SWR2 Wort zum Tag

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Zum Schwerpunkt „Deutschlandreise"
Im Traum findet er seinen Weg - Josef, Zimmermann in Nazareth, verlobt mit Maria. Auf einem Altarbild in der Kirche St. Peter im Schwarzwald, nicht weit von Freiburg, ist mir der träumende Josef begegnet. Bei der Arbeit ist er offenbar eingeschlafen, die Werkzeuge - Hobel, Winkelmaß, Säge liegen auf dem Boden. Josef ist nicht alt, vielleicht Mitte 30. Über ihm ein Engel, weiblich, halb sitzend, halb schwebend auf einer Wolke. Mit der rechten Hand berührt er die Schulter des schlafenden Josef, die linke zeigt nach vorn. Das Bild erzählt die biblische Szene aus dem Matthäusevangelium. Josef hat bemerkt, dass Maria schwanger ist, aber nicht von ihm, und beschließt, sich in aller Stille von ihr zu trennen. So sollte es für beide das Beste sein. Über dem Nachdenken schläft er ein, und im Traum ist dieser Engel da, der ihm Mut macht. „Fürchte dich nicht, Maria als Deine Frau zu dir zu nehmen. Denn - so die geheimnisvolle Botschaft des Engels - was sie empfangen hat, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären, den sollst du Jesus nennen."(Mt 118ff) Als Josef wach wird, tut er, was der Engel gesagt hat, und nimmt seine Frau zu sich. Das Altarbild in St. Peter, um 1730 gemalt, denkt nicht über biologische Fragen der Zeugung und Geburt Jesu nach. Es zeigt, wie am Anfang der Weihnachtsgeschichte ein Mensch träumt und sich wandelt. Josef, überfordert von der Situation, erschöpft vom Nachdenken, sorgenvoll den Kopf in die Hand gestützt. Der Engel, die junge Frau mit den Engelsflügeln, berührt ihn an der Schulter - etwa da, wo im Nibelungenlied der Held Siegfried seine einzige verwundbare und damit auch empfindsame Stelle hatte. Mit der andern Hand zeigt der Engel voraus, wohin der Weg gehen kann. Und jetzt sehe ich, dass Josef im Schlaf auch schon einen Stab in der Hand hält. Er wird es schaffen, er wird seinen Weg finden. Es ist ein Weg, „den er vorher nicht gekannt und sich auch nicht zugetraut hatte"[1]. Diesem Josef wird durch einen Traum seine Angst genommen. Er wird frei, ungeachtet der Konventionen zu handeln: seine Liebe zu Maria zu leben und dem Kind Vater zu sein, liebevoll und fürsorglich wie die Bibel betont. Eine persönliche Wandlungs- und Entwicklungsgeschichte innerhalb der Weihnachtsgeschichte. So etwas kann sich ereignen, wenn Weihnachten wird. 


[1] Hans-Otto Mühleisen, Wandel im Traum. Ein Josefsbild aus St. Peter auf dem Schwarzwald. In Mühleisen u.a. (Hrsg.), Der heilige Josef. Kunstverlag Josef Fink, 2008, S. 223

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