SWR2 Wort zum Tag

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Warum ist ein Erinnern an deutsche Flüchtlinge und Vertriebene nach 1945 immer noch so schwierig?
Für den II. Weltkrieg und für alle Grausamkeiten dieses Krieg gibt es einen Schuldigen: nämlich die Angreifer, das deutsche Volk, das Volk der Täter. Alle Deutschen tragen kollektiv Schuld. Ein Geschichtsbild, das mir lange eingeleuchtet hat, bis ich deutschen Opfern begegnet bin. Genauer gesagt: sie wahr genommen habe, ihre Geschichte und was sie erlebt haben. Nicht die deutschen Widerstandskämpfer gegen den NS-Staates, meine ich. Auch nicht Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Deren Flucht und Vertreibungserfahrungen kannte ich aus ihren Erzählungen. Doch ihr Schicksal wurde oft von Dritten sehr eindeutig mit politischen Interessen verquickt – revanchischtischen.

Ich wurde zuerst neu hellhörig, als ich Wolgadeutschen begegnet bin und ihrer leidvollen Geschichte. Wie sie nach Sibirien, nach Kasachstan oder in den Kaukasus deportiert wurden – dort als Nazis oder Faschisten beschimpft – Jahrzehnte lang.
Später waren es Deutsche aus der „Batschka“ (Banat) – die mir ihre Heimat zeigten – mit Fotoalben. Immer wieder dieselben Bilder – Jahr für Jahr: „Das war unsere Kirche. Und das war unser Schulhaus, das wir zusammen aufgebaut haben. Hier haben wir gelebt. Wir hatten alles – Kühe und Schweine und Hühner und Obst und einen Garten... Alles ist weg!.“
Da musste ich die Stirn runzeln. Und zu mir sagen: Hier haben sie doch auch alles! Ein Häuschen, einen Garten, prächtige Kinder, Enkel und Urenkel. Bis ich ihre Wunden sah: was es heißt, aus der Muttersprache, aus der Gemeinschaft, aus einem Leben, wie es Generationen gewohnt waren – vertrieben worden zu sein. Und ankommen in der Fremde. Flüchtling sein –– nicht wirklich dazu gehören. Noch die Kinder und Kindeskinder werden gefragt: Wo kommt Ihr eigentlich her?
Fremde bleiben fremd für eine lange Zeit. Auch die Fremde bleibt fremd – auf eine Weise. Zum Ankommen in einer zweiten Heimat gehört, dass Andere meine Herkunft achten und verstehen wollen. Wo ich mich einfühle in die Anderen, wo Sympathie entsteht - da kann wirklich allmählich so etwas wie eine Wundhaut wachsen und Heilung beginnen. Nicht „Die Zeit heilt alle Wunden“ – aber Erinnern, Gedenken, Zuhören und Beachten sind Wege zur Versöhnung – auch im Wahrnehmen der Heimatvertriebenen.

Auch nach mehr als 60 Jahren ist das immer noch an der Zeit.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7616
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