SWR3 Gedanken

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Auch Helden, auch die im Widerstand stehen in der Gefahr, ihre Ideale und ihre Mitstreiter zu verraten. Wie das geschieht lässt sich ablesen an der Geschichte von Wolfgang Schnur.
Es war kurz vor den ersten freien Wahlen nach der friedlichen Revolution vor zwanzig Jahren in der DDR.
Da tauchen Unterlagen auf, die Wolfgang Schnur stark belasten. Wolfgang Schnur war damals der Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs, der mit CDU und DSU (Deutsche Soziale Union) gemeinsam die Allianz für Deutschland bildete.
Dieser Allianz, einer Vereinigung konservativer demokratischer Gruppierungen, wurden die größten Wahlchancen prognostiziert.
Wolfgang Schnur hatte sich bereits als zukünftigen Ministerpräsidenten bezeichnet.
Jetzt aber zeigt sich: der angesehene Rechtsanwalt, Kirchenanwalt und Synodaler, Freund von Pfarrer Horst Kasner, dem Vater von Angela Merkel, Wolfgang Schnur war Informant des Stasi, über viele Jahre hinweg.
Und diese Nachricht gelangt am 8. März 1990, 10 Tage vor der Wahl an die Öffentlichkeit.
Sein Freund, der Pfarrer Reiner Eppelmann verliest eine Ehrenerklärung Wolfgang Schnurs.
Er selbst bezeichnet die Veröffentlichung der Unterlagen so kurz vor den Wahlen als bewusste Sabotage seiner Person. Viele sind entsetzt.
Es ist als hätte man Helmut Kohl in Handschellen abgeführt.
Wenn selbst die Gallionsfiguren der friedlichen Revolution verstrickt sind in den STASI – Sumpf, wem ist dann noch zu trauen.

Wolfgang Schnur bricht zusammen. Er tritt zurück, die Partei schließt ihn aus.
Am 8. März 1990 hebt die Regierung die Schweigepflicht auf auch für alle inoffiziellen Mitarbeiter des STASI.

Manche sagen, ein Drittel der Bevölkerung der DDR habe mit dem STASI zusammengearbeitet.
Aber keiner trug ein Kainsmal auf der Stirn manche haben ihre Schuld offen gelegt, manche haben um Vergebung gebeten. Und viele leben bis heute mit einer Schuld.
Denn Gerechtigkeit und Vergebung brauchen Wahrhaftigkeit und das Verantwortungsgefühl zur eigenen Schuld zu stehen.
Eins ist klar: Demokratie gelingt nicht, wenn es nicht möglich ist den Verantwortlichen und ihrer Wahrhaftigkeit zu trauen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=7835
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