SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Urlaub in Kroatien. Tagsüber war es heiß, und kühlender Schatten war ein begehrtes Gut. Die Veranda unseres Ferienhauses hatte ein Dach aus grünem Weinlaub, und dieses grüne, schattige Dach gehört zu den schönsten Erfahrungen dieses Urlaubs. Drei mächtige, knorrige Weinstöcke waren in den Boden gepflanzt und mithilfe von Stangen so in die Höhe geführt, dass die zahlreichen Reben sich zu einem riesigen Netz verflochten. Es war auch bei größter Sonnenhitze immer luftig, und die wenigen Sonnenstrahlen, die durch das Dach hindurchgelangten, gaben ein grün-goldenes Lichtspiel. Das ganze Wein-Dach war zudem behangen mit herrlichen, frühreifen Weintrauben in fast unermesslicher Fülle; wir konnten uns 2 Wochen lang bedienen und genießen. Dazu kamen Feigen, die man von dem Baum ernten konnte, der als Sichtschutz zum nächsten Grundstück gepflanzt worden war. Eine Hängematte, eine Hollywoodschaukel - wenn wir nicht im Meer waren, schaukelten wir lesend oder Musik hörend - unter dem Weinstock.
Nie zuvor ist mir so deutlich geworden, was die biblische Vorstellung vom Weinstock bedeutet. Unter dem Weinstock sitzen - so beschreibt das AT einen Zustand paradiesischen Friedens und unerschöpflicher Fülle. Dort, unter dem Weinstock und unter dem Feigenbaum sitzt der Fromme, der in Gottes Augen Gerechte und genießt die Fülle des Lebens im verheißenen Land Israel. Es gibt dort keinen Hunger und keinen Durst, die sengende Sonnenhitze richtet keinen Schaden an, Krieg und mühsamer Wiederaufbau sind Vergangenheit. Man ist am Ziel.
Historisch und faktisch ist dieses Ziel niemals oder höchstens in Ansätzen erreicht worden. Deshalb ist der Weinstock und seine Fülle auch zu einem Bild für das Heil am Ende der Zeiten geworden. Was Gott seinem Volk, was er allen Menschen an Glück verheißen hat, das steht noch bevor, das ist noch im Wachsen. Aber es ist auch schon sehr konkret geworden in Jesus, der von sich sagt: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner."
Mir hilft dieses Bild vom Weinstock, mit den alltäglichen Erfahrungen des Mangels, des Unfriedens und der eigenen Unfertigkeit umzugehen. Er hilft mir auch, in den guten Dingen des Lebens einen Vorgeschmack auf den endgültigen Weinstock zu genießen.
So habe ich das Sitzen unter dem Weinstock empfunden. Der Urlaub ist vorbei, der Alltag brachte gleich wieder manches Unerfreuliche und Schmerzhafte. Aber die Dankbarkeit für erlebtes Glück gibt Kraft, und die Vorfreude lässt die nötigen Schritte tun - gemeinsam mit anderen Menschen.
Eines Tages, das hoffe ich, werden alle Völker unter dem Weinstock sitzen, der den Namen Jesus trägt.

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