SWR2 Wort zum Tag

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Nichts hat sie mehr umgetrieben als das Thema Gewalt. Wie ist Frieden möglich, wie Versöhnung? Das fragt sich Simone Weil, vor 100 Jahren geboren, originelle Grenzgängerin zwischen den Kulturen und Religionen, und doch immer entschiedener auf der Spur des Christlichen. Sie fragt: Wie mit Gewalt umgehen, wie sie überwinden? Gerade darin ist diese spirituelle Denkerin auch heute noch höchst aktuell. Ein Gott, der Gewalt ausübt, davon ist Weil überzeugt, ist nichts als ein Götze, ein Zerrbild Gottes. Wer Leiden schafft und andere oder sich unterdrückt, kann nicht auf der Seite des Guten sein. Wörtlich : „Der falsche Gott macht aus dem Leiden Gewalt. Der wahre Gott macht aus der Gewalt Leiden.“ (III 196). Nur wer Gewalt in Mitleiden umsetzt, schafft Verwandlung und Versöhnung. Nur solch ein Gott kann überzeugend sein. Hier scheiden sich die Geister: Gewalt, die Leiden verursacht, oder Leiden, das Gewalt verwandelt – das ist die Grundfrage, jedenfalls für Simone Weil. Ein scharfer Grundsatz mit höchst praktischen Folgen, bis in den Alltag heute. Wo Gewalt geschieht gegen andere oder gegen sich selbst, kann es zum Guten nicht sein. Wo Menschen sich auf einen Gott berufen, der Gewalt ausübt und sich mit Unterdrückung durchsetzt, kann der wahre nicht sein. Umgekehrt aber: Wo Gewalt nicht mit Gegengewalt beantwortet wird, wo gar Vergebung geschieht, da wird ein anderer Gott lebendig, mitten unter uns. Wo erlittene Gewalt nicht mit Gegengewalt beantwortet wird, sondern mit Vergebung, da geschehen die wahren Wunder in dieser Welt. – Das macht das Christentum für Simone Weil einmalig und attraktiv. Im Blick auf den gekreuzigten Jesus werden die Verhältnisse neu aufgemischt: Nicht ein Gott, der mit Gewalt Leiden verursacht, steht im Zentrum, sondern jener, der Gewalt mitleidend verwandelt. Wie lässt sich mitleiden, wie geht Vergebung, diese Fragen forderten Simone Weil bis zuletzt heraus. Ihr Leben wie ihr Denken erzählt facettenreich davon. „Selig sind, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Reich Gottes erreichen“, heißt es genau in diesem Sinne in der Bergpredigt – und das gilt auch heute.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5447
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