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SWR1 Begegnungen

13SEP2020
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Volker Gallé privat

Joachim Schmidt trifft Volker Gallé, Kulturwissenschaftler, Liedermacher, Poet

Volker Gallé, lange Jahre Kulturbeauftragter von Worms, Erfinder der Nibelungenfestspiele, Kulturwissenschaftler, aber auch Liedermacher, Kabarettist. Er ist immer für eine Pointe gut. Sein Witz macht auch vor corona nicht Halt. Bei einem seiner Mundartabende will er darum die Leute „als corona“ der Schöpfung begrüßen. Als Krone des Schöpfung:

mit dem Satz: „Do hockt ja die ganz‘ Corona!“ Also Corona ist ja bei uns eine Gruppe von Menschen, und dann würde ich das weiter ausbauen: Das ist die Krone der Schöpfung, die hier sitzt. Und das ist eben die ironische Benutzung des Kronen-Begriffs. Die Corona … Also, das sind die ganz Besonderen, die sich hier versammelt haben, aber das Besondere an ihnen ist zugleich etwas, das man vom Sockel holen muss.

Denn Überheblichkeit kann er nicht ausstehen. Das ist ihm bei einem Thema ganz besonders wichtig, der Freiheit.

Was ist die Freiheit? … Da sind wir ganz schnell in der aktuellen Corona-Diskussion, wo die Leute sagen: Meine Freiheit wird begrenzt. Ja, das ist ein Aspekt, aber Freiheit ist auch die Tatsache, dass auch der andere seine Freiheit hat. Das ist die Grund-Vorstellung der Maskenpflicht. Ich ziehe die Maske nicht auf zu meiner eigenen Gesundheit, sondern zur Gesundheit des Anderen.

Volker Gallé liebt Geschichten mitten aus dem Leben, wenn es geht, hintersinnige. Geschichten, sagt er, sind doch viel lebendiger, saftiger als trockene Begriffe.

Geschichten erzählen ist immer gut, weil, das Geschichten erzählen, die Begriffe, die so etwas von einer Skulptur haben, die in der Landschaft steht, bebildern und beweglich machen. Und da wird eine Geschichte von Freiheit erzählt, von den Grenzen der Freiheit. Und wenn es besonders gut ist – also die Mundart in unserer Gegend oder die Kultur hat ja immer so einen humoristisch-fastnachtlichen Touch, wenn sie gut ist, dann gibt es überraschende Wendungen, über die man lachen muss und sagt: Ach so, ja das, also das ist jetzt aber eigenartig oder komisch oder: Daran hab ich noch gar nicht gedacht.

Volker Gallé liebt die bunte Geschichte seiner Heimat Rheinhessen mit den vielen Völkern, die seit Jahrtausenden den Landstrich aufgemischt haben. Klassische Migranten, wie man heute so sagt. Nichts Neues übrigens für Rheinhessen. Schon Carl Zuckmayer hat das in seinem berühmten Theaterstück „Des Teufels General“ klar gemacht, wo er von Rheinhessen als „Völkermühle“ spricht:

dass eigentlich genau diese Ein- und Auswanderung und Durchmischung der Leute, die sich hier angesiedelt haben, sozusagen die Mentalität und den Typ der Region ausmacht und damit auch etwas von einem Fluss hat und einem Fluss vermittelt, in den ja auch alles Mögliche einfließt, nicht nur verschiedene Wässer, sondern auch Steine Sand, was-weiß-ich auch immer, und der auch verschiedenen Zwecken dient, und das alles findet irgendwie zusammen zu etwas Gemeinsamem.

Volker Gallé, rheinhessischer Literat und Kabarettist, kämpft gegen völkisches Gedankengut. Jeder Rassismus ist ihm zuwider.

In Rheinhessen gibt es kein Volk, was, sagen wir mal, 5000 vor Christus gegründet wurde und seitdem sich einseitig kreuzt bis heute, und niemand hat eingeheiratet, niemand … kompletter Blödsinn, so eine Abgrenzungsvorstellung. Aber Volk hat ja nicht nur eine abgrenzende Vorstellung wie jeder Begriff, sondern Volk hat auch die Vorstellung von Teilhabe, und da kommen dann die Verfassungsfragen ins Spiel. Und da geht es um Menschen- und Bürgerrechte, und die werden meines Erachtens mit zu wenig Enthusiasmus in die Herzen der Menschen gepflanzt.

Volker Gallé gehört heute aus persönlichen Gründen keiner Kirche mehr an, aber sein Engagement ist ein zutiefst christliches: Ein liebevolles Ja zur Vielfalt des Lebens und ein entschiedenes Nein zu jedweder Ideologie.

Es ist etwas schade, dass es den Rechten halt immer gelingt, aus komplexen Quellen einfache Muster zu machen. Das wiederum hat aber auch den Grund, dass viele Leute – das ist mein Eindruck – sich überfordert fühlen. Sowohl von der Einordnung unglaublich vieler globaler Nachrichten, deren Wahrheitsgehalt zu messen... die dominieren sehr häufig und emotionalisieren auch die Leute. Also ein Bericht über einen syrischen Migranten, der ein deutsches Mädchen vergewaltigt oder umbringt, wird viel breiter getreten, nicht nur von der AfD, als der Bericht von einem syrischen Migranten, dem es gelungen ist, Abitur zu machen, und der jetzt ein Medizinstudium anfängt, sagen wir mal.

Woran liegt das? Schlechte Nachrichten finden eben mehr Aufmerksamkeit als gute, und Vorurteile im Kopf werden gepflegt und verstärkt, nicht nur bei den Rechten, sagt Volker Gallé. Denn Vorurteile sind immer einfacher als persönliche Erfahrungen.

Viele Begegnungen finden … auch oft einfach nur im Kopf statt in Form von Fantasien, und daraus entsteht dann so ein Erschöpfungs- und Abgrenzungsbedarf, der dann propagandistisch genutzt werden kann von Gruppierungen wie der AfD. Und die wiederum ist …, dran interessiert, an die Macht zu kommen und die Demokratie abzuschaffen. Das ist ihr politisches Kalkül, und sie benutzt solche Gefühlswelten. Und deswegen glaube ich auch, dass man relativ intensiv über diese Gefühlswelten sprechen muss. Man muss denen so ins Auge sehen, wie sie sind, aber politisch klar Stellung beziehen und sagen, dass das, was die Rechten vorhaben, halt der Untergang der Menschen- und Bürgerrechte ist, und das ist mithin der Kern der Demokratie.

… sagt Volker Gallé, rheinhessischer Mundart-Poet und leidenschaftlicher Demokrat. Mit Sprachkunst und Witz schreibt der den Kirchen und den Christen immer Merksätze zur Menschenfreundlichkeit Gottes ins Stammbuch.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31666
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SWR1 Begegnungen

19JUL2020
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Jochen Partsch

Jochen Partsch, ehemaliger Ministrant, Friedensaktivist und heute Oberbürgermeister von Darmstadt, einer digitalen Vorzeigestadt.

Wir hatten zuhause eine Gastwirtschaft, Landwirtschaft, Metzgerei, Forstwirtschaft. Ich war bei den Ministranten, bei der Freiwilligen Feuerwehr, im Fußballverein, und … du kennst im Grund jeden. Und die kannten mich natürlich auch. Und das war schon relativ brutal, als die Feldjäger mich dann da auch raus holten, dass Leute, die ich gut kannte, mich wüst beschimpft haben. … Bis zu dem hin, was man aus manchen Milieus kennt: Da hat man vergessen, jemand zu vergasen. Das waren durchaus Sprüche, die in den 70er Jahren noch gefallen sind.

Mit 21 Jahren war Partsch Mitbegründer der Grünen im Landkreis Bad Kissingen, er machte Zivildienst an der Uniklinik in Göttingen und studierte dort Sozialwissenschaften. Soziales Engagement begleitet seinen ganzen beruflichen Weg – immer aus einer konsequent christlichen Grundhaltung heraus.

Wir Christen, wir müssen uns um die Mitmenschen kümmern. Das ist also sozusagen das universalistische christliche Menschenbild, das ist eines der Barmherzigkeit, der Liebe und des gemeinsamen Zusammenlebens. Wenn ich mir selber da zuhöre, hört sich das alles so furchtbar Wort-zum-Sonntag-mäßig an, aber faktisch ist es so. Das ist natürlich ein mächtiger Antrieb, der in der Kindheit und Jugend auch belegt werden kann, und der viele von denen, die mit so einem christlichen Grundverständnis aufgewachsen sind auch antreibt.

Die Mühen der Realpolitik bestimmen den beruflichen Alltag von Jochen Partsch. Die christliche Prägung seines Denkens ist geblieben.

Das Mitleiden Jesu, die Bergpredigt, der Versuch, auf Schwache zuzugehen und Schwache auch zu verstehen … Derjenige unter euch, der ohne Fehl ist, werfe den ersten Stein … und was ist mit dem Splitter in deinem eigenen Auge … du siehst den Splitter im Auge des anderen und den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht, das sind im Grunde alles humanistische Positionen, aber auch aufklärerisch-reflexive Positionen, weil wir herausgefordert sind sozusagen mit unserer eigenen Selbstgerechtigkeit und Selbstüberzeugung sozusagen darüber nachzudenken, ob das denn der Weisheit letzter Schluss ist, und ob das nicht unsere kleine Existenz und unsere kleine Seele nicht noch viel weiter einengt.

… sagt Jochen Partsch, seit 2017 Oberbürgermeister einer digitalen Vorzeigestadt.

Jochen Partsch und die Wissenschaftsstadt Darmstadt gewannen 2017 den Bitkom-Wettbewerb „Digitale Stadt“. Seitdem werden dort mit viel Bürgerbeteiligung kleine und größere Projekte für eine digitale Vorzeigestadt entwickelt. Was reizt den grünen Oberbürgermeister daran?

Diejenigen, die glauben, Digitalisierung verhindern zu können, überschätzen ihre Möglichkeiten, sagt ein kluger Mann. Und diejenigen, die glauben, Digitalisierung bejubeln zu müssen, unterschätzen ihre Wirkung. Für mich war völlig klar, wir machen das.

Es gibt zwei große Varianten der Digitalisierung: Es gibt die US-amerikanische, die sozusagen ökonomisch getrieben ist, die Kolonialisierung der Lebenswelt durch die großen Unternehmen, Amazon, Google, Facebook, wie die alle heißen.

Und die zweite Variante?

Die zweite Form ist die chinesische Form der Digitalisierung mit Bonus-System, mit Total-Überwachung. Und ich glaube, wir brauchen eine europäische Form der Digitalisierung, wo wir die Chancen der Digitalisierung wahrnehmen aber sozusagen auch weiter freie, selbstbestimmte Menschen sein wollen in europäischen Städten. Die freie und offene Gesellschaften sind mit Diskurs, mit Anonymität. Digitalisierung ist ein politisches Handlungsfeld. Und wir wollen nicht einfach Objekte von großen Digitalisierungsunternehmen sein oder von wem auch immer, sondern wir sagen: Das ist schon auch eine Aufgabe für die Kommune, für die Stadt und für die städtischen Akteure.

Energisch hat sich Jochen Partsch in den vergangenen Jahren immer wieder dafür eingesetzt, dass der Darmstädter Weihnachtsmarkt erst in der Woche vor dem ersten Advent beginnt, und nicht, wie vom Handel gewünscht, schon vor dem Totensonntag. Warum?

Insbesondere der Totensonntag ist nicht nur für die Christen, sondern in seiner Bedeutung für die Gesellschaft in Deutschland insgesamt so wichtig, dass ich finde, dass man darauf Rücksicht nehmen sollte.

Der Job eines Oberbürgermeisters ist eine Never-Ending-Story, oft auch aus tausend mühsamen Kleinigkeiten. Woher nimmt Jochen Partsch seine Kraft, wenn es eng wird?

Also, ich nehme meine Kraft aus einer wirklich sehr starken, zuversichtlichen Haltung, was das Leben angeht. Ich glaube, es ist so, dass wir so viele Chancen und Möglichkeiten haben, und dass wir auch in schwierigen Situationen letztendlich immer noch in einer anderen Lage sind als viele Menschen vor uns, gerade wenn wir uns die Situation in Tyranneien angucken, aber auch die weltweite Situation von Menschen, denen es so schlecht geht.

Ich denke, wir müssen vorsichtig sein, dass wir nicht bigott unsere eigenen Schwierigkeiten allzu sehr überhöhen. Es gibt schon auch   Situationen, wo ich angegriffen bin, wo ich denke wie soll das denn weiter gehen?

Und dann?

Das ist, sagen wir mal, eine kurzzeitige Betrübnis, aber wie gesagt: das kommt vor, aber … Gottvertrauen ist wichtig, Zuversicht ist wichtig. Wir dürfen uns selbst nicht so wichtig nehmen, aber wichtig genug, um zu wissen, dass es auch auf uns drauf ankommt.

… sagt der Darmstädter Jochen Partsch, seit fast 10 Jahren erster grüner Oberbürgermeister einer hessischen Großstadt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31292
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