SWR2 Wort zum Tag

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Man muss sich nicht schämen, wenn man zweifelt. Es gibt keinen echten Glauben ohne Zweifel. Glaube und Zweifel sind wie Geschwister. Sie gehören zusammen, aber sie liegen ständig im Streit miteinander. Und das hat Gründe! Die hängen mit der Erfahrung und mit der Vernunft zusammen. Ich erfahre Inseln des Glücks in meinem Leben. Die machen dankbar; sie sind ja nicht selbstverständlich. Aber unversehens werde ich von ihnen wieder vertrieben, werde geschüttelt wie von den Wellen eines stürmischen Meeres, habe Angst und weiß nicht, ob und wann ich wieder festen Grund unter die Füße bekomme. Die Vernunft kann nicht verstehen, warum das so ist. Sie kann mit diesem unberechenbaren Wechsel von Glück und Leid nicht zurechtkommen. Sie kann auch nicht begreifen, warum manche Menschen Inseln des Glücks so gut wie nie erreichen können. Natürlich, durch die Vernunft kann man erkennen, wie Menschen durch falsches Handeln und falsche Ordnungen des Zusammenlebens einander Leid zufügen. Aber zu entschlüsseln ist dadurch noch nicht, warum die einen glücklich sind, die anderen unglücklich und warum Menschen Unrecht und Schmerzen gerade jetzt und so erleiden müssen. Für die Vernunft, die das alles nicht zu durchschauen vermag, bleibt die Welt im Dunkel. Und so stärkt sie den Zweifel, auch den Zweifel, der mit dem Glauben ringt und von der bedrückenden Abwesenheit Gottes weiß.

Nein, man muss sich nicht schämen, wenn man zweifelt. Aber der Zweifel macht einem zu schaffen. Ich weiß: Er nimmt nicht ab, wenn man älter wird; er nimmt eher zu, weil die Lebenserfahrungen zugenommen haben. Was kann geschehen, dass der Glaube von der Kraft des Zweifels nicht erstickt wird? Wie können die Geschwister Glaube und Zweifel bei einander bleiben – so, dass der Glaube immer wieder gegen den Zweifel antreten kann? Zuerst ist das Recht des Zweifels anzuerkennen. Den in der Vernunft gründenden Zweifel zu unterdrücken, hilft dem Glauben nicht. - Dann kann man beten und sollte mit dem Beten nicht aufhören. Einer hat gemeint, das Gebet sei die Kühnheit, die Gewichte im Leben zu fälschen, sodass das Leben gut wird. Man geht in ihm aus sich heraus, lässt die eigenen Erfahrungen hinter sich und, indem man sich an Gott wendet, vertraut und hofft man auch gegen den Augenschein. - Und schließlich kann man hören – auf die großen Zusagen der Bibel, die dem Vertrauen und der Hoffnung Recht geben und an denen man sich festhalten kann, mitten in den Stürmen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5326
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