SWR1 Begegnungen

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Peter HeilemannWolf-Dieter Steinmann trifft Peter Heilemann, Diakon in Tübingen, kurz vor dem Ruhestand

40 Jahre Diakon

Wie schafft man es, gelassen und versöhnt zu gehen? Wenn einen der Beruf richtig ausgefüllt hat. In zwei Wochen ist für Peter Heilemann Ruhestand. Nach 40 Jahren als Diakon bei der Kirche. Inzwischen kann er auch loslassen.

Ich weiß nicht, wer da spricht zu mir, mein Körper vielleicht oder meine Seele, oder der liebe Gott ist vielleicht im Spiel, jedenfalls sagt etwas in mir: Du merkst doch, dass Deine Kräfte nicht mehr die sind wie vor 10 oder 20 Jahren.

Er war und ist Diakon mit Leib und Seele. Ich habe ihn getroffen im Gemeindecafé. Grade haben sie 30 Menschen zum Mittagessen bekocht. Einsame, die sich freuen von ihm mit Kuss begrüßt zu werden. Männer aus dem Wohnheim. Da sein für Menschen, die verunsichert, verzweifelt sind, für Obdachlose, Arme. Das ist seine Berufung.

Jedenfalls habe ich dann das Gefühl, ich bin eine kleine Brücke zu den Menschen, an denen die meisten vorbeilaufen. Ich verstehe etwas davon wenn jemand nicht die Kraft hat, die er wirklich braucht, um befreit zu leben.

Vielleicht hilft auch beim Gehen und Loslassen, wenn man weiß, es war gut. Peter Heilemann hat der Beruf viel gegeben und er hat geben können. Das hat was, dass Menschen ihm gesagt haben:

 „Endlich bin ich irgendwo, wo ich gesehen und gehört werde und wo ich einen Platz habe und wo ich nicht umsonst bin, und wo ich auch nicht überlegen muss, wo kann ich morgen mein Haupt hinlegen und was mach ich bloß, dass sich endlich mal was ändert.

Als Diakon war er auch Seelsorger im Untersuchungsgefängnis in Tübingen: U-Haft: wer da reinkommt, erlebt meist einen Schock. Der Kontakt zur Familie verboten. Zu zweit in 7 ½ qm.

Da steht ein Doppelstockbett, ein kleines Schränkchen, ein Waschbecken. Zwei Schritte hin und zwei Schritte her. Ganz viele sind vollkommen schockiert, weil sie eben von A nach B versetzt werden und die eine Welt hat mit der anderen gar nichts zu tun.

Peter Heilemann ist da, wenn in der Haft Welten zusammenbrechen. Wie bei einem Häftling, dem am Telefon mit seiner Frau klar geworden ist.

Dass er sie vielleicht schon oft angelogen hat und dass sie jetzt das schon zum dritten Mal mitmacht und gesagt hat, wenn Du noch einmal so was machst, dann bin ich weg und jetzt ist sie vielleicht weg.

Auch wenn es nach wenig aussieht, reden hilft. Und oft helfen dabei biblische Geschichten. Sie wirken wie ein Spiegel, in dem man sich erkennen kann.

Der verlorene Sohn zB., der eigentlich alles verbockt hat. Da kann man sich identifizieren und was über sich sagen und was aus der Tiefe kommt ist immer etwas, was den „schweren Sack“ ein bisschen leichter macht.

Wer mit Menschen zu tun hat, wird auch enttäuscht. Aber er hält das aus. Nächstenliebe ist für ihn das A und O. Nicht vergessen, wie oft er sie selbst braucht.

Was habe ich meiner Frau nicht schon alles versprochen. Und sie ist immer noch da. Und ich bin froh dass sie da ist und ich habe immer noch meine Chance. Das darf man nicht endlos treiben, aber es darf auch Zeit und Rückschläge brauchen und die Hoffnung muss deswegen nicht gleich sterben.

Was bleibt? Peter Heilemann hat mir drei Vermächtnisse verraten.

Ernte eines Berufslebens

Vielleicht ist schon wichtig, wie man anfängt. Das erste Vermächtnis, das Peter Heilemann mitgibt: Wenn man wie er eine Berufung spürt, soll man drauf hören. Obwohl, er hat erst mal Kaufmann gelernt. Notgedrungen, als Umweg.

Weil ich noch nie Kaufmann werden wollte. Ich hatte nicht die Bewerbungsvoraussetzungen. Ich habe das auf mich genommen, diese 3 Jahre, die mich überhaupt nicht interessiert haben, um dieses Ziel zu verfolgen.

Gewusst hat er, ich will Diakon studieren. Heute zieht er daraus den Rat: Wenn man spürt, man ist beruflich auf dem Holzweg, sollte man darauf hören und prüfen, ob man was ändern kann. Nicht nur am Anfang des Berufslebens. Damit das Leben wieder mehr Richtung gewinnt.

Wenn jemand das deutliche Gefühl hat, dass er auf dem falschen Dampfer ist, dann muss dieser Mensch darüber nachdenken, wo es ihn hinzieht. Und wenn das möglich ist, dann sollte man, darf man, diesem Menschen Mut machen, es zu versuchen. In dem Bewusstsein, dass Dinge auch im Leben scheitern können.

Dass er für Menschen da sein will, die in unserer Gesellschaft am Rand stehen, das hat er schon als Jugendlicher entdeckt, in der Kirche. Sogar durch ein Antivorbild: Peter Heilemanns Pfarrer war nämlich ziemlich militaristisch geprägt. Ihm ist klar geworden: Jesus ist anders.

Dann hatte ich schon eine Vorstellung, was Evangelium vielleicht heißen könnte. Ich habe gesagt: „nein, so nicht.“ Und wir haben dann eine Jugendarbeit aufgebaut, die  - heute würde man vielleicht sagen – ein bisschen emanzipatorisch war.

Irgendwie waren für ihn die Weichen gestellt. In einer guten Richtung. Sonst könnte er heute 40 Jahre später nicht sagen, dass er es als Diakon in Tübingen gut getroffen hat.

Ja, das hat einfach gut zusammen gepasst. Das was ich schon geahnt habe oder gewusst habe, konnte ich dann wirklich fortentwickeln und was so ein bisschen meine Stärken sind, konnten dann irgendwie zum Tragen kommen.

Sein zweites Vermächtnis: Es ist ein echter Segen, wenn man Orte gefunden hat, wo man mit seinen Stärken hingepasst hat. Dafür kann man dankbar sein. Wenn es wenigstens stückweise so ist. Und wenn man wie er Freiheit hat und Rückhalt erfährt.

Dass ich aus so einer – sich zutiefst diakonisch verstehenden Gemeinde – mich geschickt fühle, in die Vesperkirche, ins Gefängnis, zu den Arbeitslosen, weil ich spüre, was ich dort mache, dass das seine Mitte hat in dieser Gemeinde und eben auch im Gottesdienst. Und da bin ich einfach daheim.

Und noch ein weiteres Vermächtnis nehme ich mit: Eine christliche Gemeinde ist diakonisch aktiv und lebt das auch. Er hofft, dass seine Tübinger weiter dazu lernen und:

Ich glaube, dass manch andere Gemeinde sich sicher auch noch eine ganz gute Strecke in diese Richtung bewegen könnte, das fände ich wünschenswert.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25169
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