SWR4 Abendgedanken BW

SWR4 Abendgedanken BW

Wie würden Sie reagieren, wenn Sie jemand als Otto oder Ottilie Normalverbraucher bezeichnen würde? Wäre Ihnen das unangenehm?
Braucht es aber nicht zu sein. Sie könnten demjenigen sagen, er sei nicht mehr auf der Höhe der Zeit: Otto Normalverbraucher sei gestorben. Jetzt gäbe es Otto Normalabweichler.
Denn es sei normal geworden, dass jeder ein wenig vom so genannten Normalen, vom Unauffälligen abweicht.
Ja, zum Glück ist es einfacher geworden, von dem abzuweichen, was ‚man’ tut oder eben nicht tut, wie ‚man’ sich benimmt oder kleidet.

Das ist ein Stück Freiheit, wenn ich mich nicht dauernd für persönliche Vorlieben rechtfertigen muss, wenn ich nicht dauernd die Frage befürchten muss: warum machst du das? Warum machst du das gerade so?
Vieles, was noch vor Jahren als Provokation galt, erregt heute kein Aufsehen mehr.
Selbst die, die berufsmäßig Uniform tragen müssen, wie die Schaffner im ICE, bieten eine große Bandbreite an Haartönungen und Körperschmuck. Das Typische hat sich aufgelöst.
Es ist normal geworden, nicht dem Durchschnitt zu entsprechen. Aber man kann auch entspannt zugeben: „Ich finde es sehr beruhigend, so ein normaler Deutscher zu sein.“

Als in einer Zeitschrift ausführlich beschrieben wurde, was die Deutschen so denken und tun,
wie sie „ticken“, da konnte man in den Leserbriefen lesen: „Faszinierend. Man kann sich gedanklich von der Masse abheben, um Sekunden später zu merken, dass man mit der Mehrheit der Deutschen mehr gemeinsam hat, als man von sich gedacht hat“.

Ja, es ist erfreulich: Unsere Spielräume sind größer geworden.
Ich vermute, diese Entwicklung hat auch damit zu tun, dass wir in den letzten Jahrzehnten so viel über Menschenwürde nachgedacht haben. Und die hängt eben nicht an unserem Lebensstil, nicht an unserer Kleidung, nicht am Körperschmuck, nicht an der Wohnungseinrichtung. Unsere Würde hat ihren tiefsten Grund darin, dass jede und jeder von uns ein unverwechselbares Geschöpf Gottes ist, dass Gott uns zu seinem Ebenbild und Partner geschaffen hat.

Und deshalb können wir lockerer die Rollen spielen und verändern, die das Leben von uns verlangt. Wir können neue Rollen ausprobieren, wenn uns unsere Prägungen und Vorlieben dazu verlocken.
Wir können uns an der Freiheit und Vielfalt freuen, die jeder hat, und auch darüber freuen, wenn andere diese Spielräume mehr nutzen als wir selbst. Und können großzügiger sein, wenn mal einer eine neue Rolle probiert und dabei scheitert oder aus der Rolle fällt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4338
weiterlesen...