Einfach, weil ich denke, dass etwas fehlt in seinem Vergleich: Nämlich die klaren Regeln, die im Fußball gelten; und dass alle Mitglieder des Teams ihren Platz im Gemeinschaftsgefüge genau kennen. Vor allem aber: dass alle das gleiche Ziel vor Augen haben. Ich meine, wenn wir diese Seite mit einbeziehen, dann können wir uns von unserer Fußball-Nationalmannschaft tatsächlich inspirieren lassen und anfangen, zu fragen: Wo wollen wir den eigentlich gemeinsam hin? Was ist das Ziel, das die Menschen in unserem Land zu einer Mannschaft werden lässt? Ich glaube, mit diesen Fragen im Kopf kann sich wirklich wieder so etwas wie Teamgeist in unserer Gesellschaft entfalten. Und helfen, dass wir verstehen, dass es gemeinsam einfach besser geht.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15JUL2024
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Jetzt ist sie vorbei, die Fußball-Heim-EM. Oder war’s die WM? Nein, Quatsch mein Desinteresse ist nur Show, und normalerweise schaue ich tatsächlich keinen Fußball. Aber nach der Vorrunde ist der Funke sogar auf mich übergesprungen. Und während der Partie Deutschland – Spanien war ich am Überlegen, wo und mit welchen Leuten zusammen ich das Halbfinale gucken wollte – bis Deutschland doch noch ausgeschieden ist. Da war bei mir dann leider die Luft wieder raus.

Mir hat das richtig leidgetan. Denn es war wirklich schön, etwas zu haben, bei dem man mitfiebern konnte. In den Wochen vor dem EM-Start war ich da noch skeptisch. Mir war ein bisschen zu viel die Rede von „neuem Sommermärchen“ und dem „Fußball-Fest, das ganz Europa zusammenbringt“. Ein enormer Anspruch an ein Fußballturnier. Mir war der zu hoch gegriffen.

Die EM hat mich dann doch gepackt. Aber genauso schnell war es damit leider auch wieder vorbei. Ich bin nun mal nicht der Typ, für den Dabeisein alles ist. Mit Fans aus anderen Ländern genauso mitfiebern, wie fürs eigene Team? Ich gebe zu – so groß war meine Verbundenheit dann doch nicht.

Ich muss zugeben, dass die Fußball-Europameisterschaft ein mulmiges Gefühl bei mir hinterlässt. Wegen diesem übergroßen Anspruch: Endlich DAS unbeschwerte Fest statt der ewigen Krisen. DAS Sportereignis, bei dem Dabeisein alles ist, und ganz Europa gemeinsam feiert – aber jetzt ist das Fest vorbei. Und eigentlich ist die Party doch schon vor dem großen Finale abgebröckelt – mit jeder Nation, die ausgeschieden ist, ein bisschen mehr.

Nebenbei: Wer ist denn jetzt eigentlich Europameister geworden? Nein, nein, wieder Quatsch – so viel Interesse ist bei mir doch noch geblieben. Ich gratuliere den Europameistern auch von Herzen. Und denke: Es war eine tolle Zeit. Das Fußball-Fest hat es tatsächlich geschafft, die unterschiedlichsten Menschen aus den verschiedensten Ecken Europas gemeinsam und friedlich zum Feiern zu bringen. Es geht also!

Und trotzdem ist es halt Fußball. Einfach ein Event, das ein paar Wochen dauert und mit dem heutigen Morgen auch schon wieder vorbei ist. Um Länder und ihre Menschen tragfähig und auf Dauer zusammenzuschweißen, braucht es, meine ich, doch etwas mehr. Und was das sein könnte, das uns als Europäer zu einer starken Gemeinschaft zusammenschweißen könnte, das frage ich mich gerade heute Morgen wieder neu - jetzt, wo das Sommermärchen vorbei ist.  

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SWR1 Begegnungen

14JUL2024
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Georg Zimmer Foto: privat

Ich bin mit dem Auto auf der A96 unterwegs und mache Halt an der Raststätte „Winterberg“, um die Autobahnkapelle zu besuchen. Vom Parkplatz aus muss ich noch ein ziemlich steiles Stück den Berg hinauf. Aber es lohnt sich, denn oben angekommen erwartet mich nicht nur der weiß leuchtende Rundbau der Galluskapelle, sondern auch ein grandioser Ausblick: über Leutkirch und das Schwäbische Allgäu hinüber zu den Schweizer und österreichischen Alpen. Und mich erwartet mein heutiger Gesprächspartner, Georg Zimmer. Der hat vor etwas mehr als 25 Jahren den Bau der Kapelle initiiert. Er erzählt mir, wer die Menschen sind, die zur Galluskapelle kommen: 

Das sind hauptsächlich Durchreisende, die auf dem Weg nach Süden vor allen Dingen hier Halt machen. Auf den Winterberg auf 750 Meter Höhe steigen und hier auch unter anderem die Aussicht auf die Berge genießen. Die andere Gruppe kommt aus der näheren Umgebung. Die Kapelle hat also zwei Funktionen: einmal Autobahnkirche und zum anderen aber auch eine ökumenische Einrichtung in unserer Region.

Das weckt meine Neugier: Die Autobahnkapelle hat ihre Wurzeln also in der christlichen Ökumene. Georg Zimmer erzählt: Ihre Ursprünge reichen zurück bis in seine Schulzeit, als er nach dem Krieg mit seiner katholischen Familie ins evangelische Leutkirch gezogen ist.

Also 1950, als ich eingeschult wurde, gab es in der Grundschule in Leutkirch noch getrennte Klassen, getrennte Lehrer. Das Gesangbuch hat entschieden, in welche Klasse man kommt. Es gab sogar getrennte Treppenzugänge nach oben.

Und daran hatte sich kaum etwas geändert, als Georg Zimmer Ende der 70er Jahre als Stadtbaumeister nach Leutkirch zurückgekommen ist.

Ich habe dann im katholischen Kirchengemeinderat einen ökumenischen Ausschuss gegründet, weil es mir einfach ein Anliegen war, dass man hier mit dem Gesangbuch, mit dem „Gläuble“, wie wir sagen, einmal Schluss machen muss in Bezug auf die Beziehungen. Aber zum Jahr 2000 hat es sich angeboten, dass wir mal etwas Richtiges miteinander machen, ein Projekt realisieren.

Und für das Projekt „Galluskapelle“ des ökumenischen Arbeitskreises war es ein Segen, dass Georg Zimmer nicht nur Architekt, sondern auch beigeordneter Bürgermeister für den Bereich Bauen und Kultur in Leutkirch gewesen ist. Entstanden ist so ein einladender, heller Rundbau, der bis zu 25 Veranstaltungen jährlich beherbergt: Ausstellungen, Gottesdienste und ganz besonders hervorzuheben: Konzerte und Musik.

Also in der Kapelle kann man wunderschön singen. Wir empfehlen den Leuten immer, sich in der Mitte auf den kreisförmigen Oliven Holz Kreis zu legen und den Himmel anzusingen. (…) Also beispielsweise gibt es einen Ziehharmonikaspieler, der immer wieder kommt und hier oben Musik macht.

Was sind das für Menschen, die hier Halt machen?

Zum Beispiel hat sich gestern eine Gruppe von Pfadfindern aus Polen angemeldet, die hier auf der Reise morgens eine Messe feiern wollen. Wir haben aber auch Besucher, die beruflich unterwegs sind und die immer wieder die Galluskapelle besuchen, den Berg besteigen und somit ein bisschen sich vom Alltagstrubel ablenken lassen.

Es war wohl immer schon so, meint Georg Zimmer: Wer einen Berg besteigt, der ist etwas befreiter ist von seiner Last. Davon erzählen auch die Einträge der Besucher ins „Anliegenbuch“, das in der Kapelle ausliegt.

Ich habe mal (…) das Anliegenbuch 2022 ausgewertet und das war ganz interessant, dass Menschen hier schreiben: Danke Gott für diesen wunderschönen Ort der Ruhe und Besinnung und all denen, die geholfen haben und jetzt immer noch helfen, dies zu ermöglichen. (…) Wir sind eben hier an einem Punkt, der vielleicht dem Himmel etwas näher ist, könnte man sagen, wenn man auf 750 Meter ist und den Ballast des Alltags unten liegen lassen kann.

Georg Zimmer ist gerade 80 Jahre alt geworden, und er ist bis heute Vorsitzender des Fördervereins Galluskapelle. Ihren Namen hat sie vom Heiligen Gallus, einem der drei Allgäu-Heiligen. Ihre runde Form und ihre schlichte und gleichzeitig einladende Ausstattung verdankt sie nicht zuletzt Georg Zimmer. Er ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass hier ein Ort ist, der den Menschen auf Reisen einfach guttut. Auch solchen, die sonst wenig mit Kirche am Hut haben.

Also man sieht, es sind viele Menschen, die hier hochkommen, die vielleicht nicht unbedingt jeden Sonntag in die Kirche gehen, (...) die aber hier oben offensichtlich ein Bedürfnis haben, (…) an diesem ökumenischen Ort zur Ruhe zu kommen.

Nächstes Jahr feiert die Gallus-Kapelle ihr 25-jähriges Bestehen. 25 Jahre, die zeigen, dass sich das ökumenische Engagement gelohnt hat. Zum Schluss deshalb noch ein Zitat aus dem Anliegenbuch. Denn es bringt auf den Punkt, was diesen Ort so lebendig macht:

Herzensdank an alle Menschen, die ihr diesen Ort geschaffen und gestaltet habt. Der Geist der Verbundenheit ist hier lebendig, jenseits von Nationalität, Gruppenzugehörigkeit, Religion. Uns alle verbindet weit mehr, als uns trennt. 

 

Gallus-Kapelle

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SWR1 3vor8

23JUN2024
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Wenn ich einen Feind habe – irgendjemand, der mich als Konkurrentin bekämpft, mich klein hält oder mir sonst irgendwie das Leben schwer macht – und ich bekomme unverhofft die Chance, ihn ein für alle Mal loszuwerden und selbst in die Pfanne zu hauen… Wäre das nicht in Ordnung? Und wenn wirklich gelten würde: „Er oder ich“, wäre das nicht sogar normal und absolut gerechtfertigt?

Die Bibel erzählt im Alten Testament von genau so einer Situation:
Saul ist rechtmäßiger König Israels – aber er ist krank: schwermütig; in Ungnade gefallen bei Gott. Und: er hat sich verrannt, jagt und verfolgt einen seiner besten Männer: David. Saul wittert in ihn Konkurrenz und einen Verräter und will ihn töten. David auf der anderen Seite ist tatsächlich nicht abgeneigt, irgendwann den Thron zu besteigen – aber nicht durch Verrat! Nicht durch einen Krieg gegen den rechtmäßigen König.

David flieht mit seinen Leuten in die Wüste – Saul ihm mit seiner Armee hinterher, und es gilt: „Er oder ich – auf Leben und Tod.“ Aber dann nimmt der Machtkampf eine groteske Wendung: Saul muss nämlich mal – er muss unterwegs aufs Klo, und geht dazu in eine Höhle, um vor seinen Männern seine Würde zu bewahren. Und erwischt ausgerechnet die Höhle, in der sich David mit seiner kleinen Truppe versteckt hat.

Grotesk: David erwischt Saul mit heruntergelassenen Hosen, und der merkt es nicht einmal. Und David? Der schleicht sich an Saul. Er zückt sein Messer – schneidet ihm aber nur einen Zipfel von seinem Gewand ab.

Saul hat nichts gemerkt und verlässt die Höhle. Und David ihm hinterher! Er wirft sich vor dem König auf die Erde und hält ihm gleichzeitig seinen eigenen Gewand-Zipfel unter die Nase. Und stellt damit klar: Du verfolgst mich zu Unrecht und machst mir zu Unrecht das Leben schwer: Dafür verdienst Du eine Strafe. Aber das ist nicht meine Sache! Das ist Gottes Angelegenheit. Er wird über Dich urteilen – und auch über mich.

Zurück zu meiner Anfangsfrage, zu meinen Feinden und ob ich eine günstige Gelegenheit nutzen sollte, um sie loszuwerden. David tut das – er nutzt die Gelegenheit, um sich zu wehren. Aber vor allem nutzt er die einmalige Chance, das ohne Gewalt zu tun, ohne seinen Feind zu besiegen. Und ohne selbst zum Richter zu werden. Der Richter über „Richtig und Falsch“, „Gut und Böse“, „Er oder ich“, der bleibt Gott. Nur er darf letztlich urteilen.

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SWR1 3vor8

30MAI2024
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„Wir müssen Opfer bringen.“ – Wenn Sie solche Sätze hören, läuft Ihnen da auch ein leiser Schauer über den Rücken? „Wir müssen Opfer bringen“ – um Krisen zu bewältigen. In einem Buch, einer „Karriere-Fiebel“ habe ich von den Opfern gelesen, die man bringen muss, wenn man im Beruf erfolgreich sein und Karriere machen will. Oder bei Krisen, Konflikten oder sogar Kriegen: Da gilt es dann, Opfer zu bringen, um den Feind zu besiegen. Das Böse zurückzudrängen.
Mir wird’s unbehaglich, wenn ich das höre – auch, wenn ich’s manchmal nachvollziehen kann. Dem Dichter Erich Fried ist es wohl ähnlich gegangen. Sein Unbehagen bringt er in einem Gedicht auf den Punkt. Es heißt: DER AUGENBLICK DES OPFERS:

Er ist opferbereit
er steht
zu seinem Opfer

Er versteht
die Notwendigkeit
seines Opfers

Er entschließt sich
nicht mehr zu warten
mit seinem Opfer

Er überwindet die Schwäche
die ihn abhält
von seinem Opfer

Sein Opfer
reißt sich los
und läuft schreiend davon

Das bringt es auf den Punkt, was mir solches Unbehagen bereitet: Wenn wir Menschen „opferbereit“ sind, dann opfern wir so gut wie immer das Glück, die Freiheit oder das Leben von anderen: Die Opfer, die jemand für seine Karriere bringt, treffen auch die, die mit ihm konkurrieren. Und oft genug auch die eigene Familie. Und wenn Terroristen ihre Kämpfer auf Unschuldige loslassen. Oder irgendein Despot einen Krieg vom Zaun bricht für eine angeblich gerechte Sache – dann wird die Rede vom „notwendigen Opfer“ vollends zum reinen Hohn.

Am heutigen katholischen Feiertag Fronleichnam geht es auch ums „Opfer-bringen“. Vrohn Lichnam, das ist Mittelhochdeutsch und bedeutet: des Herren Leib. Es geht um den Leib und das Blut von Jesus Christus. Darum, dass er sich hat kreuzigen lassen und seinen Leib und sein Blut geopfert hat, um uns Menschen zu erlösen: Von unserem Egoismus, von dem, was wir einander antun. Dass wir uns gegenseitig zu Opfern machen von Ungerechtigkeit und Gewalt.

Und auch, wenn mir als evangelischer Christin manches an den katholischen Vorstellungen dazu fremd bleibt. Ich bin froh, über alle Konfessionsgrenzen hinweg auch zu Jesus Christus zu gehören. Denn um mir Hoffnung zu schenken – um zu zeigen, dass Gott stärker ist als alle Ungerechtigkeit und Sünde der Menschen – dafür opfert er sich selbst. Und nicht irgendjemand anderen.

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