SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

„Mit klopfendem Herzen erlebte ich den Einzug der Männerbataillone durch das Brandenburger Tor und den Vorbeimarsch an dem greisen Reichspräsidenten und seinem jungen Kanzler unter dem endlosen Jubel der Menschenmassen... Ein unbeschreibliches Hochgefühl, verbunden mit dem tiefsten Dank gegen den allmächtigen Herrn der Geschichte, erfüllte mein Herz.“1

Das stammt von Franz Tügel, dem späteren Hamburger Landesbischof. Damals ist er noch Pastor in St. Pauli-Nord. Er berichtet, wie er live am Rundfunk »dem Klang des neuen Geschehens gelauscht« hat. Was ist geschehen?
Am 30. Januar 1933 hat Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Eigentlich ein normaler und legaler Regierungswechsel. Doch die NS-Propaganda zelebrierte diesen Tag als „Machtergreifung“ mit einem nächtlichen Fackelzug. 25.000 SA- und Stahlhelm-Männer marschierten durchs Brandenburg Tor und an der Reichskanzlei „von abends 7 Uhr bis 1 Uhr nachts“ vorbei. Schier endlos. Gut inszeniert.
Pastor Tügel war da nicht der einzige begeisterte Christ. Andere lassen Kirchenglocken läuten, aus Dank, drücken durch Beflaggung von Kirchen ihre Sympathie zum Nationalsozialismus aus. „Wir sehen in ihm ein Werkzeug der göttlichen Vorsehung“ liest man im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über Hitler. Und »Gott selbst habe dem Volk in Hitler einen großen „Führer“ geschenkt«, kann man in Gottesdiensten hören. Blut, Rasse, Volk und Volkstum wurden zu „Schöpfungsordnungen“ verklärt.
Da fragt man sich und staunt, warum jahrhundertelanges Predigen, der Religions- und Konfirmandenunterricht nichts genützt haben. Wie kommt es, dass ein religiös ergriffener Mensch so empfindet?
Kurzschluss durch Gefühle. Keine Chance? Doch, aber nur, wenn noch Platz ist fürs richtige Hinschauen: „An den Früchten erkennt ihr den Baum“ hat Jesus gesagt. Also gar nicht mal an den Blättern, den Fahnen und feierlichen Ritualen, oder am Singen, Marschieren* oder der Organisationsform erkennt man den Unterschied. Sondern an den Früchten des Tuns.

Wie gehest Du um mit Kranken? ist die Frage.
Mit alten oder behinderten Menschen?
Oder mit politisch Andersdenkenden?
Und mit Andersgläubigen?

„Darum: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ hat Jesus gesagt (Matthäus 7,20). Das hilft zur Unterscheidung, ob man sich seinen Gefühlen hingibt und mitmacht. Oder eben nicht.

Für Interessierte:
(1 zitiert nach Barbara Beuys, Und wenn die Welt voll Teufel wär, Reinbek 1982, S. 522, und Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Band 1, Propyläen-Verlag, Berlin 1977, Seite 278)

*Martialisches Gehabe gab es in beiden Kirchen, und vor dem nationalen Taumel sind sie nicht gefeit. „Katholische Sturmscharen“, die „Elitetruppe“ der katholischen Jugendbewegung findet sich ebenso wie „Wehrsportübungen für evangelische Diakone“ (Rummelsberg).<7i>
https://www.kirche-im-swr.de/?m=625
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