Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„JESSICA, ICH LIEBE DICH", „LISA, DU BIST MEIN LEBEN". Liebeserklärungen und Treueschwüre in Großbuchstaben. Als Grafitti sind sie allgegenwärtig an Straßenbrücken, in Unterführungen oder auf Stromkästen. Die Sprayer wollen der Welt ihre Gefühle mitteilen. Jeder soll sehen, wie verliebt sie sind. Und vor allem natürlich die Angebetete.

Grafitti als öffentliche Bekenntnisse sind nicht neu. Es gab sie schon im Altertum. Auch die frühen Christen haben sie genutzt. Sie kritzelten ihre Namen und Wünsche sogar in die Mauern der Gotteshäuser. Um Beispiele dieser Art zu sehen, muss man nicht nach Rom oder in den Nahen Osten reisen. Antike Graffiti gibt es auch bei uns. Genauer gesagt: in Trier. Im 4. Jahrhundert errichteten hier die römischen Kaiser einen gewaltigen Kirchenkomplex. Vier Basiliken lagen nebeneinander. Der heutige Dom bewahrt noch Reste davon.

Archäologen entdeckten zwei Mauern, die wohl zu einer Altarschranke gehörten. In ihren Verputz sind mehr als 100 Graffiti eingeritzt worden. Christen aus Nah und Fern haben ihre Namen hinterlassen: Flavia und Silvio, Maura und Felix, Adelfia und Lucius. Christussymbole zeigen, dass sie ihren Glauben öffentlich bekennen wollten. Und sie dachten dabei an Angehörige und Freunde, lebende und bereits verstorbene. Gott solle sie behüten. An einer Stelle liest man: „Martius, du mögest immer in Christus leben!"

Diese Zeilen berühren mich. In ihrer Direktheit vermitteln sie etwas von der Begeisterung für den Glauben. Und sie schlagen eine Brücke über 1.700 Jahre, von der Zeit der frühen Christen bis zur Gegenwart.

Schön, dass man solchen Zeugnissen bei uns begegnen kann. Die Graffiti von Trier sind im dortigen Bischöflichen Museum zu finden, gleich neben dem Dom. Übrigens: heute ist der Internationale Museumstag. Vielleicht ein Anstoß, mal wieder auf Entdeckungstour zu gehen, auch in den kirchlichen Museen. Es lohnt sich!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8274
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