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SWR4 Abendgedanken

28FEB2025
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„Ich bin immer für dich da“ – das sage ich meiner Freundin, bevor ich den Hörer auflege. Ihr geht’s grad nicht gut. Ich habe ihr am Telefon zugehört, versucht, irgendwie hilfreich zu sein. Und wie das halt so ist, nach so einem Gespräch, denk ich mir: Hm, hab ich jetzt wirklich die richtigen Worte gefunden?

Vermutlich geht das sowieso kaum, in traurigen Situationen die richtigen Worte zu finden. Es geht ja mehr ums „einfach Dasein“. Und das will ich auch, ehrlich. Aber als ich meiner Freundin am Ende des Telefonats sage: „Ich bin immer für dich da.“, da übertreibe ich. Denn das stimmt so nicht. Ich bin nicht IMMER für sie da. Ich kann das gar nicht.

Ich habe zwei Kinder, einen Partner, ein Ehrenamt, ich habe Freundschaften, ich habe einen Job, und ich habe da auch noch mich. Ich will all diese wunderbaren, von mir geliebten Beziehungen und Aufgaben ernst nehmen. Aber ich habe eben nur diese 24 Stunden am Tag, und die reichen einfach nicht, um für alle so da zu sein, wie sie es eigentlich bräuchten und auch verdient hätten.

Mir ist klar, dass das nicht geht. Und gleichzeitig wird von mir erwartet, jederzeit und überall erreichbar zu sein. Egal ob im Job, in Familie oder Freundschaft.

Ich merke, ich kann UND ich will das nicht. Mir ist das zu viel, dieses immer da sein, immer verfügbar sein. Das stresst mich. Ich brauche Zeiten, in denen ich das Handy abschalte und wirklich nur an dem Ort bin, an dem ich grad stecke; und dort eben dann wirklich da sein kann für die Menschen, mit denen ich grad zusammen bin – mit meinen Kinder, mit einer Freundin, im Job mit meinen Schülerinnen und Schülern oder einfach mit mir selbst. Und dann ist das Handy aus und ich bin voll empfangsbereit für das, was ich grad tue.

Wenn ich das nächste Mal mit meiner Freundin spreche, werde ich ihr nicht mehr sagen, dass ich immer für sie da bin – ich würde sie nur enttäuschen. Unsere Freundschaft ist keine Dienstleistung. Sie ist weder berechnet, noch effizient. Aber ich werde ihr etwas sagen, was ich auch so meine. Etwa:

Ich denke an dich! Und versuche, bemühe mich ganz ehrlich, für dich da zu sein! Denn ich hab dich lieb. – Das ist nicht gelogen, das ist ehrlich, denn das fühl ich und das will ich. Für sie – und für mich. Für unsere Freundschaft.

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SWR4 Abendgedanken

27FEB2025
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Meine zwei Kinder verbringen ein ganzes Wochenende bei ihren Großeltern. Eine absolute Besonderheit, auf die sie sich schon seit Wochen freuen. Als sie zurückkommen, sagt meine Tochter: „Das ist einfach wie zu Hause, nur cooler.“

Ich muss schmunzeln – na klar, ist es dort cooler: Das ganze Wochenende im Schlafanzug verbringen, Schach spielen, ganz viel Vorlesezeit, ins Kino gehen und immer nur das Lieblingsessen schnabulieren. Ein Kindertraum wird wahr.

Aber was mich dabei so ungemein rührt: Dass es bei Oma und Opa wie ein zu Hause für sie ist. Sie dürfen dort weinen, lachen, diskutieren. Dürfen alle Fragen stellen. Müssen sich nicht verbiegen. Alles ist für sie ganz selbstverständlich und vertraut. Meine Töchter können sein wie sie sind und fühlen sich dabei sicher und bedingungslos angenommen.  Was für ein Luxus: Neben unserem zu Hause noch ein weiteres Nest zu haben, in dem sie geliebt werden und wissen: Hier ist immer Platz für uns, egal was ist.

So ein Ort ist auch für mich wichtig. Denn ich kenne das nur zu gut: Dass ich mich nach einem Platz sehne, der für mich gedacht ist, wo ich sein kann, so wie ich bin. Und diese Sehnsucht nach Heimat hat für mich persönlich eine tiefe religiöse Bedeutung. Jesus verspricht seinen Jüngern kurz vor seinem Tod: Bei Gott, bei meinem Vater, gibt es genug Platz im Haus, für euch alle. Ich werde sogar für jeden von euch einen festen Platz vorbereiten.[1]

Darauf verlasse ich mich: Für mich ist gesorgt. Jesus verspricht mir, dass ich einen festen Platz bei ihm habe. Und wenn ich an diesen Platz denke, dann wird mir warm ums Herz. Dann denke ich an einen Ort, wo ich nicht doof angeschaut werde, weil ich mal laut oder mal zu leise bin. Sondern aufgehe, wie in ein einer ganz großen Umarmung, die gar nicht mehr aufhört, und die dabei nie unangenehm wird. Einen Platz, an dem meine ganze Person, mit ihren schönen und speziellen Seiten, ankommt – und Heimat findet.

Dieser Glaube trägt mich, vor allem dann, wenn ich mich mal nicht wohl oder beheimatet fühle. Das ist mir wichtig und gibt mir Halt. Und deshalb bin ich dankbar, dass meine Töchter ihre Großeltern haben. Und dort bereits jetzt, ganz tief in ihnen drin, so eine Ahnung davon bekommen, was Jesus meint, wenn er sagt: Ich habe einen Platz für dich.

 

[1] Frei nach Joh 14,2

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SWR3 Gedanken

01FEB2025
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Auf einem Blog lese ich den Beitrag eines syrischen Geflüchteten. Er lebt in einer deutschen Großstadt und schreibt: „Wenn‘s ums Thema Abschiebung geht, dann wird davon gesprochen, dass ich als Arbeitskraft fehle, wenn man mich aus Deutschland abschiebt. Ja, klar. Aber warum sagt niemand, dass ich als Freund oder Nachbar fehle, wenn ich weg bin?!“

Diese Worte bewegen mich. Zur Zeit lese ich jeden Tag das Wort Abschiebung in der Zeitung. Wo ich hinkomme, wird über das Thema diskutiert.  Und dann argumentiere auch ich ähnlich: Wer bringt dir dann deine Päckchen, die du im Internet bestellt hast? Oder verkauft dir deine Brötchen? Wie schaut dein Alltag aus, wenn wichtige Arbeitskräfte einfach abgeschoben werden?

Diese Fragen sind ja grundsätzlich richtig. Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, übernehmen mittlerweile wichtige Aufgaben und Funktionen in unserer Gemeinschaft. Allerdings beschäftigen sich diese Fragen nicht mit dem ersten und wichtigsten Grund, warum Menschen in unserer Gemeinschaft einen festen Platz verdient haben. Und dieser lautet: Weil sie Menschen sind!
In dieser hässlichen Debatte wird viel zu oft diskutiert, ob Geflüchtete oder Menschen mit Migrationshintergrund gut genug funktionieren oder aber eine finanzielle Belastung für den Staat darstellen. Als wären sie Figuren auf einem Schachbrett – sind sie nicht gut genug, dann werden sie vom Brett gefegt.

Dass hinter jeder dieser „Figuren“ Personen stecken, mit einer Geschichte, mit Gefühlen, mit einem Recht auf einen würdigen Umgang – das wird viel zu oft verdrängt.

Bitte lasst uns nicht vergessen: Es sind Menschen, wie du und ich, gottgewollt, gottgeliebt – und wir sind füreinander verantwortlich! Lasst uns auf keinen Fall Menschen nur nach ihrer Leistung, Arbeitskraft oder ihrer Nationalität beurteilen. Das ist krank. Und unwürdig.

Umso wichtiger, bei der kommenden Bundestagswahl nicht zu vergessen: Wir wählen auch für sie, für unsere Freunde und Nachbarn.

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SWR3 Gedanken

30JAN2025
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Viele Menschen sind unzufrieden. Das spüre ich in den letzten Monaten immer mehr.

Und das nicht ohne Grund: Viele Jobs werden schlecht bezahlt; den Unternehmen fehlen Fachkräfte. In Großstädten sind die Mietpreise so hoch, dass Familien sich das nicht mehr leisten können...so vieles liegt im Argen. Ich verstehe die, die frustriert und wütend sind. Die verzweifelt nach Lösungen für ihre Probleme suchen.

Hey, und auch ich bin unzufrieden – denn ich lebe im Jahr 2025 in einer Gesellschaft, in der es plötzlich salonfähig geworden ist, bestimmte Menschen für unsere Probleme verantwortlich zu machen, weil sie eine andere Herkunft, Religion oder sozialen Stand haben. Menschen hassen und aus dem Land rauswerfen – das ist doch kein Lösungsvorschlag.

Dass sowas ernsthaft besprochen wird, hätte ich als Jugendliche nicht gedacht. Damals in der Schule, als ich von unserem Geschichtslehrer erfahre, wie menschenfeindlich und grausam das rechte Nazisystem ist; oder als mein Großvater erzählt, wie furchtbar der Krieg für ihn als Soldat gewesen ist; und wie dieses kranke System Menschen kaputt gemacht hat.

Ich habe schnell gelernt: Die Demokratie ist der „goldene Schatz“ unserer Gesellschaft. Denn Demokratie bedeutet, dass alle mitbestimmen dürfen, dass alle frei und gleich sind. Nur eine demokratische Politik fragt wirklich: Was braucht es, damit wir alle gut und gerecht zusammenleben können? Was braucht es, damit wir zufrieden werden?

Und jetzt, zwanzig Jahre später, merke ich: Dieser goldene Schatz, die Demokratie, ist kein Selbstläufer. Wir müssen den Schatz wahren und verteidigen, beschützen vor denen, die Menschen hassen, weil sie anders sind; die Sündenböcke für ihre Probleme suchen und hetzen. Und das mache ich auch am 23. Februar – wenn ich meine Stimme bei der Bundestagswahl für Demokratie abgebe. Damit alle – auch die Schwachen, die Fremden bei uns, - eine Chance haben, zufrieden zu sein.

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SWR3 Gedanken

29JAN2025
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Auf einer Geburtstagsparty spricht mich Lilo von der Seite an: „Katharina, du glaubst doch an Gott, oder?“ Für mich der Startschuss eines Partyklassikers: Ich – in meinem Alltagskosmos eine vom Aussterben bedrohte Spezies – nämlich bekennende Christin – werde nun „befragt“.

Aber diesmal läuft das Gespräch anders – und es erwischt mich mit voller Breitseite. Denn Lilo fragt mich: „Hast du eigentlich trotzdem Angst? Auch wenn du so richtig an Gott glaubst?“

Ich muss erst mal laut loslachen – natürlich habe ich Angst, auch als Christin. Und dabei merke ich schnell: Lilo irritiert mein Lachen. Denn sie meint die Frage ernst. Sie erzählt mir von ihrer Angststörung. Von jahrelangen Panikattacken. Von ihrer ganz persönlichen Leidensgeschichte mit der Angst. Sie packt aus. Und das tue ich auch. Denn auch ich habe meine ganz persönliche Geschichte mit der Angst. Wir tauschen uns aus und sind uns einig: Angst hat erst einmal nichts mit glauben oder nicht glauben zu tun, sondern ist einfach nur menschlich. Und anstrengend.

Lilo sagt, sie ist Atheistin und hat sich lange Zeit gefragt, ob es anders wäre, wenn sie an Gott glauben würde. Ob es ihr dann besser gehen würde.

Sie will deshalb genauer wissen: Wer ist Gott für mich, wenn ich Angst habe.  Und ich antworte, so gut ich kann:

Ich kann zu Gott sprechen wie zu einem Freund. Er macht mir Hoffnung, dass es irgendwie irgendwann besser wird. Aber genauso gibt es Phasen, da bin ich mir gar nicht so sicher, ob er da ist, wenn es mir schlecht geht. Da habe ich das Gefühl, mein Glaube ist eine leere Blase, die gleich zerplatzt. Aber in allen Phasen bleibt mir das Gebet. Das nochmal ganz anders für mich ist als das Gespräch mit anderen Menschen.
Ob Angsthaben anders ist mit Gott – das weiß ich nicht – ich kenne es ja nicht anders. Aber ich würde nie darauf verzichten wollen – auf mein Gebet – für mich, oder für andere, die auch Angst haben.

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SWR3 Gedanken

28JAN2025
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Gefühle: Was ist das eigentlich mit ihnen?
Ob in Stuttgart, in Rio oder in Tokyo – überall auf der Welt sehen wir gleich aus, wenn wir uns freuen: wir lächeln. Okay, nicht komplett gleich, aber zumindest ähnlich. Denn wir alle ziehen unsere Mundwinkel nach oben, wenn wir uns freuen.

Der US-amerikanische Psychologe Paul Ekman hat in unterschiedlichen Ländern und Kulturen, sogar im Urwald geforscht. Er ist zu der Erkenntnis gekommen: Wir alle verfügen über sieben Basisemotionen – Wut, Trauer, Überraschung, Angst, Ekel, Verachtung – und eben auch: Freude. Und diese Basisemotionen lösen bei uns allen dieselbe Mimik aus, die jeweils dazu gehört.

Jeder Mensch fühlt also und zeigt seinem Gegenüber, was er fühlt. Aber wenn wir das alle – immerhin acht Milliarden Erdenmenschen – gemein haben, warum versuchen wir so oft, unsere Gefühle zu verstecken?

Klar: In einer Gemeinschaft gehört es dazu, sich und seine Gefühle auch mal zurück zu stellen. Ich kann nicht in jeder Situation rausplatzen mit allem, was mir auf am Herzen liegt. Da hilft uns dann unsere universelle Mimik – und ich meine nicht die große Gefühlsexplosion, sondern die kleinen, feinen Züge und Muskelzuckungen, die mir übers Gesicht huschen, wenn ich etwas fühle. So kann ich an meinem Gegenüber – wenn ich aufmerksam genug bin – genau erkennen, ob er grad wütend oder froh, angeekelt oder einfach nur überrascht ist. Diese spontane, feine Mimik, die können wir laut Ekman auch gar nicht wirklich verstecken.

Und das ist gut und wichtig: Egal woher wir kommen und welche Sprache wir sprechen, wir können mitteilen, wie es uns grad geht. Was für eine wunderbare Fähigkeit von uns Menschen, um – bei all dem Gegeneinander auf dieser Welt – wieder auf einander zu zu rücken.

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SWR3 Gedanken

27JAN2025
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Ist ihnen das schon mal passiert: Sie laufen über die Straße und ihnen wird hinterhergepfiffen? Oder sie werden unangenehm lüstern angeschaut? Oder jemand hat ihnen ungefragt sexualisierte Bilder aufs Handy geschickt? All das gehört – neben Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch –zu sexualisierter Gewalt. Zwei Drittel aller deutschen Frauen haben so etwas bereits erlebt[1]. Auch ich.

Aber darüber sprechen tun nur wenige. Warum eigentlich? Wenn etwas so Ungerechtes und Schlimmes passiert, muss das doch angezeigt werden – damit es nicht noch mal passiert. Ich vermute: Weil sich Frauen dafür schämen, Opfer sexualisierter Gewalt zu sein.

Gisele Pelicot sagt: „Die Scham muss die Seite wechseln“ – nicht die Opfer sollen sich schämen, sondern die Täter. Und genau deshalb ging sie mit ihrem Prozess an die Öffentlichkeit: Gisele Pelicot wurde von ihrem Ehemann über zehn Jahre hinweg immer wieder sediert und so anderen Männern im Internet angeboten – zur Vergewaltigung. Ihr Ehemann und 50(!) weitere Männer sind letzten Dezember dafür schuldig gesprochen worden – alle müssen in Haft.

Vermutlich ist keine Strafe genug für diese grausame Tat – und das Trauma wird Gisele Pelicot bleiben – aber es wird noch etwas anderes bleiben: Ihr Mut! Eine mutige Frau, die sich nicht schämt! Pelicot ist diesen harten Weg nicht nur für sich und ihre drei Kinder gegangen – sondern für uns alle. Für eine Gesellschaft, die so etwas nicht mehr duldet. Gegen ein System, das schweigt und wegschaut.
Gisele Pelicot ist eine Heldin unserer Zeit – sie fordert ein, dass es selbstverständlich wird, sich gegen sexualisierte Gewalt zu wehren. Sie fordert ein, was wir dringend brauchen: Eine Gesellschaft, in der wir ALLE – Frauen UND Männer – offen darüber sprechen können. Ohne Scham!

 

[1]https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/formen-der-gewalt-erkennen-80642

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SWR3 Gedanken

26JAN2025
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Unser Kühlschrank ist kaputt. Deshalb muss ein neuer her – und zwar schnell! Im Netz gibt es so viele verlockende Sparangebote – aber stopp, ganz so einfach will ich‘s mir nicht machen. Einen Kühlschrank brauchen wir jeden Tag, der muss schon gut sein. Ein Impulskauf ist also ausgeschlossen! Denn was mir wichtig ist und meinen Alltag derart beeinflusst, das braucht eben Zeit und gute Vorüberlegungen.

Wie mit meinem Kühlschrank werde ich es auch mit meiner nächsten Entscheidung handhaben. Die ist viel wichtiger und reicht viel weiter: Meine Wahlentscheidung. Im Februar steht die Wahl des Bundestags an. Es wird gewählt, wer die nächsten vier Jahre unser Land regiert. Deshalb: Stopp, ganz so einfach will ich‘s mir nicht machen. Ich will mich nicht von reißerischen Schlagzeilen im Netz locken lassen; will mich nicht von hohlen Versprechungen lenken lassen. Ich schau mir genau an, was die Parteien planen und ihre Kandidatinnen versprechen. Ich will auf keinen Fall eine Impulswahl! Keine Wahl aus Wut, Zorn oder Trotz heraus. Deshalb überlege ich mir gut: Was ist mir besonders wichtig für unser Land? Ich erwarte als Bürgerin Deutschlands, dass die Politik die vielen unterschiedlichen Menshcen zusammenhält;  als Mutter erwarte ich, dass an Nachhaltigkeit und Bildung gedacht wird; und als Christin ist es mir wichtig, dass besonders die in den Blick genommen werden, die unsere Hilfe brauchen. Ich informiere mich genau, welche Partei sich für diese Punkte engagiert. Ich lasse mir für diese Entscheidung Zeit – sehr bewusst sehr viel mehr Zeit als für meine Kühlschrankentscheidung. Alles andere wäre absurd. Denn hier gilt ganz besonders: „Was mir wichtig ist und meinen Alltag derart beeinflusst, das braucht eben Zeit und gute Vorüberlegungen.“

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SWR3 Gedanken

09NOV2024
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„Wenn Sie 1,60 Meter groß sind, werden sie eher nicht Chef – egal wie viel sie leisten.“ Das behauptet der Soziologe Michael Hartmann in einem Zeitungsinterview.

Ich find’ das ganz schön hart. Die Körpergröße soll für einen Job wichtiger sein als das, was ich kann?! Leider ist das laut Hartmann so: Dass Körpergröße, Herkunft und Geschlecht  Ausschlag geben, ob ich Chef werde oder nicht. Egal wie viel ich kann und leiste, am Ende sticht „groß – männlich – wohlhabend“ einfach alles.

Grund dafür: Die Top-Leitungsjobs Deutschlands werden von der erfolgreichen Oberschicht besetzt – und die suchen eben nach Ihresgleichen: Groß, männlich, aus dem Bildungsbürgertum. Auf  Augenhöhe – aber nur dann, wenn man sich ähnlich ist.

Mich ärgert das: Jobs sollten doch an die vergeben werden, die’s am meisten draufhaben. Zum Beispiel die Chefin in meiner Apotheke: Die hat den Laden echt im Griff, auch wenn sie kein Vitamin B hat und weiblich ist. Oder meine Freundin, die aus einer  Arbeiterfamilie kommt. Jetzt hat sie volle Personalverantwortung und weiß genau, was ihre Ziele sind.

Warum also nicht Platz machen für die, die es wirklich draufhaben?

Zumindest ist das meine Wunschvorstellung und mein christliches Bild von Gesellschaft: Dass alle die Chance auf gute Jobs haben. Weil wir alle – unabhängig von Herkunft und Aussehen – gleich viel wert sind.

Auf  Augenhöhe bedeutet dann nicht mehr: Sich ähnlich sein. Auf  Augenhöhe bedeutet: Alle sehen, wirklich alle! Und zwar jetzt erst recht!

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SWR3 Gedanken

08NOV2024
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Tränen sind ja oft ganz leise. Aber der Holocaust-Überlebende Elie Wiesel erzählt von zwei Tränen, die ganz anders sind. Sie sind laut. Ohrenbetäubend laut.

In einer Rede erzählt Elie Wiesel eine jüdische Geschichte. Sie handelt davon, dass es dem Volk Gottes schlecht geht, alle leiden. Und als Gott das sieht, muss er weinen. Er weint zwei Tränen; die beiden Tränen fallen in den Ozean. Dabei machen sie einen solch ohrenbetäubenden Lärm, dass die Menschen es vom einen Ende der Welt bis zum anderen hören.

Elie Wiesel verbindet diese Geschichte mit dem, was er im Holocaust erleben musste: „Vielleicht hat Gott mehr als zwei Tränen vergossen, als er die Tragödie seines Volkes in unserem Jahrhundert erblickte. Doch aus Feigheit haben die Menschen sich die Ohren zugehalten.“

Das Leid der Menschen in den Konzentrationslagern muss unendlich und unerträglich gewesen sein. Ich kann die Bilder aus dieser Zeit immer noch kaum aushalten Es ist furchtbar zu sehen, dass da etwas passiert ist, was schlimmer, grausamer und ungerechter nicht sein kann. Wie konnten die Menschen damals weghören? Wie konnten sie diesen schrillen und tosenden Lärm ausblenden? Elie Wiesel sagt, die Menschen waren feige – zu feige, um hinzuschauen und sich berühren zu lassen.

Bin ich auch feige? Bei den ganzen Nachrichten halte ich auch oft die Ohren zu. Denn es ist einfacher den Lärm auszublenden, den sie ja eigentlich in mir drin machen. Aber – Elie Wiesel hat Recht - es ist feige. Und der Preis für diese Feigheit: Menschenleben.

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